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"Sie klauen wie die Ratzen"

Dieser offenherzige Ausspruch stammt von einem Verkäufer auf dem Dornbirner Flohmarkt und entspricht der Wahrheit. An allen Ecken sieht man Pfadfinder- und Lionsclub-Mitglieder auf Kontrollgang.

Der Dornbirner Chemiker Dr. Egon Fitz bewacht etwa jene Pelzmäntel, die seine Frau Eva („Kirche sind wir alle“) um bis zu 100 Euro das Stück verkauft.

Ex-Messepark-Geschäftsführer Rudi Thurnher entdeckt man am Ein- und Ausgang der ausufernden Bücher-Abteilung. „Ich kann ja nur Stichproben machen“, sieht er seine Funktion beschränkt. Schließlich beteuert auch ein Verkäufer in einer der über 20 Abteilungen: „Wir haben unsere Vorgaben und können nichts reservieren. Sie klauen wie die Ratzen!“

Reservieren lassen würden die 20.000 erwarteten Flohmarkt-Kunden gerne. Und sie bekommen auf Stühle und Kleinmöbel auch ihr Reservierungszettelchen geklebt. Aber Garantie, dass das bereits erstandene edle Stück nach einer Stunde auch wirklich noch an Ort und Stelle steht, kann man beim besten Willen keine abgeben.

Am Samstag stauen sich schon vor 8 Uhr früh die Massen an vier verschiedenen Eingängen. Sunny Fäßler, seit 13 Jahren Herr über 350 Mitarbeiter, versichert glaubhaft, dass sich zu dieser frühen Stunde schon „Tausende“ (!) von Kauflustigen vor den Toren drängen.

Dass das keine Übertreibung ist, wird durch eine weitere Aussage bestätigt. NEUE-Cheffotograf Klaus Hartinger benötigt geschlagene 40 (!) Minuten für die 300 Meter vom „Metro“ bis zu den Messehallen 8a, 4 und 5.

In der Warteschlange entdeckt man u. a. auch den Schwarzacher Bürgermeister Helmut Leite. „Ich möchte Kriegsbücher für meinen Schwiegervater sowie Sport- und Geschichtebücher.“ Vor einem Jahr stieß er auf ein Toni-Sailer-Buch. Interessieren würde er sich der einstige nordische Spitzensportler auch für Bubi Bradl.

Sein Ex-Amtskollege von Buch, Altbürgermeister Ewald Hopfner, wurde bei der Suche nach Vorarlbergensien fündig. Leicht war das beileibe nicht, denn die Massen drängten sich schon kurz nach der Eröffnung Schulter an Schulter. Für ein zwölfjähriges Mädchen, die ihr Fahrrad durchschieben wollte, gab es daher auch kein Durchkommen mehr.

Wie ehemalige Flohmarkt-Lieferanten und -Kunden zu Mit- arbeitern werden, bestätigt der 41-jährige Elektrotechniker Max Ribitsch aus Dornbirn. Er ist weder Mitglied bei den Pfadfi ndern noch beim Lionsclub und arbeitet trotzdem seit September mit.

Jährlich tauchen neue Utensilien auf dem Flohmarkt auf. Heuer wurden die ersten Solarien angeboten. Verkäufer Marcell Battisti weiß, dass sie von mehreren Spendern stammen. Er verstehe zwar nicht viel davon und wisse auch nicht, ob sie funktionstüchtig seien, „aber ich will sie um 25 Euro weitergeben.“ Für sein erstes verkauftes Solarium war er auch schon mit 15 Euro zufrieden.

Gehandelt wird wie auf einem richtigen Basar schon seit der ersten Morgenstunde. Ein simpler Holzstuhl wurde für zehn Euro angeboten. Eine Kundin wollte aber nur fünf Euro bezahlen. Die Verkäuferin begründete ihren Ausrufpreis mit folgenden Worten: „Es ist ja erst 8.10 Uhr!“ Man einigte sich schließlich zwischen sieben und acht Euro.

Erich Lins (23 Jahre) aus Hörbranz erwirbt einen verstaubten Uralt-Projektor um nur zehn Euro. Er ist leidenschaftlicher Sammler und besitzt schon 13 Fotoapparate. Andrea Köb-Csar ersteht einen neuwertigen Herd um 80 Euro und lässt ihn sich durch einen der drei Lastwagen zustellen. Jung-ÖVP-Obmann Thomas Winsauer verkauft Schreibmaschinen um zehn Euro.

Gemälde finden schon um höchstens 20 Euro ihre Abnehmer. „Sie werden eher wegen der Rahmen gekauft“, gibt Lionsclub-Vorarlberg-Obmann Dr. Dieter Gunz zu bedenken. Daran kann auch das weltberühmte Klimt-Werk „Der Kuss“ nichts ändern. Es ist lediglich ein Plakat. Der Rahmen ist wertvoller.

Unter diesen Umständen schätzt sich Künstler Gerhard Winkler glücklich, dass sich seine Werke nicht auf dem Flohmarkt finden. Er erscheint in Begleitung von Universitätsprofessor Gerd Mähr, der seit dem ersten Flohmarkt dabei ist. Er ist sowohl Mitglied beim Lionsclub als auch bei den Pfadfindern. „Ich war schon 1936 Wölfling“, berichtet der 78-Jährige stolz.

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