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EU-Vertrag neu: Kurz denkt Österreich-Konvent an - EU-Referendum möglich

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) äußerte sich zum neuen EU-Vertrag
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) äußerte sich zum neuen EU-Vertrag ©APA/HERBERT PFARRHOFER
Über aktuelle Pläne sprach Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) - nämlich einen Österreich-Konvent zum neuen EU-Vertrag. Er schließt auch ein Referendum über das Vertragswerk nicht aus. "Je nachdem, wie tiefgreifend die Änderungen des Vertrags sind, wird auch darüber zu beraten sein, ob etwa EU-weit abzustimmen ist und inwieweit nationale Verfassungen dem entgegenstehen".
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So hieß es aus dem Bundeskanzleramt auf APA-Anfrage. “Zuerst ist aber abzuwarten, wie umfassend die Reform ist”, hieß es weiter auf die Frage, ob über die Vertragsreform eine Volksabstimmung in Österreich stattfinden soll. Die APA hatte dem Bundeskanzleramt eine Reihe von Fragen zu dem Reformvorstoß übermittelt, den der Kanzler am heutigen Donnerstag beim EU-Gipfel in Sibiu (Hermannstadt) seinen Amtskollegen vorstellen will.

Kurz plant Österreich-Konvent

So stellte das Kanzleramt klar, dass man für die Einberufung eines Europäischen Konvents zur Vertragsreform eintrete, also das “ordentliche Verfahren” anstelle des im Lissabon-Vertrag ebenfalls möglichen vereinfachten Verfahrens, bei dem die Staats- und Regierungschefs in begrenztem Maße Änderungen beschließen können. “Der Reformprozess sollte so inklusiv wie möglich gestaltet werden und nicht nur den berufsmäßigen EU-Verhandlern überlassen werden”, hieß es.

Parallel zum EU-Konvent solle, “wie im Regierungsprogramm ausgeführt”, auch ein Österreich-Konvent einberufen werden, bestätigte das Kanzleramt. “Dieser Konvent sollte möglichst inklusiv gestaltet sein und aus maßgeblichen Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bestehen.”

Diskussion ohne Tabus über den neuen EU-Vertrag

“Wir sollten eine Diskussion ohne Tabus über den neuen EU-Vertrag führen”, betonte das Kanzleramt. Gleichwohl bestätigte es, dass weiterhin die Festlegung aus dem Regierungsprogramm gilt, wonach Türkis-Blau im EU-Reformprozess für Szenario 4 (“Weniger, aber effizienter”) eintritt. “Ja, die Bundesregierung bekennt sich klar zu Szenario 4 aus Junckers Weißbuch.”

Eher zurückhaltend ist der Kanzler offenbar, was eine Zurückdrängung des Vetorechts der Mitgliedsstaaten betrifft. “In wesentlichen Fragen soll es natürlich weiterhin Einstimmigkeit geben. In zumindest gewissen Bereichen der Außenpolitik ist für uns eine Aufweichung vorstellbar, damit die EU außenpolitisch in der Welt mit einer Stimme sprechen kann und handlungsfähig ist.”

Kurz will auch eine Diskussion darüber beginnen, “welche Kompetenzen von der EU zurück an die Staaten und Regionen gegeben werden sollen, die diese selbst besser regeln können”. In diesem Zusammenhang bekräftigt das Kanzleramt die Forderung, dass sich die EU “um große Fragen” wie den Schutz der Außengrenzen oder die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit und Stärkung der Innovation kümmern solle. Auf die Frage nach einer Aufwertung des Europaparlaments hieß es, dass dessen Rolle im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren “ohnehin bereits stark ausgeprägt” sei.

EU-Vertragsänderung: Warum überhaupt erforderlich?

Nach dem Vorstoß des Kanzlers wurde von Experten auf die Ausschöpfung von Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb des Lissabon-Vertrags verwiesen. Auf die Frage, welche Punkte konkret eine Vertragsänderung erforderlich machen, nannte das Kanzleramt die gewünschte Neuregelung der Kompetenzen (Stärkung der Subsidiarität), den langfristigen Ausstieg aus der Atomkraft, Nachschärfungen des Rechtsstaatsverfahrens und des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sowie die Verankerung eines Sanktionsmechanismus zur Eurodac-Verordnung (Pflicht der Mitgliedsstaaten zur Registrierung von Asylbewerbern), weil diese “zahnlos” sei.

Das Vertragsänderungsverfahren solle “so rasch als möglich beginnen”, wobei heuer mit der Europawahl und dem Austausch des “gesamten EU-Personals” ein guter Zeitpunkt für den Beginn des Prozesses sei, betonte das Kanzleramt. Es werde aber eine gewisse Zeit brauchen, bis eine für alle Mitgliedsstaaten zufriedenstellende Lösung gefunden werden könne. Unbestritten sei, “dass die EU dringend reformbedürftig ist. So zu tun, als könnten wir die EU auch ohne Vertragsänderung mittelfristig zukunftsfit halten, ist ein Irrtum!”

Kurz gegen die Idee einer “Schuldenunion”

Kurz erläuterte seine Vorstellungen im Vorfeld des Gipfels auch in einem Interview mit dem Düsseldorfer “Handelsblatt” (Donnerstagsausgabe). Zum Vorhalt von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Österreich blockiere bei der EU-Währungsunion, sagte Kurz: “Wenn es um die Idee einer Schuldenunion geht, dann bin ich entschieden dagegen. Eine Vergemeinschaftung von Schulden lehne ich kategorisch ab.” Auf die Frage nach einer CO2-Steuer meinte er: “Ich habe nicht vor, die Bürger zusätzlich zu belasten.” Wenn man die Steuerbelastung der Bürger nämlich so reduziere, “dass den Menschen wieder genug Geld zum Leben bleibt, dann wächst die Zustimmung zu Europa auch wieder”, so Kurz, der eine europäischen Arbeitslosenversicherung oder einen europäischen Mindestlohn als eine “Utopie” bezeichnete.

Befragt zu den anstehenden EU-Topjob-Entscheidungen stellte sich Kurz hinter eine mögliche EZB-Kandidatur von Bundesbank-Chef Jens Weidmann. “Er wäre ein guter EZB-Präsident, der die Unterstützung Österreichs hätte.” Man müsse aber auf den regionalen Ausgleich achten, sagte er mit Blick auf den Anspruch von Weidmanns Landsmann Manfred Weber, EU-Kommissionspräsident zu werden. “Wenn der Spitzenkandidat der stärksten Fraktion nicht dieses Amt bekommt, dann würde das zu einem weiteren Vertrauensverlust in die Politik führen. Das ist den Bürgern nicht zu vermitteln”, so Kurz, der damit die Frage nach einem möglichen Wechsel der deutschen Kanzlerin Angela Merkel auf einen EU-Spitzenposten beantwortete.

Kurz ortet positive Signale aus anderen EU-Ländern

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ortet vor dem EU-Gipfel positive Signale aus anderen EU-Ländern zu seinen Vorschlägen zu einer Reform des EU-Vertrags. “Es gibt viele – vor allem die jüngeren Regierungschefs -, die wissen, dass wir die EU verändern müssen, wenn wir sie bewahren wollen”, sagte Kurz vor dem EU-Gipfel am Donnerstag im Ö1-Morgenjournal.

Um welche Regierungschefs es sich handle, wollte der Bundeskanzler nicht sagen: “Es gibt unterschiedliche, bei den Liberalen und auch bei der Europäischen Volkspartei, die hier einen ähnlichen Zugang haben wie ich”, meinte er. Natürlich wisse jeder, dass ein neuer Vertrag erhebliche Diskussionen auslösen werde und aufwendig sei, so Kurz. “Aber wenn man sich ehrlich ist, muss man doch sagen, die Europäische Union funktioniert grad eh irgendwie”, aber sie sei weit entfernt davon, international wettbewerbsfähig mit China oder den USA sein zu können.

Bundeskanzler für Ende des Einstimmigkeitsprinzips in Außenpolitik

Im Zuge einer Reform würden der Bundeskanzler im Bereich des Außenpolitik auch ein Ende des Einstimmigkeitsprinzips befürworten. “Das ist definitiv etwas, was ich mir gut vorstellen kann, weil ich weiß, dass uns das immer wieder auch blockieren kann”, sagte Kurz. Es brauche eine “EU mit mehr Fokus”, forderte er einmal mehr, also eine Zurückverlagerung einiger Kompetenzen auf die regionale und nationale Ebene und gleichzeitig “eine stärkere EU in Fragen, wo wir das dingend brauchen”, wie der Außenpolitik.

Auf die Kritik der Opposition, warum er seine Reformvorschläge nicht bereits während der EU-Ratspräsidentschaft vorangetrieben habe, entgegnete Kurz, dass er schon länger für diese Ideen kämpfe und außerdem die österreichische Ratspräsidentschaft am Ende einer Legislaturperiode auf europäischer Ebene stattgefunden habe. “Niemand wird doch glauben, dass so grundlegende Reformen möglich sind, wenn die Verantwortlichen in ihren letzten Zügen sind”, so Kurz. Der richtige Zeitpunkt sei daher nach der EU-Wahl mit einer neuen EU-Kommission und einem neuen EU-Parlament.

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(apa/red)

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