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Am Sonntag wird gewählt, bis dahin war es langer und ereignisreicher Weg.
Am Sonntag wird gewählt, bis dahin war es langer und ereignisreicher Weg. ©APA

NR-Wahl 2019: Der turbulente Wahlkampf im Rückblick

Rund vier Monate hat der Wahlkampf gedauert - am 29. September wird nun in Österreich gewählt. Geprägt war der Wahlkampf unter anderem von der Ibiza-Affäre, Wahlkampfkosten und dem Klimawandel. Hier ein Rückblick, was sich in den letzten vier Monaten in der österreichischen Innenpolitik abgespielt hat.

Am 29. September wählt Österreich einen neuen Nationalrat. Geprägt war der rund vier Monate dauernde Wahlkampf von der Ibiza-Affäre Heinz-Christian Straches, Debatten über Wahlkampfkosten und Parteispenden sowie über Daten-Leaks bzw. mutmaßliche Hacker-Angriffe auf die ÖVP. Inhalte traten dabei fast in den Hintergrund. An einem Thema kam aber keine Partei vorbei: dem Klimawandel.

"Genug ist genug": Ibiza-Video sprengt Türkis-Blaue Koalition

Die Türkis-Blaue Koalition war weder an Inhalten noch an fehlender Harmonie zwischen den beiden Partnern gescheitert. Auch die immer wieder aufgetretenen "Einzelfälle" am äußerst rechten Rand der FPÖ brachten die Zusammenarbeit nicht ins Wanken. Das Aus am 17. Mai kam durch die Veröffentlichung des bereits im Sommer 2017 heimlich aufgenommenen Ibiza-Videos. Die dort auf Band gebannten skandalösen Aussagen Straches hatten nicht nur einen Tag später dessen Rücktritt zur Folge, sondern beendeten auch die kurze Ära von Türkis-Blau.

>>> Hier finden Sie die wichtigsten Aussagen aus dem Ibiza-Video.

Das Ibiza-Video bringt Straches Rücktritt am 18. Mai mit sich und leitete das Aus für die Regierung Kurz ein. APA/AFP/ALEX HALADA

>>> Hier finden Sie weitere Details zum Ibiza-Video.

Nach der Weigerung der FPÖ, auf das von Herbert Kickl geführte Innenministerium zu verzichten, beendete ÖVP-Chef Sebastian Kurz am Abend nach der Video-Veröffentlichung die Koalition ("genug ist genug") und kündigte Neuwahlen "zum schnellstmöglichen Zeitpunkt" an.

Die FPÖ handelte schnell: Tags darauf wurde Norbert Hofer von der FPÖ zum neuen Parteichef designiert. Die ÖVP kündigte ihrerseits die Entlassung Kickls aus seinem Amt an. Die Folgen waren der Rücktritt fast der gesamten blauen Ministerriege und die Einsetzung einer Übergangsregierung unter Kanzler Kurz.

Das Ibiza-Video wird zum "gefundenen Fressen" für allerlei Satire. Grund zur Freude gab es vor allem bei den Vengaboys, die mit "We're Going to Ibiza" den unfreiwilligen Soundtrack zum Geschehen lieferten.

So sahen die Wiener die Regierungskrise:

EU-Wahl findet unter Ibiza-Schock statt

Unter dem Schock von Ibiza wurde dann am 26. Mai die EU-Wahl begangen. Diese brachte einen ÖVP-Triumph und überraschend geringe Verluste der FPÖ. Die SPÖ schnitt für sie enttäuschend ab, während den Grünen mit satten 14 Prozent das Comeback gelang.

Regierung Kurz wird durch Misstrauensvotum abgesetzt

Nur einen Tag nach der Wahl folgte dann im Parlament das historische Misstrauensvotum gegen die gesamte Regierung Kurz: Mit den Stimmen von SPÖ, FPÖ und JETZT wurden der ÖVP-Chef und seine Minister aus den Ämtern entfernt. Nach der Einsetzung einer interimistischen Regierung unter Führung von Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) lobte Bundespräsident Alexander Van der Bellen am 3. Juni die Übergangsregierung von Ex-Verfassungsgerichtshofpräsidentin Brigitte Bierlein an.

Brigitte Bierlein wird die erste Bundeskanzlerin Österreichs. APA/HELMUT FOHRINGER

Neuwahlen für 29. September ausgerufen

Am 12. Juni schließlich wurde im Nationalrat die vorzeitige Beendigung der Gesetzgebungsperiode und damit vorgezogene Neuwahlen beschlossen. Endgültig fixiert wurde der 29. September als Wahltermin dann am 3. Juli von Regierung und Hauptausschuss des Nationalrates.

Damit waren die Formalitäten erledigt und der Wahlkampf konnte starten. Wenngleich alle Parteien betonten, sie wollen eine kurze Wahlauseinandersetzung, so standen doch von Anfang an alle Sommertouren und sonstige Auftritte unter dem Vorzeichen der Neuwahl. Kurz verzichtete auf die ihm zustehende Rückkehr ins Parlament und tourte stattdessen durch die Lande - sehr zum Missfallen der politischen Konkurrenz.

Kickl will Türkis-Blau weiterführen - Strache geht nicht in die EU

Nach der Angelobung des Kabinetts Bierlein nahm der Wahlkampf rasch Fahrt auf. Recht bald wurde klar, dass die FPÖ nach ihrer Ibiza-Blamage nicht daran dachte, das Regieren auf lange Frist aufzugeben. Bereits am 8. Juni bot der geschasste Ex-Innenminister Herbert Kickl via Facebook der ÖVP an, nach der Wahl Türkis-Blau weiterzuführen, ungeachtet der türkisen Ablehnung gegenüber seiner Person.

Für gehörigen Sand im blauen Getriebe sorgte allerdings von Beginn an Ex-Chef Strache: Dieser konnte sich mit seinem Polit-Aus nicht abfinden und verzichtete erst am 17. Juni auf sein (Dank 45.000 Vorzugsstimmen) überraschend errungenes EU-Mandat. Drei Tage zuvor hatte die FPÖ Straches Ehefrau Philippa mit einem Fix-Ticket für die Nationalratswahl ausgestattet. Von einem "Deal" wollte Strache dennoch nichts wissen.

Holpriger Wahlkampfstart bei der SPÖ

Holprig startete auch der Wahlkampf der SPÖ. Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner musste sich für ihr Ja zum Misstrauensantrag mediale Kritik gefallen lassen. Auch Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda stand innerparteilich unter Beschuss und musste die Wahlkampfleitung an den Wiener Christian Deutsch abgeben. Ablöse-Gerüchte brachte die Parteichefin erst nach einem Gipfeltreffen mit den Landesparteichefs am 6. Juni in Wien vom Tisch. Der von ihr selbst definierte "Führungsanspruch" der SPÖ mit dem erklärten Ziel des ersten Platzes lag und liegt laut Umfragen freilich in weiter Ferne.

Die SPÖ hat mit Anfangsschwierigkeiten zu kämfpen. APA/ROBERT JAEGER

Gefälschte E-Mails und "Schredder-Affäre" bei der ÖVP

Sand ins Getriebe bekam trotz aller Umfragen-Höhenflüge auch der durchgetaktete Wahlkampf der ÖVP. Am 17. Juni gaben Kurz und sein Vertrauter Gernot Blümel in einer eilig einberufenen Pressekonferenz bekannt, dass gefälschte E-Mails in Umlauf seien. Diese sollen laut ÖVP-Angaben nahelegen, dass Kurz und Blümel bereits 2018 über das Ibiza-Video informiert wurden. Ein Monat später wurde dann die ÖVP-"Schredder"-Affäre publik: Ein ehemaliger Kanzleramts- und heutiter Partei-Mitarbeiter hatte fünf Drucker-Festplatten bei der Firma Reisswolf vernichten lassen - und das unter falschem Namen. Die Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelte, sah schließlich aber keinen Zusammenhang zwischen Schreddern und dem Ibiza-Video.

Das sagen die Wiener zur "Schredder-Affäre":

Razzien bei Strache und Gudenus: Causa Casino gerät ins Rollen

Im August sorgten dann Razzien der Korruptionsstaatsanwaltschaft u.a. bei Strache und Gudenus für Aufregung bei der FPÖ. Anlass war der Verdacht, es könnte rund um die Bestellung des Wiener FPÖ-Bezirksrats Peter Sidlo zum Finanzvorstand der Casinos Austria zu Absprachen zwischen der FPÖ und dem Casinos-Eigentümer Novomatic gekommen sein. Strache selbst bestritt die Vorwürfe vehement.

Mit dem Ibiza-Video hat sich die politische Karriere von Gudenus und Strache erledigt. APA/HERBERT NEUBAUER

ÖVP-Wahlkampfkosten und Parteispenden sorgen für Aufregung

Ebenfalls noch im August legte dann die ÖVP plötzlich die Listen ihrer Parteispender aus 2018 und dem ersten Halbjahr 2019 offen - offensichtlich, um einem "Standard"-Bericht zuvorzukommen. Nicht nur die Höhe von insgesamt 2,76 Mio. Euro sorgte für Debatten, sondern auch die "Stückelung" der 931.000 Euro-Spende der Milliardärin Heidi Horten. Denn dadurch musste die Spende nicht an den Rechnungshof gemeldet werden.

Für weiteren Ärger bei den Türkisen sorgte Anfang September ein Bericht des "Falter": Unter Berufung auf angebliche ÖVP-interne Dokumente hieß es, die ÖVP plane, die erlaubte Wahlkampfkosten-Grenze (7 Mio. Euro) auch im Nationalratswahlkampf 2019 zu überschreiten. Die Volkspartei wies dies zurück und kündigte eine Unterlassungsklage an.

Und nur zwei Tage nach der "Falter"-Veröffentlichung lud die ÖVP ausgewählte Journalisten in die Parteizentrale, um über einen groß angelegten Hacker-Angriff auf ihre IT-Systeme zu berichten. Mitte September bestätigte dann Innenminister Wolfgang Peschorn, dass es zu einem Absaugen von Daten gekommen ist. Die politische Konkurrenz zweifelte und vermutete einen "Maulwurf" in den türkisen Reihen.

Umfragen zeigen: Affären mit wenig Auswirkungen auf Wahl haben

Auf die Umfragedaten hatten all diese Affären recht wenig Auswirkungen. Bei der ÖVP war von Mai bis zuletzt zwar ein leichter Abwärtstrend zu bemerken, von anfangs bis zu 38 Prozent auf zuletzt 32 bis 35 Prozent. Doch auch damit liegt die Volkspartei mit Respektabstand auf Platz eins, gefolgt von SPÖ und FPÖ. Rot und Blau wurden zuletzt mit Werten um 20 Prozent ausgewiesen, wobei die SPÖ die Nase knapp vorne zu haben scheint. Als fix gilt der Wiedereinzug der Grünen, deren Umfrage-Werte nach der EU-Wahl hochschnellten und etwa 12 Prozent erwarten lassen. Die NEOS können mit rund 8 Prozent rechnen, während JETZT ein Scheitern an der Vier-Prozent-Hürde droht.

Wahlkampf: Koalitionsfrage immer wieder thematisiert

Damit sind nach der Wahl nur zwei Zweierkoalitionen möglich, nämlich Türkis-Blau oder Türkis-Rot. Neben der Festlegung der FPÖ, den 2017 eingeschlagenen Kurs mit der ÖVP fortsetzen zu wollen, gab es auch seitens der ÖVP mit fortlaufendem Wahlkampf immer klarere Zeichen, dass man inhaltlich am liebsten mit der FPÖ weitermachen würde. So erklärte Kurz am 11. September, dass er sich eine "ordentliche Mitte-Rechts-Politik in Österreich" wünschen würde - wenngleich er betonte, dass dies keine Festlegung auf eine Fortsetzung von Türkis-Blau bedeute.

Eine ÖVP-SPÖ-Zusammenarbeit dürften weder Kurz noch Rendi-Wagner allzu attraktiv finden. Inhaltlich und auch persönlich scheint man hier zu weit voneinander entfernt. Andere Koalitionsvarianten sind derzeit wenig wahrscheinlich. Eine Türkis-Grüne Koalition geht sich laut Umfragen nicht aus, eine Dreier-Variante zwischen ÖVP, Grünen und NEOS wiederum wäre wohl schwer zu realisieren. Und zuletzt signalisierte Kurz auch, wie er das Feindbild Kickl in einer Neuauflage von Türkis-Blau doch akzeptieren könnte: Zwar nicht als Innenminister, aber sehr wohl als FPÖ-Klubobmann.

Nach wie vor offen ist, wer mit wem in Zukunft zusammen arbeiten kann und will. APA

>>> Diese Koalitionen sind für die Politiker vorstellbar.

Ära Strache mit 14. September zu Ende

Geschichte ist seit 14. September die Ära Strache bei der FPÖ: Am Bundesparteitag in Graz erhielt sein designierter Nachfolger Hofer satte 98,25 Prozent der Delegiertenstimmen.

NR-Wahl 2019: Diese Themen dominierten den Wahlkampf

Inhaltlich dominierte der Klimawandel, was vor allem den Grünen zupasskam. Auch die Migration war wieder Thema, wobei Kurz hier "sehr große Unterschiede" zwischen ÖVP und SPÖ ausmachte. Für die FPÖ setzte auf dieses Thema vor allem Kickl, der etwa beim Parteitag in Graz von "faulen Früchten der Willkommenspolitik" sprach.

Die SPÖ brachte auch das Thema leistbares Wohnen in den Wahlkampf und plädierte wieder einmal für eine Erbschaftssteuer. Darüber hinaus bemühte Rendi-Wagner die Schlagworte der "Menschlichkeit" und des "Gemeinsamen". Die ÖVP setzte auf den Kanzler-Bonus ("Das ist mein Kanzler"), die FPÖ warnte u.a. vor einer Koalition der ÖVP mit Grün ("Ohne uns kippt Kurz nach links"). Die Grünen warben mit ihrer Wiedereinzugs-Chance ("Zurück zu den Grünen"), setzten auf Umweltthemen und politische Sauberkeit ("Wen würde der Anstand wählen?"). Die weiße Weste der Öko-Partei bekam in der Schlussphase allerdings wegen Korruptionsvorwürfen gegen ihren ehemaligen Wiener Planungssprecher Christoph Chorherr Flecken.

Die NEOS propagierten u.a. eine Verbindung von Umwelt und Wirtschaft und warben damit, eine "anständige Alternative" bieten zu wollen. Ganz auf sein Kernthema konzentrierte sich JETZT-Gründer Peter Pilz: Er bewarb sein Image als Kontrolleur und schloss dezidiert aus, mit Kurz eine Koalition einzugehen.

(APA/Red)

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