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Status Quo in der Ziedlergasse: Liesinger BV Gerald Bischof im Interview

Die Flüchtlingsunterkunft in einem leeren Fabriksgebäude in der Ziedlergasse hat im Vorfeld für allerlei Kontroverse gesorgt. Besorgte Anrainer machten ihrem Unmut bei Bürgerversammlungen Luft, die FPÖ organisierte eine Protestkundgebung - Befürworter des Projekts hielten wiederum dagegen. VIENNA.at sprach mit Bezirksvorsteher Gerald Bischof über den Status Quo, Befürchtungen, Realität - und wie es in der Ziedlergasse weitergeht.
Die Unterkunft Ziedlergasse
Großer Anrainer-Protest
Demo und Gegendemo

Die Liesinger FPÖ plakatierte, dass die Flüchtlingsunterkunft Ziedlergasse „den Bezirk spaltet“ – sehen Sie das auch so?

Die FPÖ war wesentlicher Bestandteil dieser sehr polarisierenden Diskussion. Wir in den Bezirksgremien haben erst im Dezember vom Fonds Soziales Wien erfahren, dass in dem Haus eine Flüchtlingsunterkunft in Betrieb gehen wird. Ab diesem Zeitpunkt haben sich parteipolitisch auf Bezirksebene zwei Gruppen herauskristallisiert – hierbei eben die Freiheitlichen, die ohne Wenn und Aber meinten: “So etwas wollen wir hier nicht!” – da ging es nicht um die Größenordnung, sondern ums Prinzip. SPÖ, ÖVP, Grüne und NEOS wiederum fanden: “Trotz aller Herausforderungen werden wir uns die Sache mal anschauen und mithelfen, die Rahmenbedingungen zu gestalten.” Wir als 23. Bezirk konnten und wollten uns in dieser internationalen Krise nicht verschließen und sagen, an den Grenzen von Liesing hört dieses Thema auf …

Ich hab in den letzten Monaten der Diskussion nie mitbekommen, dass die Liesinger Freiheitlichen auch nur ansatzweise Antworten geliefert hätten, wie man mit diesen Herausforderungen umgehen könnte.

Sondern?

Stattdessen gab es immer nur die klare Aussage: “Wir müssen keine Antworten geben, wir sind schließlich nicht zuständig.” Nach einer unserer beiden Bürgerversammlungen wurde das auch klar in der “Zeit im Bild”, als der Liesinger FPÖ-Parteiobmann Wolfgang Jung Armin Wolf Rede und Antwort stand. Da hat er klar und deutlich gesagt, dass er “ja nicht sagen muss, was man tun soll”. Lange Rede, kurzer Sinn: Die Freiheitlichen haben die Debatte von Anfang an hocheskaliert und hätten gerne eine “Spaltung” im Bezirk gesehen – die ist meiner Meinung nach aber nicht eingetreten.

Causa Ziedlergasse: FPÖ als “emotionaler Brandbeschleuniger”

Wie sind Sie den Sorgen der Anrainer begegnet?

Ich merke jetzt, nachdem das Haus gut einen Monat bewohnt ist, dass in den Vormonaten Szenarien in den Köpfen der Leute entstanden sind, die nicht eingetroffen sind und auch nie eintreffen werden. Wenn – zu recht – Sorgen und Bedenken der Anrainer da sind, muss man versuchen, Antworten zu geben – natürlich nicht, die Dinge schön zu reden, denn das alles ist natürlich kein “Ponyhof”. Wenn man aber aus Sorgen der Leute ganz bewusst Ängste macht, so wie es die Liesinger Freiheitlichen gemacht haben – sprich wenn man als “emotionale Brandbeschleuniger” agiert – kochen eben derartig die Emotionen hoch, wie es bei den Bürgerversammlungen der Fall war.

Ab dem 1. März-Wochenende, als das Haus in Betrieb ging, hat sich schnell gezeigt, dass dort durchaus “ganz normale” Menschen einziehen. Es sind derzeit ausschließlich Familien, die alles andere im Sinn haben, als in der Gegend Unfrieden zu stiften.

Stichwort Emotionen: Was ware die primären Sorgen im Vorfeld?

Zu 99 Prozent ging es um Sicherheitsfragen, natürlich auch wegen der Szenen in Köln, die zeitnah durch die Medien gegangen sind. Die Bedenken drehten sich um die Sicherheit von Frauen, die Sicherheit auf der Straße, befürchtete Einbrüche, … Wir haben uns der Diskussion auch offen gestellt, gemeinsam mit der Polizei, die für die öffentliche Sicherheit zuständig ist. Die hat aus Erfahrung mit ähnlichen Häusern in der Stadt gesagt, dass es keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Unterbringung von Flüchtlingen und einem Anstieg an kriminellen Handlungen vor Ort gibt.

Dass es natürlich immer wieder vorkommt, dass Asylwerber sich nicht an Gesetze halten, ist auch klar – da soll es auch kein Pardon geben. Aber automatisch den Rückschluss zu ziehen, dass man, sobald ein paar hundert Leute für einige Monate wo untergebracht werden, nicht mehr ohne Begleitschutz auf die Straße gehen kann, ist auch sehr oberflächlich gedacht.

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Bild: APA

Wie viele Personen wohnen aktuell in der Ziedlergasse?

Derzeit sind es 113 Personen. Das hat mit zwei Dingen zu tun: Zum einen, dass die Unterbringungsmöglichkeiten in Wien fast ausschließlich zeitlich begrenzt sind. Beispiel: Die Erste Bank hat den Johannitern eine ehemalige Filiale auf der Mariahilfer Straße gratis überlassen, beginnend ab September 2015. Im März haben sie die Filiale aber wieder zurückgebraucht. Die Flüchtlinge von dort kamen dann eben in die Ziedlergasse. Diese rund 90 Personen sind mitsamt Betreuungspersonal übersiedelt, einige einzelne Familien kamen dann noch dazu.

Der nächste Schritt kommt im Mai: Der Arbeiter-Samariterbund hat in einem Haus im 12. Bezirk, das einige Monate vom Eigentümer Kolping nicht benutzt wurde, Familien betreut. Im Frühsommer soll das Haus saniert und ein modernes Studentenwohnheim werden. Beginnend mit den Bauarbeiten müssen die Flüchtlinge dort raus – das werden rund 150 Personen sein, die dann ebenfalls in die Ziedlergasse übersiedeln werden.

“Man darf sich das nicht als ‘Flüchtlingspension’ vorstellen”

Wie lange wird die Ziedlergasse so bestehen, wie sie jetzt ist? Wann müssen die Flüchtlinge, die jetzt drinnen sind, wieder raus?

Das Haus ist grundsätzlich nur als Notquartier ausgerichtet. Es entstand noch aus der Situation vom Sommer/Herbst 2015, als Tausende durch Österreich durchzogen und viele auch geblieben sind. Die waren oft in ganz schlechten Situationen untergebracht, weil man keine Alternativen hatte. Etwa das Dusika Radstadion beim Prater, wo die Leute auf Isomatten einquartiert wurden, damit sie nicht im Freien schlafen müssen. Aus dieser Situation heraus hat die Stadt Wien Notquartiere gesucht.

Die Ziedlergasse ist zwar besser als ein Radstadion, aber man hat 6- bis 8-Bett-Zimmer mit Stockbetten, Aufenthaltsräume, Speiseräume, und das war’s. Man darf sich das nicht als “Flüchtlingspension” vorstellen, es kann kein Dauerquartier sein, das funktioniert schon nicht wegen der Raumstruktur. Das Ziel ist, dass jene, die bleiben wollen, bereits während des Asylverfahrens in kleinere Quartiere siedeln können, bzw. jene mit positivem Asylbescheid schließlich in Privatwohnungen unterzubringen. Die Ziedlergasse ist ein reines Übergangsquartier, weil der Weg ins kleinere Quartier Zeit braucht – da diese zum Teil einfach noch nicht verfügbar sind.

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Bild: APA

Was machen die 113 Personen, die in der Ziedlergasse wohnen, den ganzen Tag?

Aktuell sind darunter 54 Kinder und Jugendliche, die haben seit dem Schulbeginn nach Ostern vor Ort Deutschunterricht mit Lehrern der Stadt Wien. Die Erwachsenen besuchen eigene Deutschkurse, an Volkshochschulen und anderen Schwerpunktstandorten.

Warum sind die Kinder nicht in Schulen des Bezirks gekommen?

Weil es nicht sinnvoll wäre. Es ist nicht geplant, dass die Kinder und ihre Familien längerfristig in Liesing bleiben. Sie in einer Regelschule einzuschulen, nur, damit sie nach ein paar Monaten in einen ganz anderen Bezirk ziehen müssen, ist nicht vernünftig.

“Keine einzige Beschwerde”

Haben Sie schon Gespräche mit Anrainern geführt, die nach ersten Bedenken schließlich gesehen haben, dass es doch funktioniert?

Ja. Ich will niemanden interpretieren, mit dem ich noch nicht gesprochen habe, aber es zeigt sich, dass der Unterschied zwischen Befürchtungen und Realität in der Praxis erfreulicherweise sehr groß ist. Seit das Haus in Betrieb ist, ging bei mir keine einzige Beschwerde ein. Ich stehe in intensivem Kontakt mit der Polizei und den NGOs vor Ort, die wissen von keinen gröberen Vorfällen zu berichten.

Obwohl schräg vis-à-vis ein Gemeindebau mit sehr vielen Bewohnern steht?

Die Bedenken entstanden aus den Bildern von Tausenden Asylwerbern am Westbahnhof, von Tausenden Wartenden an den Grenzen. Das die Leute im Gemeindebau sagen, so etwas wollen wir hier nicht, verstehe ich. Doch die Menschen in der Ziedlergasse sind größtenteils “angekommen” und möchten gerne bleiben. Die wollen möglichst nicht auffallen und ihre Ruhe nach all dem Wahnsinn, den sie hinter sich haben.

Das haben die Mitarbeiter von den NGOs im Vorfeld auch betont: Die schwierigste Zeit ist meist die, bevor solche Einrichtungen in Betrieb gehen, weil sich viele oft das Schlimmste vorstellen.

Waren die Bürgerversammlungen wirklich so emotional, wie in den Medien beschrieben?

Ja, extrem. Nicht zuletzt, weil eben im Vorfeld die Befürchtungen der Leute – klar politisch motiviert – angeheizt wurden. Es war teilweise schwierig, überhaupt zu diskutieren. Wenn man sich fast nur noch auf emotionaler Ebene bewegt, wird eine sachliche Debatte schwierig.

“Politischer Aktionismus der FPÖ”

Waren Sie überrascht über diese stark emotionalen Reaktionen?

Schon in den Wochen davor stand bei mir fast nur mehr dieses Thema an der Tagesordnung, in Telefongesprächen, E-Mails, Gesprächen auf der Straße … daher war ich nicht sonderlich überrascht. Die Schärfe einiger Wortmeldungen hat mich trotzdem unangenehm berührt. Mein Standpunkt ist ja, dass man es im Regelfall besser miteinander als gegeneinander schafft, mit kühlem Kopf. Da waren manche Zwischenrufe einfach nicht schön, was dann in Schreiereien bei der Demonstration auf der Straße gegipfelt hat – so etwas löst keine Probleme.

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Bild: APA

Auf der Homepage der Bürgerinitiative „Wir Liesinger“ steht: Wir wurden weder über das geplante Projekt rechtzeitig informiert, noch wurde uns eine Mitsprachemöglichkeit eingeräumt – war das wirklich so?

Wie bereits gesagt haben wir selbst erst im Dezember von den Plänen erfahren. Gleich im Anschluss habe ich die politischen Gremien des Bezirks informiert, es gab eine Sitzung noch vor Weihnachten. Damals waren ja noch kaum Fakten oder Strategien bekannt, weder zur Sicherheitsfrage noch zur tatsächlichen Anzahl. Man bekommt solche Pläne ja nicht als fertiges Modell auf den Tisch gelegt, das ist “work in progress”.

Bei der Sitzung wurde eigentlich vereinbart, dass wir nach den Feiertagen damit an die Öffentlichkeit gehen – um auch mit tatsächlichem Wissen qualitativ informieren zu können, denn auf die Fragen der Anrainer mit “Das wissen wir selbst noch nicht”, zu reagieren, ist problematisch. Nur hat die FPÖ die Gunst der Stunde genutzt und ist schon vor Weihnachten, entgegen der Vereinbarung, an die Öffentlichkeit gegangen. Damit wurde aus der Diskussion das, was sie war. Das Überkochen der Emotionen ist dem politischen Aktionismus der Liesinger FPÖ zu verdanken – dabei bleibe ich.

Werden künftig Maßnahmen in Liesing gesetzt, um einen Austausch zwischen Anrainern und Asylwerbern zu ermöglichen?

Es gibt zum Glück auch einen großen Teil der Liesinger, die das Ganze als durchaus bewältigbar ansehen. Unlängst gab es im Bezirksamt ein Treffen, wo wir über die einzelnen Bereiche, in denen man mithelfen kann, informiert haben. Sprachunterricht, Freizeitgestaltung, Kinderbetreuung, Spenden – dazu gab es Info-Tische, wo die Leute sich melden konnten. Da gab es wirklich großen Zuspruch.

Im Mai wird voraussichtlich im Außenbereich der Ziedlergasse ein Event stattfinden, bei dem Anrainer vorbeikommen können und man sich austauschen kann. Die Profis von den NGOs sagen, je mehr sich die Flüchtlinge beobachtet fühlen, desto schlechter ist es für die Stabilität in dem Haus. Darum kann man dort keinen “Tag der Offenen Tür” machen, wo die Anrainer durchs Haus spazieren können – “Flüchtlinge schauen” wie in einem Zoo geht ja auch nicht. Daher wird das Event im Freien stattfinden. Für Einzelpersonen ist es aber durchaus möglich, bei der Info-Hotline anzurufen und mal vorbeizukommen – und das haben schon einige Anrainer genutzt.

>> Sie haben Fragen oder wollen mithelfen? Die Info-Hotline zur Flüchtlingsunterkunft Ziedlergasse erreichen Sie unter +43 676 831 12 842.

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