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Wiener Immobilienmarkt in Coronakrise: "Das Stadtbild wird sich massiv verändern"

Auch der Wiener Immobilienmarkt ist von der Coronakrise betroffen.
Auch der Wiener Immobilienmarkt ist von der Coronakrise betroffen. ©Pixabay.com (Sujet)
Auch der Wiener Immobilienmarkt wird von der Coronavirus-Pandemie aufgemischt. Durch den plötzlichen und vielfach erfolgreichen Einsatz von Home-Office wird die Nachfrage nach Büros nach unten gedrückt, Handelsflächen in Top-Lagen werden unterwartet für neue Nutzer frei und Hotels kämpfen mit marginaler Auslastung. Die Leerstandsraten gehen nach oben und es wird Notverkäufte geben - da sind sich die Immobilienexperten von EHL einig. "Das Stadtbild wird sich massiv verändern", so Mario Schwaiger.

"Retail mit Hotel gehört zu einer der am meisten betroffenen Branchen", sagte der EHL-Spezialist für das Segment Einzelhandelsimmobilien am Dienstag in einer Videokonferenz. "Covid-19 ist nicht die Ursache, sondern einfach Brandbeschleuniger - es gab viele, die schon davor Probleme hatten", meinte er mit Blick auf den stationären Handel, der bereits in der Vergangenheit unter der zunehmenden Konkurrenz durch den Online-Handel litt. "Da wird eine große Bereinigung stattfinden." Bestellungen über Internet boomen während der Coronakrise - der Online-Handel verzeichne Rekordumsätze und liege heuer gegenüber dem Vorjahr bereits um 15 Prozent im Plus.

Wiens Handel und Hotelerie leiden unter Corona-Pandemie

Die Stadthotels leiden unter den Reisewarnungen und den massiv eingeschränkten Flugverbindungen - die internationalen Touristen aus Fernost und den USA bleiben weitgehend aus. In Wien brachen die Nächtigungen heuer zwischen Mai und August gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres um mehr als 80 Prozent ein. Hier gebe es "ganz große Einschnitte". Die Auslastung reicht vielfach nicht aus, um die laufenden Kosten zu decken.

Im Einzelhandel sei die Flächenexpansion derzeit insgesamt "sehr eingeschränkt". Manche Branchen machen große Verluste. "Aber es gibt auch Überraschungskandidaten", betonte Schwaiger. So würden etwa Fitnesscenter wieder verstärkt aktiv und wollten neue Standorte eröffnen. Auch Tiernahrungsgeschäfte "performen überdurchschnittlich".

Die größten Verlierer in der Coronakrise seien der Mode- und der Schuhhandel, die Elektrobranche sowie Gastronomie und sonstige Dienstleister. Zu den Gewinnern gehörten heuer in den ersten drei Quartalen Nahversorger (Lebensmitteleinzelhandel, Drogerien), Baumärkte, der Sporthandel sowie der Bereich Möbel/Einrichtung und Garten. Allerdings werde der Sporthandel im Winter verlieren und in der Einrichtungsbranche handle es sich um Einmaleffekte. "Man kauft sich nicht jedes Jahr eine neue Couch", so Schwaiger.

Immobilien in Wien: "In nächster Zeit wird sich einiges tun"

Zum Teil sei der Ansturm auf frei werdende Gastro- und Handelsflächen - gerade in Innenstadtlagen und auf der Mariahilfer Straße - enorm, berichtete der Immobilienexperte. Internationale Ketten hätten nun eine Chance auf Flächen am Kohlmarkt oder in der Mariahilfer Straße. So gebe es plötzlich "ein Burger-Restaurant direkt Am Graben", nannte der Immobilienmarktexperte das neue Lokal "Five Guys" als Beispiel. Auch Zusteller, die Speisen vorbereiten, suchen zentrale Lagen, um das Liefergebiet gut abzudecken. Und Fitnesscenter wollen wie Nahversorger auftreten und ihre Trainingseinheiten auf 100 bis 150 Quadratmetern möglichst "gleich ums Eck" anbieten.

Auch für neue Konzepte gibt es nun Raum. In der Mariahilfer Straße wurde beispielsweise kürzlich ein Porsche-Store "auf Pop-up-Niveau" in einem ehemaligen H&M-Shop hochgezogen. Und in Deutschland würden bereits ehemalige Warenhäuser umgewidmet - da sei neben Handel auch Wohnen möglich. "In nächster Zeit wird sich einiges tun, wobei ich nicht glaube, dass alle Leerstände aufgefüllt werden können, es wird auch einiges überbleiben - da ändert sich gerade sehr viel", räumte der Immo-Experte ein.

Flaute auf Wiens Büroimmobilienmarkt

Auf dem Büroimmobilienmarkt herrscht Flaute. Zu Jahresbeginn war die Nachfrage nach Flächen den Angaben zufolge noch sehr stark. Doch dann kam Corona. "Mit dem Lockdown wurden viele Unternehmen in eine schwierige Situation verfrachtet und sie zeigten daher eine abwartende Haltung - es kam zu einem spürbaren Rückgang für Neuanfragen nach Büroraum", berichtet der Geschäftsführer der EHL Gewerbeimmobilien GmbH, Stefan Wernhart. Mit "resilienten Unternehmen", die von der Coronakrise nicht beeinträchtigt werden, seien die weit fortgeschrittenen Vertragsverhandlungen fortgeführt worden.

Vorerst habe die verringerte Nachfrage nach Büros durch Großvermietungen ausgeglichen werden können. In den ersten drei Quartalen ging die Vermietungsleistung gegenüber der Vorjahresperiode um 12 Prozent auf 145.000 Quadratmeter zurück, für das Gesamtjahr wird allerdings ein Minus von knapp 23 Prozent erwartet. Die tatsächlichen Auswirkungen der Coronakrise schlagen zeitverzögert durch. "Wir erwarten, dass das nächste Jahr ziemlich herausfordernd wird und die Auswirkungen auf den Bürobereich 2021 deutlich erkennbar werden - die Büros werden der Situation angepasst", so Wernhart. "Manche Unternehmen sind draufgekommen, dass man doch einige Mitarbeiter im Home-Office arbeiten lassen kann, was dazu führt, dass Flächen eingespart werden können." Heuer werden voraussichtlich Büroflächen im Ausmaß von 160.000 Quadratmetern fertiggestellt, die erwartete Vermietungsleistung werde mit 170.000 Quadratmetern leicht über den Neuflächen liegen.

Immo-Investmentmarkt bricht heuer massiv ein

Geld sucht wegen der extrem niedrigen Zinsen verstärkt Anlage in Betongold. Doch im Zuge der Coronakrise sind die Investoren bei Gewerbeimmobilien spürbar selektiver geworden. Internationale Anleger aus Asien und den USA sind weitgehend aus dem Wiener Markt verschwunden. Die Anreise zu Besichtigungen ist erschwert. Das Transaktionsvolumen bei Gewerbe-Immos wird heuer gegenüber 2019 von 6 Mrd. auf bestenfalls 4 Mrd. Euro schrumpfen, so die Erwartung der Marktexperten von EHL.

"2019 hatten wir ein Allzeithoch - wenn wir gut sind, schaffen wir heuer 4 Mrd. Euro, aber da muss noch einiges passieren, derzeit sind wir bei knapp 2,2 Mrd. Euro", berichtete der Geschäftsführer der EHL Investment Consulting GmbH, Markus Mendel, am Dienstag in einer Videokonferenz. "Da fehlen die ganzen internationalen, nicht-deutschsprachigen Investoren", hielt der Immo-Spezialist fest. "Das wird in den nächsten Monaten so bleiben." Gleichzeitig hätten deutsche Investoren ihre Aktivitäten aber massiv verstärkt.

2019 kam mit einem Anteil von 47 Prozent noch der Großteil des Transaktionsvolumens von Österreichern und 23 Prozent von Deutschen; heuer in den ersten drei Quartalen drehte sich das Investment-Szenario auf nur noch 38 Prozent aus heimischer Hand und 48 Prozent aus deutscher. Im dritten Quartal seien volumenmäßig sogar 60 Prozent aller Gewerbeimmo-Investments in Wien von deutschen Anlegern getätigt worden.

Investoren konzentrieren sich auf "coronaresistente Topsegmente"

"Es ist extrem viel Geld im Markt unterwegs", betonte Mendel. Doch die Investoren konzentrierten sich auf die "Topsegmente, die coronaresistent sind". Dazu gehörten Wohnimmobilien, Top-Büroobjekte in sehr guten Lagen und mit Mietern hoher Bonität sowie Logistikimmobilien. "Da gibt es eine sehr hohe Nachfrage." Amazon habe gerade seinen dritten Standort in Wien. "Der Online-Handel nimmt zu und die ganzen Packerln müssen verteilt werden", erklärte der EHL-Geschäftsführer. Von der Krise sehr stark betroffen seien hingegen viele Hotels und Einzelhandelsimmobilien. "Da werden wir den einen oder anderen Notverkauf sehen."

"Das Segment, das derzeit am heißesten läuft, ist das Wohnsegment", strich Mendel hervor. Da gebe es eine "sehr starke Nachfrage" von Investoren wie etwa Pensionskassen und Versicherungen. Knapp dahinter folgten die Top-Büroimmobilien und das Thema Logistik, fasste er die drei Bereiche zusammen, die für "sicherheitsorientierte Anleger attraktiv" seien, da hier die Preise noch weiter nach oben gehen würden.

Wer nicht genug Bares hat, wird geduldiger werden müssen. "Das Thema Finanzierung wird schwieriger werden", ist sich Mendel sicher. Die Kosten für die Investoren würden höher. "Die Bank braucht deutlich länger, weil sie genauer hinschaut - das zieht die Transaktionsprozesse in die Länge."

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(APA/Red.)

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