Am Wiener Landesgericht ist am Freitag der Prozess gegen sechs Schubhäftlinge fortgesetzt worden, die laut Anklage am 14. September 2018 ihre Zelle im Wiener Polizeianhaltezentrum (PAZ) am Hernalser Gürtel angezündet hatten. Staatsanwalt Wolfram Bauer wirft den Männern – fünf Afghanen und ein Iraner im Alter zwischen 21 und 34 Jahren – Brandstiftung vor.
Prozess fortgesetzt: Treibende Kräfte vernommen
Nachdem beim Prozessauftakt am vergangenen Freitag vier Angeklagte vernommen wurden, kamen nun jene beiden zu Wort, die aus Sicht der Staatsanwaltschaft die treibenden Kräfte waren. Ein 21-jähriger Afghane soll die Idee zum gemeinschaftlichen Anzünden der Sechs-Mann-Zelle gehabt haben, ein 30 Jahre alter Iraner – in Deutschland zwei Mal wegen Schlepperei verurteilt und daher mit Hafterfahrung versehen – soll ihn darin bestärkt haben, weil er davon ausging, dass die Schubhäftlinge damit ihrer Abschiebung entgehen könnten.
Der 21-Jährige versicherte allerdings dem Schöffensenat (Vorsitz: Alexandra Skradla), er sei damals unter dem Einfluss von Medikamenten gestanden und habe zunächst gar nichts mitbekommen. Plötzlich habe man ihn gezwungen, einen Abschiedsbrief mitzuverfassen. Dann hätten zwei Mitgefangene einen Kasten vor die Zellentür geschoben, die Fenster geschlossen und ihre Betten angezündet: “Sie hatten geplant, Feuer zu legen. Ich wusste nicht, was da passiert.” Der Aufforderung, ebenfalls sein Bettzeug zu verbrennen, sei er nicht nachgekommen: “Ich habe sofort den Alarmknopf gedrückt.”
Der Iraner, der am 19. September und damit fünf Tage nach dem Feuer abgeschoben hätte werden sollen, behauptete, er habe es nicht ernst genommen, als er von einem Mithäftling von der beabsichtigten Brandstiftung hörte. Er war erst am 14. September gegen 13.00 Uhr in die Zelle verlegt worden, die knapp neuneinhalb Stunden später abgefackelt wurde. “Ich dachte, er macht nur einen Spaß”, sagte der 30-Jährige. Er sei unter dem Einfluss von Antidepressiva gestanden: “Ich war total müde. Ich habe nicht geglaubt, dass sie das machen werden.” Er habe sich an den inkriminierten Tathandlungen nicht beteiligt.
Zeitpunkt des Verhandlungsabschluss unklar
Der Prozessfahrplan der Richterin, die die Verhandlung bis 13.00 Uhr ausgeschrieben hatte, erwies sich als illusorisch. Knapp vor 13.00 Uhr hatte noch kein einziger der zahlreichen Zeugen ausgesagt. Ob die Verhandlung – wie ursprünglich geplant – heute abgeschlossen werden kann, ist unklar.
Feuer vor Abschiebung gelegt
Der Brand in einer Zelle im Polizeianhaltezentrum (PAZ) Hernals ist unmittelbar vor der Abschiebung von drei der sechs Insassen gelegt worden, die damit offenbar die zwangsweise Rückführung in ihre Heimat verhindern wollten. Das ging aus fremdenpolizeilichen Unterlagen hervor, die am Freitagnachmittag bei der Verhandlung am Landesgericht erörtert wurden.Das Feuer war am 14. September gegen 22.30 Uhr ausgebrochen. Einer der Insassen der Zellen hätte am nächsten Tag außer Landes gebracht werden sollen, zwei Mitgefangene wären am 17. bzw. 19. September zur Abschiebung angestanden. Laut Anklage waren zwei der drei Betroffenen die treibenden Kräfte bei der Brandstiftung.
Zweifel an Gefahr einer Feuersbrunst
Dass die Gefahr einer Feuersbrunst – wie von der Anklage inkriminiert – tatsächlich bestanden hat, dürfte aber fraglich sein. Zweifel daran nährte jedenfalls ein Brandermittler des Bundeskriminalamts, der am Tatort Ursachenforschung betrieben hatte. “Es war weit entfernt von einem Vollbrand. Es hat gerade zu brennen begonnen”, erklärte der Experte am Freitagnachmittag bei seiner Zeugenbefragung. Einen Brandsachverständigen hatten in dem Verfahren weder die Staatsanwaltschaft noch das Gericht von Amts wegen bestellt.
Dem sachkundigen Zeugen zufolge war das Feuer an vier verschiedenen Stellen ausgebrochen, indem im Bereich der Betten Matratzen, Decken und Handtücher angezündet wurden. In der Zelle wären “hohe Brandlasten” vorhanden gewesen, die theoretisch zu einem Vollbrand führen hätten können. Die Ausbreitung von Heißgasen wäre im Bereich des Denkbaren gewesen, auch eine Zündung hätte es unter Umständen geben können. Auf die Frage nach der Wahrscheinlichkeit des Entstehens einer Feuersbrunst, meinte der Bundeskriminalamt-Beamte: “Das kann ich nicht sagen.”
Brand in Zelle: Sanierung kostet 73.000 Euro
Auch die Frage nach den getroffenen Brandbekämpfungsmaßnahmen blieb mangels eines beigezogenen Sachverständigen bzw. mangels Ladung eines informierten Vertreters der Wiener Berufsfeuerwehr offen. Der Beamte merkte lediglich an: “Es ist sicher Löschwasser eingebracht worden. Es ist alles geschwommen.” Die ergänzenden Fragen von Verteidiger Martin Mahrer, der einen der Angeklagten vertritt, wie lange es bis zum “Brand aus” gedauert hätte und ob das Feuer schon vor Eintreffen der Feuerwehr unter Kontrolle war, blieben unbeantwortet.
Die Sanierung der in Mitleidenschaft gezogenen Zelle kostete jedenfalls 73.000 Euro. Das gab ein Vertreter der Bundesimmobiliengesellschaft zu Protokoll, die eine Zeugenladung erhalten hatte.
Beweisverfahren abgeschlossen
Im Prozess um die Brandstiftung im Polizeianhaltezentrum (PAZ) ist das Beweisverfahren nach den Zeugenaussagen von drei weiteren Polizisten, die mit der Brandbekämpfung und Bergung der Zelleninsassen befasst waren, abgeschlossen worden. Knapp vor 17.00 Uhr zog sich der Schöffensenat zur Beratung über Schuld und Strafe der Angeklagten zurück. Mit den Urteilen war nicht vor 18.00 Uhr zu rechnen.
“Schon am Gang war es komplett schwarz”, schilderte ein Polizist den Einsatz. Als er mit einer Kollegin die Zellentür öffnete, sei diese “komplett verraucht” gewesen. “Es hat ziemlich wild aus’gschaut”, erinnerte sich diese. Und weiter: “Ich hab’ nicht gewusst, überleben die (gemeint: die sechs Insassen, Anm.) oder nicht. Das war schon eine ziemliche Belastung.”
Schubhäftlinge wegen Sachbeschädigung verurteilt
Von U-Haft zurück in Schubhaft
Die Anwälte gingen davon aus, dass die Betroffenen – zwei Afghanen und ein Iraner – von der U-Haft umgehend zurück in Schubhaft genommen werden. “Ihre Abschiebebescheide sind ja weiter aufrecht”, hieß es gegenüber der APA. Noch während der Urteilsverkündung telefonierten anwesende Polizeikräfte, um die nahtlose Überstellung der drei Männer von der Justizanstalt Josefstadt in Schubhaft zu organisieren, wie der APA von einem Beamten bestätigt wurde.
Die Urteile sind nicht rechtskräftig. Während die Verteidiger nach Rücksprache mit ihren Mandanten durchwegs auf Rechtsmittel verzichteten, gab der Staatsanwalt vorerst keine Erklärung ab
(APA/Red)