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Wiener Terrornacht: Theater- und Operngäste saßen fest

Das Burgtheater durften die Gäste erst nach Mitternacht verlassen.
Das Burgtheater durften die Gäste erst nach Mitternacht verlassen. ©APA/HERBERT NEUBAUER
Nach den Attentaten in der Wiener City gingen auch Kulturtempel in der Innenstadt in den Lockdown, um ihre Gäste zu schützen. Staatsoperngäste wurden ab 23.45 Uhr aus dem Haus am Ring evakuiert, im Burgtheater konnten die Besucher um 0.45 Uhr das Haus verlassen.
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In vielen großen Kulturinstitutionen in der Wiener Innenstadt wurden gestern die letzten Vorstellungen vor dem Lockdown gespielt, als die ersten Nachrichten des Anschlags in unmittelbarer Nähe eintrafen. Und so verlief der Abend auch nach den Vorstellungen für die Besucher dramatisch.

In der Wiener Staatsoper war das Verismo-Operndoppel "Cavalleria Rusticana" und "Pagliacci" unter anderen mit Superstar Roberto Alagna angesetzt. Kurz vor der Pause, die gegen 20.40 Uhr startete, seien erste Gerüchte über eine Schießerei durchgesickert, berichtete eine Sprecherin der APA. Die Idee, den Abend abzubrechen, verwarf man aber und entschied sich angesichts der Umstände für das Weiterspielen.

Operngäste durften Haus nicht verlassen

So erfuhren viele der Operngäste erst nach dem Schlussapplaus von Direktor Bogdan Roscic vom Ernst der Lage, als sich dieser vor den Vorhang begab und die Anordnung der Sicherheitsorgane verkündete, dass aufgrund des Terroranschlags derzeit niemand das Haus verlassen solle. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich alleine 1.000 Zuschauer im ausverkauften Saal, zu denen noch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Oper kamen.

Im Anschluss wurden die Büfetts des Hauses geöffnet. Markant sei die ruhige Stimmung der Besucher gewesen, berichtet die Staatsopern-Sprecherin, die am Abend selbst vor Ort war. Von Hysterie oder Panik sei nichts zu spüren gewesen. So sei auch nach der Roscic-Durchsage weiter applaudiert worden. Über den weiteren Abend hinweg hielt der Direktor die Anwesenden via Durchsage über den aktuellen Stand am Laufenden.

Opernorchester spielte für kaserniertes Publikum

In der Zwischenzeit intonierte das Staatsopernorchester für die Anwesenden Haydns berühmtes "Kaiserquartett" aus 1799. Dessen zweiter Satz variiert Haydns bekannte Melodie "Gott erhalte Franz, den Kaiser" und diente Jahrzehnte später August Heinrich Hoffmann von Fallersleben als Musik für das "Lied der Deutschen" - und ist somit die heutige deutsche Nationalhymne.

Die Twitter-Nutzerin Barbara Lovett, die am fraglichen Abend mit den anderen Zuschauern in der Staatsoper kaserniert, postete über das Ereignis: "Während wir warteten, haben einige Mitglieder der Wiener Philharmoniker zu spielen begonnen. Kein Angriff wird je die Musik in Wien zum Verklingen bringen." Dazu teilte Lovett ein kurzes Video des Moments.

U-Bahn brachte Gäste nach Hause

Die erste Gruppe, die das Haus verlassen konnte, waren dann die an der Aufführung beteiligten Kinder. Deren Eltern konnten unter Schutz der Polizei zufahren und die Kleinen gegen 23.15 Uhr in Empfang nehmen. Gegen 23.45 Uhr konnte schließlich die erste Gruppe an Gästen die Staatsoper verlassen - via U-Bahn. Ein Zug mit vier Waggons wurde mit Fahrtrichtung Hütteldorf zur Verfügung gestellt, was eine Mehrheit der Anwesenden nutzte. Kurz vor 0.30 Uhr wurden dann zwei weitere Garnituren Richtung Hütteldorf respektive Heiligenstadt zur Verfügung gestellt, um die letzten Verbliebenen aus dem Gebäude evakuieren zu können.

Die Direktion des Burgtheaters war bereits frühzeitig mit der Polizei in Kontakt, so die Sprecherin des Hauses, die die Ereignisse selbst im Burgtheater miterlebte. Man sei gebeten worden, in Akademie- und Burgtheater, wo zu diesem Zeitpunkt Vorstellungen von "Der Henker" und "Das Himmelszelt" in Gang waren, die Eingangstüren von innen zu verschließen, sodass diese nur als Fluchtwege zu benutzen seien. Es wurde empfohlen, die Besucher zu bitten, nach der Vorstellung bis auf Weiteres in den Gebäuden zu bleiben.

Burgtheater wurde kurz vor 1 Uhr früh evakuiert

Im Burgtheater informierte Direktor Martin Kusej die Zuschauer persönlich. Der Theaterchef habe ohnedies geplant gehabt, gemeinsam mit der Ensemblevertretung angesichts des bevorstehenden Lockdowns zu den Besuchern zu sprechen, hieß es. Im Akademietheater übernahm diese Information der Abenddienst. "Die Leute waren sehr kooperativ und sind sehr ruhig geblieben", so die Sprecherin. Man habe schließlich Wasser verteilt bzw. die Pausenbüfetts zum Erwerb von Getränken geöffnet, wobei immer wieder auf Einhaltung der notwendigen Abstände hingewiesen worden sei. In beiden Häusern habe man gemeinsam mit den Schauspielern spontan Publikumsgespräche abgehalten, wobei neben produktionsbezogenen Fragen natürlich auch die Situation der Theater im Lockdown zum Thema gemacht worden sei.

Nach knapp dreistündiger Wartezeit sei das Burgtheater gegen 0.45 Uhr evakuiert worden, im Akademietheater bereits früher. Dort seien die Besucher unter Polizeischutz zur U-Bahn-Station Stadtpark geleitet worden, wo bereits ein U-Bahn-Sonderzug gewartet habe. Vom Burgtheater seien die Besucher zur U-Bahn-Station Schottentor geleitet worden.

Im direkt neben dem Akademietheater gelegenen Wiener Konzerthaus waren knapp 1.000 Musikfreunde von der Sperre angesichts des nahegelegenen Terrors betroffen. Hier war ein Doppelkonzert von Starpercussionist Martin Grubinger mit der Bläserphilharmonie Mozarteum Salzburg angesetzt. Während die Besucher des ersten, gegen 20 Uhr beendeten Konzerts das Haus noch unbehelligt verlassen konnten - darunter auch Intendant Matthias Naske - saßen die Gäste der Nachfolgeveranstaltung fest. Grubinger und seine Mitstreiter hatten bis rund 22 Uhr gespielt.

Die Anwesenden wurden mit Getränken versorgt und gebeten, das Haus nicht zu verlassen - eine Aufforderung, der sehr ruhig nachgekommen worden sei, berichtet eine Sprecherin der APA. Gegen Mitternacht konnte der Konzertbau dann evakuiert und die Anwesenden von der Polizei zur U-Bahn eskortiert werden.

Auch Gäste des Musikvereins saßen fest

Glück angesichts der Umstände hatten die Besucher des gestrigen Konzerts der Wiener Symphoniker im Goldenen Saal des Musikverein. Da hier die Veranstaltung kurz vor 20.30 Uhr aus war, konnten diese Gäste noch unbehelligt den Musikverein verlassen - nicht so jene, die sich zum Bluesmusiker Hans Theessink im Gläsernen Saal eingefunden hatten.

Theessink hatte als letztes geplantes Konzert vor dem Lockdown erst gegen 20 Uhr begonnen - worauf die rund 100 Konzertgäste im Anschluss zunächst festsaßen. Man habe die Menschen mit Getränken versorgt und Neo-Intendant Stephan Pauly sich unter die Gruppe gemischt, hieß es auf Nachfrage aus dem Musikverein. Gegen 0.20 Uhr konnte dann diese letzte Gruppe an Musikfreunden das Haus nahe der Ringstraße verlassen.

Kammerspiele der Josefstadt mit wirrem Facebook-Posting

Verwirrung gab es in der Nacht rund um die Lage in den Kammerspielen der Josefstadt. So wurde auf der offiziellen Facebook-Seite des Theaters gepostet: "Die Kammerspiele wurden um 20:00 von der WEGA evakuiert. Das Publikum wurde in einen Schutzraum gebracht. Sollten sich Ihre Lieben nicht auf dem Heimweg befinden, sind sie dort. Machen Sie sich keine Sorgen." Unmittelbar darauf folgte in den Kommentaren ein Dementi der Schauspielerin Sona MacDonald, die an dem Abend mit Martin Niedermair im Marlene-Dietrich-Abend "Engel der Dämmerung" auf der Bühne stehen sollte: "Dies sind Unwahrheiten! Es gab keinen Schutzraum für das Publikum", postete die Schauspielerin. Auch zahlreiche Besucher der Vorstellungen posteten Gegenteiliges: "Uns ging es wie den anderen Gästen, von einem Schutzraum war keine Rede. Wir gingen dann in Richtung Stubentor und Urania. Unsere Jacken sind ebenfalls im Theater, kann man die irgendwann abholen?" Ein anderer Besucher schrieb: "Schutzraum??? Wir wurden von der Polizei aufgefordert, Richtung Fleischmarkt zu laufen. Von einem Schutzraum höre ich zum ersten Mal...". Oder auch: "Schutzraum??? Meine Oma wurde aufgefordert das Theater zu verlassen und ist dann 2 Stunden durch die Innenstadt geirrt!" Das Social-Media-Team des Theaters antwortete einigen Usern, darunter: "das tut uns leid, wir haben diese Info erhalten...."

Innenstadthotel bot Kammerspiel-Publikum Schutz

Die Kammerspiele der Josefstadt befinden sich in der Rotenturmstraße unweit des Schwedenplatzes in der Wiener Innenstadt und waren somit gestern, Montag, Abend in der unmittelbaren Gefahrenzone des Terroranschlags. Laut einer Sprecherin des Theaters in der Josefstadt habe die Polizei gegen 20 Uhr die seit 19.30 Uhr laufende Vorstellung des Dietrich-Abends "Engel der Dämmerung" unterbrochen und die rund 260 Zuschauer zum unverzüglichen Verlassen des Theaters aufgefordert.

Dies sei auch sofort - unter Zurücklassen der abgegebenen Garderobe - geschehen. Gleichzeitig habe das Theater eine sichere Rückzugsmöglichkeit in einem nahen Innenstadthotel organisiert, die als "Schutzraum" von weniger als 20 Personen auch in Anspruch genommen worden sei. Im Hotel habe man sich überaus zuvorkommend um die Menschen gekümmert, es seien Getränke, aber auch Zimmer zum Übernachten angeboten worden.

Im Theater in der Josefstadt selbst stand Direktor Herbert Föttinger bei "Jacobowsky und der Oberst" auf der Bühne und machte nach der Vorstellung persönlich eine Ansage. Die Zuschauer konnten geordnet das nicht in unmittelbarer Innenstadtlage gelegene Theater verlassen.

(APA/red)

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