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Wirtschaft fordert Ende für Corona-Aufstiegsklausel

Im Homeschooling sei auf die Berufsvorbereitung vergessen worden.
Im Homeschooling sei auf die Berufsvorbereitung vergessen worden. ©APA/HANS PUNZ
Immer mehr Firmen klagen über eine schlechtere Qualität der Bewerber für Lehrstellen und haben deswegen Probleme beim Finden geeigneter Kandidaten. Die Initiative "Zukunft.Lehre.Österreich" führt dies auf zu wenig Leistungsdruck in der Schule zurück und dass ein Sitzenbleiben aktuell in der Pandemie unwahrscheinlich sei.
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Eine Wirtschaftsinitiative drängt darauf, die Corona-Aufstiegsklausel heuer nicht noch einmal anzuwenden. Hintergrund ist der Lehrstellenmarkt, der unter der in der Pandemie fehlenden Berufsorientierung in den Schulen leidet. In einigen Bundesländern mangle es an geeigneten Bewerbern, zu denen auch Schulabbrecher gehören. Vier von zehn Firmen würden derzeit keine Lehrlinge finden, hieß es. Die Regierung hatte letztes Schuljahr einmalig das Aufsteigen mit Fünfern erleichtert.

Lehrlingsmarkt leidet unter fehlender Berufsorientierung

"Durch die Pandemie ist die Situation noch kritischer geworden", sagte Werner Steinecker, Generaldirektor der Energie AG in Oberösterreich und Präsident der Initiative "Zukunft.Lehre.Österreich" am Montag in Wien. Während dank des Lehrlingsbonus der Regierung die Zahl der Lehrstellen weitgehend stabil geblieben sei und der befürchtete Einbruch ausblieb, zeige sich seit dem Herbst, dass es viel weniger Bewerber gibt. Gemeinsam mit der Industriellenvereinigung (IV) hat man dazu beim Linzer Market Institut eine Umfrage unter Jugendlichen, Eltern und Lehrern sowie Unternehmen in Auftrag gegeben.

Demnach sind Schnuppertage, Berufsinformationsmessen und die Vorstellung von Betrieben aus der Region in der Schule die drei mit Abstand wichtigsten Informationsquellen bei der Berufswahl. Nichts davon war wegen der Lockdowns zuletzt möglich. "Da ist derzeit Sand im Getriebe", sagte Studienautor David Pfarrhofer. Es sei im Homeschooling auf die Berufsvorbereitung vergessen worden. Dazu komme, dass der Bewerbungsprozess durch Corona erschwert wurde und der Kontakt zu den Schulen verloren ging.

Firmen finden kaum geeignete Bewerber

Die Initiative beklagt auch, dass die Qualität der Bewerber schlechter geworden sei und sich die Firmen schwertun, geeignete Kandidaten zu finden. Jeder zweite Betrieb sagt, er habe heuer weniger Bewerber von HTL, HAK und Gymnasium. Die Initiative führt dies auf zu wenig Leistungsdruck in der Schule zurück und dass ein Sitzenbleiben aktuell in der Pandemie unwahrscheinlich sei. Im vergangenen Schuljahr war wegen des Coronavirus das Aufsteigen trotz "Nicht genügend" gelockert worden. "Es fehlen uns jetzt die, die sich neu orientieren wollen", so Steinecker. Es dürfe daher "keine weitere Fortsetzung dieser Aufstiegsklausel" geben.

Viele Schüler und Eltern hätten auch den Eindruck, aufgrund der Krise sei die Lehrstellensuche schwieriger und der Verbleib an der Schule daher die bessere Wahl. Hier vermittle die hohe Arbeitslosigkeit aber einen falschen Eindruck. Der Umfrage zufolge sind die Einstellpläne der Unternehmen, was Lehrlinge betrifft, wieder auf Normalniveau. Die Initiative sprach sich für Schnuppertage nach Schnelltests und unter Einhaltung von Abstandsregeln aus.

Kritik am generellen Werteverfall

KTM-Chef Stefan Pierer, ebenfalls Teil der Initiative ZLÖ, beklagte eine Nivellierung der Ausbildung nach unten und einen generellen Werteverfall - Stichwort Lesen, Schreiben, Rechnen, Grüßen und Bitte und Danke sagen. Der Motorradhersteller sucht derzeit 300 Fachkräfte, die nicht zu finden seien. Die Lehrlingsausbildung sei die einzige Chance, das ansatzweise auszugleichen. KTM will die Zahl der Lehrlinge von rund 300 auf über 400 in den nächsten Jahren erhöhen, sie seien aber momentan schwer zu finden. "Sie bleiben ähnlich wie bei der Kurzarbeit in der Schule hängen", so Pierer.

Auch Gerhard Zummer, Leiter der Lehrlingsausbildung bei Siemens Österreich, sprach von Mängeln in der Schulausbildung. Ein weiteres Problem sei, dass sich Mädchen nach wie vor wenig für technische Berufe in der Industrie interessieren und viele Bürokauffrau oder Einzelhandelskauffrau vorziehen.

Ungelöst ist das Problem, dass es im Westen Österreichs zu viele offene Lehrstellen für zu wenige Kandidaten gibt, während es im Osten um die Bundeshauptstadt genau umgekehrt ist. Dort gibt es zu wenig offene Lehrstellen und einen Überhang an Bewerbern. Pierer beklagte auch, dass Wiener Jugendliche kaum bereit seien, für eine Lehrstelle bei KTM nach Oberösterreich zu übersiedeln. Generell habe die Mobilität und die Bereitschaft der Arbeitnehmer, den Wohnort zu wechseln, "dramatisch abgenommen".

Die Gewerkschaftsjugend schloss sich den Forderungen der Wirtschaftsvertreter in Teilen an. "Wo es dringend einen Boost braucht, ist das Thema Berufsorientierung", sagte Susanne Hofer, Vorsitzende der Österreichischen Gewerkschaftsjugend zu der Pressekonferenz. Die Jugendliche seien jedenfalls nicht schuld an der Lehrlingsmisere, es müsse sich vor allem die Regierung an der Nase nahmen, sieht Hofer Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) in der Verantwortung. Um ihre Lehrstellenlücken zu füllen, wären die "Betriebe aber auch gut beraten, auf jene rund 8.000 Jugendliche zurückzugreifen, die aktuell in einer überbetrieblichen Ausbildung sind", so die Jung-Gewerkschafterin. Die NEOS schlagen unter anderem eine mittlere Reife vor.

(APA/Red)

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