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Wien-Wahl: Der lange Kampf um das Ausländerwahlrecht

Bei der Wien-Wahl ist der Pass nicht egal.
Bei der Wien-Wahl ist der Pass nicht egal. ©APA/HANS PUNZ
Laut Experten sollten Länder einen größeren Spielraum haben, was das Ausländerwahlrecht betrifft. Die Thematik ist dabei nicht ganz neu: Bereits 2004 ist ein Versuch des Ausländerwahlrechts geplatzt.
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Angesichts des steigenden Anteils der nicht Wahlberechtigten plädieren Experten dafür, den Ländern Spielraum zur Einführung eines Ausländerwahlrechts zu geben. Als Vorbild nennt der Politikwissenschafter Gerd Valchars die Wahlaltersenkung auf 16, die ebenfalls zuerst in Gemeinden und Ländern ausprobiert wurde. "Das wäre der Sinn eines Föderalismus, dass man gewisse Experimente und Innovationen ermöglicht", meint auch der Verfassungsjurist Peter Bußjäger.

Bedenken gegen ein bundesweites Ausländerwahlrecht kann der Politikwissenschafter Jeremias Stadlmair durchaus nachvollziehen. "Was ist die Staatsbürgerschaft, wenn es nicht die volle Teilhabe ist? Darauf eine vernünftige Antwort zu geben, was der Staatsbürgerstatus ist, wenn ich das Wahlrecht davon entkopple, ist nicht ganz einfach", räumt er gegenüber der APA ein. Andererseits müsse es auch eine Lösung für Menschen geben, die in Österreich geboren sind, ihr ganzes Leben hier verbringen, "aber die Staatsbürgerschaft nicht geerbt haben".

Sowohl Valchars als auch Stadlmair schlagen daher zum einen ein weniger restriktives Staatsbürgerschaftsrecht vor. Wer Österreicher werden will, muss derzeit nämlich zehn Jahre lang hier leben, ein gesichertes Einkommen haben, unbescholten sein und auf seine alte Staatsbürgerschaft verzichten. Beide Politikwissenschafter schlagen vor, unter bestimmten Voraussetzungen eine Verleihung der Staatsbürgerschaft bei Geburt in Österreich anzudenken. Das wäre - im Gegensatz zu einer Wahlrechtsänderung - auch mit einfacher Parlamentsmehrheit möglich.

Ausländerwahlrecht soll Ländersache sein

Zusätzlich plädiert Valchars dafür, die Entscheidung über ein Ausländerwahlrecht auf Landes- und Gemeindeebene den Ländern zu überlassen. Dafür wäre - wie der Verfassungsgerichtshof bereits 2004 entschieden hat - eine Verfassungsänderung nötig. Auch Bußjäger würde die Länder selbst über ein Ausländerwahlrecht bei Landes- und Gemeindewahlen entscheiden lassen. Der Spruch der Verfassungsrichter aus 2004 habe "das Wahlrecht in Beton gegossen" und die Innovationsfähigkeit des Föderalismus eingeschränkt, sagt der Jurist. Und die EU-Kommunalwahlrichtlinie sehe nur ein Wahlrecht der EU-Bürger zum Gemeinderat (in Wien Bezirksvertretung) vor, nicht aber auf Landesebene. Stadlmair verweist außerdem darauf, dass Länder und Gemeinden ihre Zuwanderung nicht selbst steuern können. Es mache daher wenig Sinn, die nationale Staatsbürgerschaft zur Voraussetzung für lokale Teilhabe zu machen.

Für Valchars und Stadlmair bringt der Ausschluss weiter Teile der Bevölkerung von den Wahlen eine Reihe negativer Folgen mit sich. So seien bestimmte Bevölkerungsgruppen und Regionen in der Politik "unterrepräsentiert". Etwa weil Wien weniger Nationalratsabgeordnete stellt als Niederösterreich, obwohl es deutlich mehr Einwohner (aber eben weniger Staatsbürger) hat. Oder weil der Ausländeranteil unter Jungen, Geringverdienern und Arbeitern höher ist als unter Pensionisten. "Die Jungen sind im Elektorat deutlich unterrepräsentiert, Ältere überrepräsentiert", betont Valchars.

Ein weiteres mögliches Problem führt Stadlmair an: er hat die Wahlbeteiligung in den Wiener Bezirken untersucht und festgestellt, dass ein hoher Anteil nicht wahlberechtigter Einwohner auch die Wahlbeteiligung der österreichischen Bevölkerung senkt. Wie dieser Effekt zustande komme, sei nicht ganz klar, meint der Politikwissenschafter. Eine mögliche Erklärung sei allerdings, dass Nichtwählen ansteckend wirke und auf Familie und Freunde abfärbe: "Wählen ist ein sozialer Akt und hat mit einer Norm zu tun, dass wir wählen gehen sollen. Diese Norm verliert natürlich an Bedeutung, wenn viele nicht wählen können."

Versuch in Sachen Ausländerwahlrecht 2004 geplatzt

Wien hat schon einmal versucht, mittels Änderung der Wahlordnung ein Ausländerwahlrecht zumindest auf Bezirksebene einzuführen. 2002 erfolgte ein entsprechender Beschluss. Er zeitigte einen Disput mit dem Bund und dann 2004 ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs, mit dem die Pläne platzten. Ob ein derartiger Vorstoß in naher Zukunft wiederholt wird, darf bezweifelt werden. Bürgermeister Michael Ludwig hat die bisher liberale Linie der SPÖ zuletzt nämlich verschärft.

"Ausländerwahlrecht ist beschlossene Sache" - So lautete am 13. September 2002 die Schlagzeile nach der Abstimmung im Landtag. SPÖ und Grüne hatten die entsprechende Novelle abgesegnet, wobei die Zustimmung der grünen Fraktion nicht nötig gewesen wäre. Die Sozialdemokraten verfügten zu jener Zeit über die absolute Mandatsmehrheit im Stadtparlament.

Betroffen war damals die Bezirksebene, also die Bezirksvertretungswahlen. Durch die Änderung hätte sich die Anzahl der Stimmberechtigten naturgemäß erhöht: Zu den 1,121.767 bei den Bezirksvertretungswahlen 2001 wahlberechtigten Österreichern und EU-Bürgern wären nach damaligen Stand rund 100.000 Drittstaatsangehörige über 16 Jahren dazugekommen.

Der damalige SPÖ-Klubobmann Christian Oxonitsch versicherte am Tag der Abstimmung, dass es seiner Partei "verdammt ernst" mit einem Mehr an Demokratie in Wien sei. Angesichts des wachsenden Bedürfnisses der Menschen, über ihr Leben zu bestimmen, dürften die Einrichtungen der Demokratie nicht unverändert bleiben. Beim Ausländerwahlrecht nehme Wien nun eine Vorreiterrolle innerhalb Österreichs ein und folge gleichzeitig erfolgreichen internationalen Beispielen, hieß es damals.

Auch die Grünen jubelte, allerdings mit Einschränkungen. Maria Vassilakou, zu jener Zeit nicht amtsführende Stadträtin, stieß sich an dem Passus, dass sich Drittstaatsangehörige fünf Jahre lang in Wien aufhalten müssen, bevor sie das Wahlrecht erhalten. Sie verlangte die Abschaffung dieser Frist - oder zumindest eine Änderung, wonach ein Aufenthalt im Bundesgebiet ausreiche. FPÖ und ÖVP kritisierten die Pläne. Sie zeigten sich überzeugt, dass das Ausländerwahlrecht schlicht nicht verfassungskonform sei.

Ausländerwahlrecht nicht verfassungskonform

Der VfGH gab ihnen 2004 Recht. Dort war das Gesetz gelandet, nachdem Wien einen sogenannten Beharrungsbeschluss gefällt hatte. Dieser war nötig geworden, weil die Bundesregierung - damals von ÖVP und FPÖ gebildet - im Ministerrat formal mit einem Einspruch gegen das Regelwerk vorgegangen war.

Die Höchstrichter hoben das Gesetz auf. Der damalige VfGH-Präsident Karl Korinek stellte klar, dass es sich um eine "relativ einfache Rechtssache" gehandelt habe. Das Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger auf Bezirksebene ist demnach verfassungswidrig, weil es gegen das "Homogenitätsprinzip" verstößt, das ein einheitliches Wahlrecht fordert. Dieses komme nur österreichischen Staatsbürgern zu, wobei es eine Ausnahme für EU-Bürger gebe.

Der VfGH verwies auf den Artikel 1 des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG): "Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus." Der Begriff des Volkes knüpfe dabei an die Staatsbürgerschaft an. Auch die Tätigkeit der allgemeinen Vertretungskörper falle unter Artikel 1 B-VG. Für die Schaffung eines Ausländerwahlrechts müsse es darum eine generelle Verfassungsänderung geben, betonte Korinek in einer Stellungnahme.

Wahlrecht mit Staatsbürgerschaft verbunden

Im Rathaus beschränkte man sich in weiterer Folge darauf, den Bund zu ersuchen, für die Schaffung eines kommunalen Wahlrechts für Ausländer einzutreten. Doch inzwischen ist auch die einstige Mehrheit für ein solches im Wiener Rathaus ungewiss. Denn niemand geringerer als SPÖ-Chef und Bürgermeister Michael Ludwig hat sich zuletzt ablehnend gezeigt, zumindest was ein Wahlrecht bei gesetzgebenden Körperschaften, also etwa für den Landtag, betrifft. Das Wahlrecht sollte mit der österreichischen Staatsbürgerschaft verbunden sein, befand er.

Die Grünen sprechen sich weiterhin für ein Ausländerwahlrecht aus. "Alle, die in Wien leben, haben das Recht, zu wählen", heißt es dazu im aktuellen Wahlprogramm. Die NEOS fordern, das Wahlrecht für EU-Bürger auf die Gemeinderatsebene auszuweiten. ÖVP und FPÖ wollen hingegen keinesfalls davon abrücken, das Wahlrecht ausschließlich Staatsbürgern zuzuerkennen, wie sie stets betonen.

(APA/red)

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