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Womöglich unmündige Taschendiebe: "Kinder sind Opfer - werden verheizt"

Die Kinder waren als Taschendiebe aktiv
Die Kinder waren als Taschendiebe aktiv ©dpa (Sujet)
Der womöglich erst zwölfjährige Taschendieb, der am vergangenen Freitag im Zweifel freigesprochen wurde, war anschließend in die "Drehscheibe" - eine Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge - gebracht worden und dort nach wenigen Minuten wieder getürmt.
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“Die Kinder werden verheizt in dem System”, sagte Norbert Ceipek, Leiter der Einrichtung, am Montag. Ceipek forderte “gemeinsame Richtlinien” jener Stellen, die mit solchen Kindern zu tun haben.

Ceipek: “Wir brauchen einen Modus Operandi”

“Ich halte es dringend für notwendig, dass sich Polizei, Staatsanwaltschaft und Amtsarzt mit uns zusammensetzen und Richtlinien erarbeiten. Wir brauchen einen Modus Operandi”, sagte Ceipek. Es müssten auch “die Leute befragt werden, die dann unmittelbar mit diesen sogenannten Kindern arbeiten müssen”, so der Leiter der Einrichtung des Magistrats. Denn es “geht nicht, dass eine 28-Jährige sagen kann, sie ist 13 Jahre alt”. Dies sei nämlich mitunter auch der Fall.

Bub war Teil einer Taschendiebe-Bande

Der Bub, der vom Richter im Zweifel für unmündig gehalten wurde und daher einen Freispruch erhielt, soll einer auf Taschendiebstähle spezialisierten Jugendbande angehören. Ceipek betreute innerhalb des letzten Jahres “über 50 Jugendliche dieser Bande”.

“Ich glaube, dass davon vielleicht drei unter 14 Jahre alt sind. Zwei, drei sind auch dabei, die sicherlich über 25 Jahre alt sind”, meinte der Chef der “Drehscheibe”. Werden sie von der Polizei gefasst, geben die Jugendlichen meist an, unmündig zu sein. “Wir werden da ausgespielt und an die Wand gedrückt”, betonte Ceipek. “Wenn wir uns jetzt zerfleischen darüber, was ist minderjährig oder unmündig oder mündig, dann lachen sich die Hintermänner ins Fäustchen”, sagte er.

“Drehscheibe”-Leiter: “Kinder sind Opfer”

Die Kinder “sind 100-prozentige Opfer”. Es müssten die “Organisation, die dahinter steht, die Hintermänner ausgeforscht werden”, so Ceipek. Denn erst sobald die “dingfest gemacht sind, kann man mit den Jugendlichen arbeiten. Dann nimmt man ihnen den Fluchtgrund weg”.

Vergangenen Freitag stand der nur 1,55 Meter große, schmächtige und ausgesprochen kindlich wirkende Bub vor Gericht. Im wurde vorgeworfen, seit vergangenem November in der Bundeshauptstadt gewerbsmäßig und als Teil einer kriminellen Vereinigung 25 Personen – vorwiegend Touristen – bestohlen zu haben.

“Er ging quasi seinem Beruf nach”

“Er musste das tun, er kennt nichts anderes, hat nichts anderes gelernt als stehlen und ging quasi seinem Beruf nach”, erklärte Ceipek. Zudem habe er Angst vor Repressalien der Hintermänner. “Ich glaube, dass er nicht mehr in Wien ist, er ist gefährlich geworden für die Hintermänner”, sagte Ceipek.

Der Bub war bereits mehrmals, auch unter anderem Namen, in der “Drehscheibe”, dort hat er “insgesamt drei verschiedene Geburtsdaten genannt”, sagte Ceipek. “Wenn er etwas gefragt wird, weicht er aus oder gibt keine Antwort”.

Der Bub sei zu 100 Prozent zum Opfer gemacht worden. Der Richter habe ihn mit seinem Freispruch “sehr wohl verurteilt – dazu dass er weitermachen soll”, so Ceipek. Denn es gebe zwei Möglichkeiten: “Entweder man zieht ihn aus dem Verkehr und versucht, innerhalb der Haftstrafe mit ihm zu arbeiten, oder man versucht, sofort an die Hintermänner heranzukommen, dass man ihm den Fluchtgrund wegnimmt”, so Ceipek.

Beträchtliche Einnahmen durch Bande

Die Einnahmen der Drahtzieher dürften beträchtlich sein: “Ich hatte welche dabei, die in der Früh und am Nachmittag von der Polizei erwischt worden sind und die 1.000 Euro bei sich hatten.” Laut dem Experten ist die Bande seit einem Jahr in Wien aktiv.

“Wohngruppen statt U-Haft”

Am Montag hat sich auch die Wiener Jugendrichterin Beate Matschnig zu den aktuellen Fällen zu Wort gemeldet. Matschnig pochte im Hinblick auf diese Fälle auf die rasche Umsetzung von Alternativ-Modellen zur Haft für Jugendliche, die eine unter Ex-Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) eingesetzte Expertengruppe unter dem Schlagwort “Taskforce Jugendhaft” im Vorjahr erarbeitet hat.

Die Jugendrichterin verlangte “Wohngruppen statt U-Haft, wobei es nötig wäre, dass man diese Wohnungen auch abschließen kann”. Dies deshalb, um die Betroffenen am Davonlaufen zu hindern und sie gezielt betreuen zu können, was im Gefängnis infolge nicht vorhandener personellen Kapazitäten kaum bzw. nicht möglich ist.

Kinder leben in totaler Abhängigkeit

Speziell die womöglich noch unmündigen Taschendiebe, die derzeit Gegenstand medialer Berichterstattung sind, wären nach Ansicht Matschnigs in solchen Wohngruppen gut aufgehoben: “Diese Kinder sind Opfer. Sie gehören konkret einer Bande von 100 Kindern an, die gezielt zum Stehlen ausgebildet und von ihren Hintermännern durch ganz Europa geschickt werden. Sie werden in totaler Abhängigkeit gehalten, müssen ihre Beute abliefern.”

Sobald diese in der Regel aus Südosteuropa stammenden Kinder 14 und damit strafunmündig sind, werden sie von der Straße abgezogen. “Man schickt sie dann zurück in die Heimat und weist ihnen dort jüngere Kinder zu, die sie dann zum Stehlen ausbilden”, so Matschnig.

Hintermänner schwer greifbar

Dass die Strafverfolgungsbehörden ihr primäres Augenmerk auf die kindlichen Täter richten, hält die Jugendrichterin für nicht ausreichend: “Man müsste sich einmal die Mühe machen, die so lange zu beobachten, bis man an die Hintermänner herankommt.”

Insofern ist es für Matschnig unverständlich, dass der am vergangenen Freitag enthaftete Bub von der Polizei zwar der “Drehscheibe” übergeben, aber offenbar nicht weiter observiert wurde. Der Bursch tauchte sogleich unter und dürfte sich – die Vermutung liegt zumindest nahe – wieder im Umfeld seiner Bande befinden.

(apa/red)

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