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"Machos und verletzte Ehre" – Woher kommt die Gewalt?

Bei einer Kurden-Demonstration in Bregenz kommt es 2014 am Rande zu einer Messerstecherei zwischen Türken und Tschetschenen.
Bei einer Kurden-Demonstration in Bregenz kommt es 2014 am Rande zu einer Messerstecherei zwischen Türken und Tschetschenen. ©APA, Stiplovsek, handout/okay
Gewalt, Belästigungen und Drogendelikte – ein Polizeibeamter beklagt die explodierte Gewaltbereitschaft vor allem unter Türken, Kurden und Tschetschenen. W&W hat Experten dazu befragt.
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Von Anja Förtsch (Wann&Wo)

Wenn sich die Anrainer einer Disco über sie und ihre Gäste beschweren, ist das schon bedenklich genug. Wenn aber sogar ein Polizeibeamter die Gemeindevorstände aufsucht und eine Vorverlegung der Sperrstunde fordert, weil er und seine Kollegen der Lage kaum noch Herr werden, hat das noch eine zusätzliche, ganz besondere Schärfe. Genau das ist in der vergangenen Woche in Sulz geschehen: Lothar Mathies, stellvertretender Kommandant der Polizeiinspektion Sulz, berichtete dem Gemeindevorstand von 200 Strafdelikten in nur 13 Monaten im Umfeld der Vabrik in Röthis. In der Wahrnehmung der Beamten sei auch die Schwere der Delikte gestiegen, vor allem von Tschetschenen, Türken und Kurden. Sicherheitslandesrat Christian Gantner sprach sich im WANN & WO-Interview für verstärkte Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen in und um Clubs aus – sowohl durch die Polizei als auch durch die Betreiber selbst – und verwies etwa auf verpflichtende Werte- und Orientierungskurse, die junge Asylwerber ab 15 Jahren abschließen müssen. Aber was sagen Experten zum vermeintlich besonders hohen Gewaltpotenzial unter diesen Migrantengruppen?

Spezielle Konfliktherde

Das Land beschäftigt sich bereits seit Längerem mit der Frage, wie „mit problematischen Entwicklungen und Milieus“ im Zusammenhang mit Migration und Integration umgegangen werden soll – und hat dafür sogar ein umfangreiches, 13-seitiges Strategiepapier aufgesetzt, das WANN & WO vorliegt.

Ausgearbeitet wurde es vom Diplom-Soziologen Kenan Güngör und Eva Grabherr, Geschäftsführerin der Integrationsprojektstelle „okay.zusammen leben“. Im Gespräch mit WANN & WO bestätigt Güngör, dass unter bestimmten Migrationsgruppen ganz eigene Konfliktherde brodeln: „Gerade in der türkischen und kurdischen Gesellschaft sind Männlichkeit und Ehrgefühle wichtig.“ Je stärker die ausgeprägt seien, desto wahrscheinlicher griffen diejenigen auch zu Gewalt, wenn Männlichkeit oder Ehre verletzt würden. Unter tschetschenischen Jugendlichen spiele hingegen eher ein anderer Grund eine große Rolle: „Je mehr Leid Menschen erfahren haben, umso mehr steigt die Gefahr, dass es zu Gewalt kommt“, sagt Güngör. Diese Beweggründe nennt auch Grabherr gegenüber WANN & WO. Sie fügt gerade im Bezug auf Türken und Kurden außerdem hinzu, dass es nicht ungewöhnlich sei, „wenn Konflikte aus den Herkunftsländern in den Zuzugsländern weitergeführt werden.“

Das sei aber nicht Vorarlberg-spezifisch, sondern überall der Fall, wo Menschen aus anderen Ländern immigrieren. Grabherr verweist auch auf die Zustände und Situationen, aus denen Tschetschenen kommen: „Diese Menschen haben Bürgerkrieg gesehen, sie haben teilweise gesehen, wie Familienmitglieder oder Freunde getötet wurden oder wurden selber misshandelt. Wer einer solchen Gewalt ausgesetzt ist, der wird erwiesenermaßen wahrscheinlicher selbst gewalttätig.“ Diese Brandherde würden zudem oft noch buchstäblich befeuert – und zwar durch Alkohol. „Alkohol ist allgemein überall ein enormer Konfliktantreiber“, weiß Grabherr. „Gerade wenn Menschen aus Gesellschaften kommen, die in Sachen Alkohol sehr restriktiv sind und sie dann hier erstmals damit in Kontakt kommen, kann das zusätzlich gewalttreibend wirken.“ Männlichkeitsbilder, eigene Gewalterfahrungen und schließlich Alkohol: Eine gefährliche Mischung, die in Discos und Clubs zusammenkommt. Grabherr will aber keinesfalls Geflüchtete oder Zuzügler per se diffamieren: „Schlägereien in Discos gibt es überall auf der Welt. Das ist eine Jugendfrage, keine Integrationsfrage.“ Völlig aus der Verantwortung entlassen will sie die Türken, Kurden und Tschetschenen aber auch nicht.

Gewalt wirkt stärker

Aber auch wenn die Lage angesichts der Diskussion um die Vabrik aktuell brisant wirkt, relativiert Güngör.

„Studien zufolge nimmt die Gewalt weltweit ab – auch in Österreich“, schildert der Experte. „Das Problem ist: Je weniger es zu Gewalttaten kommt, umso mehr fällt auf, wenn doch etwas passiert. So entsteht der Eindruck, als würde die Gewalt zunehmen“, erklärt er. „Fakt ist aber, dass die Gewalt hier sehr, sehr klein ist. Unsichere Gesellschaften würden darüber lachen, worüber wir uns den Kopf zerbrechen.“

INFOS

In der Vergangenheit kam es zu einer Reihe von Gewalttaten in Vorarlberg, in die Menschen mit Migrationshintergrund verwickelt waren. W&W listet einige der aufsehenerregendsten auf:

  • 11. Oktober 2014: Am Rande einer Kurden-Demonstration in Bregenz geraten Türken und Tschetschenen aneinander, zwei Männer werden mit Stichverletzungen im Bauch ins Spital eingeliefert.
  • 7. Oktober 2018: In Andelsbuch prügeln sich Afghanen, Iraner und Syrer mit zwei Bregenzerwäldern. Einer wird mit einem Messer verletzt.
  • 20. Jänner 2019: Bei einer Aussprache zwischen Afghanen und Türken in Feldkirch kommt es zu einer Massenschlägerei, bei der auch Messer und abgebrochen Bierflaschen zum Einsatz kommen. Sogar das Einsatzkommando „Cobra“ rückt an.

3 Forderungen zur Gewaltprävention von Eva Grabher

  • Vorbeugen
    Gewalt wird am besten bekämpft, wenn man sie gar nicht erst entstehen lässt, so Grabherr. Dazu sei eine längerfristige Perspektive wichtig. „Den jungen Menschen muss ein Ziel gegeben werden, statt sie nur zuhause herum-sitzen zu lassen und ihnen das Arbeiten zu verbieten.“ Außerdem müssten die Familien eingebunden werden, damit auch zuhause nicht geschlagen und damit Gewalt vorgelebt wird. „Nicht zuletzt ist es sehr wichtig, dass sich die jungen Menschen sozial anerkannt fühlen“, sagt Grabherr. Andernfalls drohe Frustration und daraus schließlich Gewalt
  • Bestrafen
    “Wenn die Jugendlichen gegen geltende Regeln verstoßen, dann muss das bestraft werden – und zwar sofort und hart“, sagt Grabherr gegenüber WANN & WO. Dabei sollten laut der Expertin zwar die Lebensumstände und die teils schwierige Vergangenheit der jungen Menschen bedacht werden. „Das darf aber keine Entschuldigung für Regelüber-tretungen sein“, stellt sie ent-schieden klar.
  • Kommunizieren
    Die Expertin spricht sich dafür aus, Vorfälle klar zu benennen und nicht unter den Teppich zu kehren. Nur dann könnten Gewalttäter aus ihren Fehlern lernen und die Abwärtsspirale durchbre-chen. „Die Taten zu vernied-lichen hilft niemanden, auch nicht den Tätern“, so Grabherr.

Kommt der digitale Disco-Ausweis?

Thomas Krobath, Vabrik-Betreiber: „Natürlich habe ich mir als Gastronom Gedanken gemacht, welchen Beitrag ich leisten kann, damit sich die Situation verbessert. In Graz wurde nach ähnlichen Problemen das System ‚idjack‘ eingeführt. Dabei muss sich jeder Gast registrieren, einen Ausweis digital hinterlegen und bei jedem Besuch einchecken. Damit hat sich die Lage verbessert, auch wenn das ein drastischer Schritt ist. Ich biete der Polizei an, dass ich dieses System mit einem Probezeitraum von neun Monaten bis Ende 2019 einführe.“

Caritas schließt wöchentlich ein Quartier

Die Zahl der Zuzüge von Ausländern nimmt laut der Landesstelle für Statistik seit 2016 konstant ab. So wanderten 2015 noch 4319 Personen ein, im vergangenen Jahr waren es nur noch 1812. Auch die Zahl der Quartiere der Caritas für Asylwerber nimmt ab. Laut Bernd Klisch, Fachbereichsleiter Flüchtlingshilfe bei der Caritas Vorarlberg, wurden bereits 100 Quartiere – also etwa Wohnungen oder Häuser für die dezentrale Unterbringung – zurückgebaut. Auch im Haus Said für sogenannte Unbegleitete Minderjährige Fremde in Bregenz leben laut Leiterin Margarita Matt aktuell nur noch 14 Geflüchtete, es wird Mitte 2019 geschlossen.

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