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Die Schlacht um Wien im 2. Weltkrieg – Chronologie Teil 2

So ereignete sich die Schlacht um Wien im April 1945.
So ereignete sich die Schlacht um Wien im April 1945. ©APA (Archiv)
Vor 70 Jahren wurde Wien befreit, der Zweite Weltkrieg nahm nach zahlreichen Straßenschlachten in der Bundeshauptstadt ein Ende. Im zweiten Teil der Chronologie lesen Sie über die Geschehnisse der Tage vom 8. bis 13. April 1945.
Tage vor der Schlacht um Wien
Wiener über das kriegsende

Sonntag, der 8. April 1945

o Der deutsche Wehrmachtsbericht meldet: “Im Raum um Wien konnten die Sowjets im Nordteil des Wiener Waldes nach Westen und Norden Boden gewinnen und trotz zäher Gegenwehr unserer Truppen in die südlichen Vorstädte der Stadt eindringen. Erbitterte Kämpfe sind im Gange”. Die Wiener erfahren diesen Wehrmachtsbericht nicht, weil es kein Radio und keine Zeitungen mehr gibt.

o Die Rote Armee erreicht in voller Breite den Gürtel. Dort gibt es kurzfristig heftige Kämpfe. Wehrmacht, SS und Volkssturm (fast ausschließlich Vierzehn- bis Sechzehnjährige) haben Eckhäuser in Kampfstellungen umgewandelt, die Bewohner in die Keller der Nachbarhäuser umgesiedelt. Auch Stadtbahnstationen werden als Festungen benützt.

o Die sowjetischen Truppen erobern Klosterneuburg und Tulln, amerikanische Truppen erreichen Thüringen, die jugoslawischen Partisanen haben praktisch ganz Bosnien befreit.

o In großen Teilen Wiens gibt es keine Ordnungsmacht. Zehntausende Flüchtlinge irren durch die Stadt. Plünderungen und Gewalttaten nehmen überhand.

o Die drei führenden Vertreter des Widerstandes in der Heeresstreife Wien – Major Karl Biedermann, Hauptmann Alfred Huth und Oberleutnant Rudolf Raschke – werden in Floridsdorf Am Spitz an Laternenpfählen gehenkt, dabei mit Faustschlägen, Fußtritten und Bajonettstichen misshandelt.

o In allen Wiener Bezirken gibt es Brände, aber keine Feuerwehr und vielfach auch kein Löschwasser. Der Stephansdom beginnt an mehreren Stellen zu brennen, vermutlich durch Funkenflug. Zivilisten löschen, oft unter Lebensgefahr.

o In der Tagesmeldung der Heeresgruppe Süd heißt es: “Truppe meldet Teilnahme von Zivilisten mit roten Armbinden auf Seiten der Russen.”

Montag, der 9. April 1945

o Die deutschen Truppen räumen, bis auf einzelne kleine Kampfgruppen, fluchtartig die Bezirke zwischen Gürtel und Donaukanal. Die sowjetischen Truppen rücken nur sehr langsam und vorsichtig nach, weil sie Hinterhalte befürchten. Haus um Haus wird überprüft. Noch viele Jahre später sieht man an Hausfassaden in zyrillischer Schrift die Worte “Kwartal prowiereno” (Häuserblock überprüft). Bei diesen Überprüfungen kommt es zu ersten Vergewaltigungen und Plünderungen durch sowjetische Soldaten.

o Der Bereich zwischen Gürtel und Donaukanal wird nun von beiden Seiten beschossen. Viele Wohnhäuser werden durch Granattreffer beschädigt, viele Wohnungen zerstört. Neue Brände werden durch die Beschießung ausgelöst. Der Stephansdom wird mehrmals von Granaten getroffen, vor allem von deutschen Granaten, die aus dem Raum Floridsdorf abgefeuert wurden; aus den kleinen Einzelbränden im Dom wird ein Großbrand. In Flammen stehen auch der Naschmarkt, das Parlament, das Burgtheater und viele Gebäude entlang der Zweierlinie.

o Im Palais Auersperg sammeln sich Vertreter des österreichischen Widerstandes aller politischen Gruppen, überwiegend Vertreter des bürgerlichen und des katholischen Lagers sowie Monarchisten, aber auch einige Sozialisten, unter ihnen Felix Slavik, und Kommunisten. Sie nennen sich “O 5”.

Dienstag, der 10. April 1945

o Die Brücken über den Donaukanal werden von der deutschen Wehrmacht gesprengt, als letzte um 4 Uhr früh die Aspernbrücke, wobei die Urania und die Rettungszentrale beschädigt werden. Die sowjetischen Truppen erreichen den Donaukanal, sie besetzen die Freudenau und das Lusthaus sowie Vösendorf, Neulengbach, Gänserndorf und Deutsch-Wagram.

o Hitler verkündet deklamierend: “Berlin bleibt deutsch und Wien wird wieder deutsch!” Er befiehlt einen Gegenangriff zur Rückeroberung Wiens aus den Räumen St. Pölten und Semmering.

o Wien liegt von beiden Seiten unter schwerem Artilleriefeuer. Es kommt zu zahlreichen Bränden, die von der Bevölkerung bekämpft werden.

o Auf dem Flughafen Wiener Neustadt landet ein sowjetisches Militärflugzeug, das die Spitzen der KPÖ aus ihrem Moskauer Exil bringt. Tags darauf kommt aus Jugoslawien per Flugzeug eine zweite Gruppe von führenden KPÖ-Funktionären, die dort ein österreichisches Bataillon im Rahmen der Tito-Armee aufgestellt haben. Die KPÖ hat damit als erste Partei eine aktive Führung.

Mittwoch, der 11. April 1945

o Der Wehrmachtsbericht meldet: “Die zäh kämpfende Besatzung von Wien wurde nach schwerem Ringen auf den Donaukanal zurückgedrängt.” Außerdem wird der Verlust von Hannover, Gelsenkirchen, Bochum und Essen zugegeben.

o Auf dem Messegelände kommt es zu schweren, für beide Seiten verlustreichen Kämpfen. Der Wurstelprater steht in Flammen. Auch in der übrigen Stadt gibt es viele Brände, vor allem durch den Artilleriebeschuss von beiden Seiten.

o Zivilisten und Soldaten beteiligen sich an Plünderungen, wobei vor allem Lebensmittel gesucht werden. An diesem Tag wird der Naschmarkt völlig ausgeplündert, wobei viele Marktstände, die den Krieg bis dahin unbeschädigt überstanden hatten, zerstört werden.

o In den frühen Morgenstunden des 11. April setzen Rotarmisten an einigen Stellen über den Donaukanal und bilden Brückenköpfe. Nach Einbruch der Dunkelheit wird am Abend der Donaukanal in breiter Front übersetzt, Panzer und Infanterie besetzen noch in der Nacht den Großteil des 2. und 20. Bezirkes.

Donnerstag, der 12. April 1945

o Die deutschen Truppen werden vom Donaukanal zurückgedrängt und halten abends am rechten Donauufer nur mehr den Bereich zwischen Friedrich-Engels-Platz und Nordwestbahnhof. Die Sprengung der Reichsbrücke wird befohlen. Als Folge dieses Befehls kommt es um die Brücke zu nicht mehr völlig rekonstruierbaren Geschehnissen. Offenbar wurden die vorbereiteten Sprengladungen von Widerstandskämpfern beseitigt. Als daraufhin neuerlich Sprengladungen angebracht wurden, sind auch diese im Schutze der Dunkelheit unschädlich gemacht worden. So blieb die Reichsbrücke als einzige Donaubrücke zwischen Linz und Budapest erhalten. Sie war für die Versorgung Wiens und den Beginn des Wiederaufbaus von gar nicht zu überschätzender Bedeutung.

o Von Floridsdorf aus beschoss deutsche Artillerie die Bezirke zwischen Donaukanal und Gürtel. Dabei wurde auch der Stephansdom mehrmals getroffen, um etwa 10 Uhr kommt es dadurch zum Großbrand. Binnen kurzer Zeit steht der mächtige Dachstuhl in Flammen. Am Nachmittag beginnt der Glockenstuhl des Hauptturms zu brennen, in der Gluthitze zerspringt die Pummerin.

o Überall in Wien geschieht etwas, was Renner später als “historisches Phänomen” bezeichnet hat: Obwohl es keine Verbindungen gibt, kein Telefon, keine Post, keinen Verkehr, kommen in den Bezirken und in Bezirksteilen Menschen zusammen und beginnen mit dem Aufbau demokratischer Strukturen. Was sich überall im örtlichen Rahmen abspielt, geschieht auch zentral: Führende Vertreter der einstigen politischen Parteien kommen zusammen. Für die Sozialdemokraten und deren illegale Nachfolgeorganisation, die Revolutionären Sozialisten, ist es selbstverständlich, ins Rathaus zu kommen. Die ehemaligen Christlichsozialen finden nach einigem Suchen im Schottenstift auf der Freyung einen zentralen Treffpunkt.

o In den USA stirbt überraschend Präsident Franklin Delano Roosevelt. Roosevelt gilt als Schöpfer des engen Bündnisses der Alliierten im Kampf gegen die faschistischen Mächte Deutschland, Italien und Japan. Vizepräsident Harry S. Truman wird als sein Nachfolger angelobt.

Freitag, der 13. April 1945

o Der deutsche Wehrmachtsbericht meldet nur lakonisch: “In Wien dauern die schweren Straßenkämpfe an.” Das sowjetische Oberkommando veröffentlichte nachmittags folgende Sondermeldung: “Am 13. April nahmen die Truppen der 2. Ukrainischen Front nach heftigen Kämpfen die Hauptstadt Österreichs, Wien, einen strategisch wichtigen Verteidigungsknotenpunkt der Deutschen, der den Weg nach Süddeutschland versperrte. In den Kämpfen um die Anmarschwege nach Wien und um Wien selbst zerschlugen die Truppen der Front vom 16. März bis 13. April elf deutsche Panzerdivisionen, darunter die 6. SS-Panzerarmee, nahmen über 130.000 Soldaten und Offiziere gefangen, vernichteten bzw. erbeuteten 1.345 Panzer und Sturmgeschütze, 2.250 Feldgeschütze sowie viel sonstiges Kriegsgerät. Auf Befehl des Obersten Befehlshabers der Roten Armee, Marschall der Sowjetunion J. Stalin, grüßte Moskau die heldenhaften Truppen der 3. Ukrainischen Front, die Wien genommen haben, mit einem Salut von 24 Salven aus 324 Geschützen.” In einem deutschsprachigen Kommentar von Radio Moskau heißt es: “Die Bevölkerung Wiens und anderer Teile Österreichs hat der Roten Armee Unterstützung gewährt und die Deutschen daran gehindert, die Kämpfe zum Stehen zu bringen… Sie haben die Ehre der österreichischen Nation gerettet.”

o Sowjetische Truppen setzen bei Klosterneuburg über die Donau und dringen in Korneuburg ein. Daraufhin kommt es zum fluchtartigen Rückzug der deutschen Truppen aus dem Brückenkopf vor der Floridsdorfer Brücke und aus Floridsdorf, um der Einkesselung zu entgehen. Die Floridsdorfer Brücke wird gesprengt. Im Tagesbericht der Heeresgruppe Süd wird kurz festgestellt: “Die 6. Panzerdivision wurde fast völlig aufgerieben”.

o Sowjetische Offiziere suchen in Wien verschiedene Persönlichkeiten, die als führende Funktionäre bei der Neugründung des Österreichischen Staates geeignet erscheinen. Unter ihnen sind die späteren Vorsitzenden der beiden großen demokratischen Parteien, Ing. Leopold Figl und Dr. Adolf Schärf. Sie werden mit Autos zu den zentralen Treffpunkten gebracht.

o In den Roten Salon des Rathauses, wo immer mehr Sozialisten eintreffen, kommen auch Vertreter der Volkspartei zu einem ersten Kontaktgespräch.

o Im Palais Auersperg tagen nach wie vor die Vertreter der Widerstandsgruppen, die sich in der O 5 zusammengeschlossen haben. Sie haben mit Zustimmung der sowjetischen Ortskommandantur den Kommunisten Rudolf Prikryl zum Bürgermeister ernannt. Er sitzt in einem kleinen Zimmer des Rathauses und gibt so gut wie jedem, der zu ihm kommt, eine gestempelte Vollmacht. Das wurde später als äußerst wertvoll beurteilt, weil diese Vollmachten von den sowjetischen Stellen anerkannt wurden und viele Aktivitäten ermöglichten, von Aufräumungsarbeiten in Betrieben bis zur Einrichtung von Notspitälern.

o In der Wohnung des Bauarbeiter-Funktionärs Jose Battisti  kommen sozialdemokratische Gewerkschafter zusammen. Sie beschließen die Orientierung auf Bildung eines einheitlichen Gewerkschaftsbundes. Noch am gleichen Tag wird mit christlichen und kommunistischen Gewerkschaftlern Kontakt aufgenommen.

(Text: Rathauskorrespondenz)

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