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"Eines Kanzlers nicht würdig" – scharfe Kritik an Kurz-Aussage

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Die türkis-grüne Regierung hat anlässlich der am Dienstag in Kraft getretenen Lockerungen der Corona-Schutzmaßnahmen die Bevölkerung weiter um Disziplin ersucht.
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Von der Einhaltung aller Vorsichtsmaßnahmen werde es abhängen, ob der Fahrplan "zur neuen Normalität halten wird", sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bei der wöchentlichen Pressekonferenz.

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Aufhorchen ließ Kurz mit der Aussage, dass die Regierung keine Reparatur der eilig beschlossenen Covid-Gesetze- und Verordnungen, die möglicherweise nicht verfassungskonform sind, plant. Dass möglicherweise manche Gesetzestexte mangelhaft seien, wie Kritiker meinen, begründete der Kanzler damit, dass "wir schnell gehandelt haben". Und es habe gut funktioniert. Die Gesetzte und Verordnungen "sind nicht auf Dauer". Bis eine Überprüfung durch die Höchstgerichte stattgefunden habe, "werden sie nicht mehr in Kraft sein", so Kurz.

"Eines Kanzlers nicht würdig"

Bei SPÖ, FPÖ und NEOS stießen diese Aussagen auf Unmut. Der stellvertretende SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried fand es "beunruhigend, wenn ein Chef einer Regierung sich so wenig um Rechtsstaatlichkeit und Rechtskonformität kümmert und einen so schlampigen Umgang pflegt".

Irritiert zeigte sich auch NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger. "Diese Aussagen sind eines Bundeskanzlers nicht würdig, niemand darf sich außerhalb der Gesetze bewegen. Gerade in Krisenzeiten ist es besonders wichtig genau darauf zu achten. Das nennt man Herrschaft des Rechts." FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl warf Kurz "einen flapsigen Umgangston in Zusammenhang mit dem Rechtsstaat, der einer Demokratie unwürdig ist" vor. 

Expertengruppe soll Unschärfen bereinigen

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) erklärte in der "ZiB2", eine Experten-Gruppe schon am Dienstag zu sich ins Ministerium gebeten zu haben. Diese solle allfällige Unschärfen in Gesetzen, Verordnungen und Erlässen beraten, die man dann auch "selbstverständlich" bereinigen würde.

Zu dieser Gruppe, die am Donnerstag wieder zusammentreten soll, gehört der ehemalige Verwaltungsgerichtshof-Präsident und Interims-Justizminister Clemens Jabloner. Dazu wurden Verfassungsexperten und Chefjuristen aus den Ministerien nominiert, berichtete Anschober. Gleichzeitig warb er um Verständnis dafür, dass es bei der Bekämpfung der Pandemie enormen Zeitdruck gebe. Es habe sich mitunter um einen Wettlauf gegen die Zeit gehandelt.

Kurz bittet um Nachsicht

Die Juristen des Gesundheitsministeriums hätten sich jedenfalls um verfassungskonforme Abläufe bemüht. "Ich bitte um etwas Nachsicht, dass es eine Ausnahmesituation ist". Juristen sollten Fragen in diesem Bereich nicht überinterpretierten. Es gehe darum, dass die Maßnahmen eingehalten werden und "die Republik funktioniert". "Ob alles auf Punkt und Beistrich in Ordnung ist, wird am Ende das Tages des Verfassungsgerichtshof entscheiden." Zu diesem Zeitpunkt werden die Maßnahmen aber ohnehin nicht mehr in Kraft sein, sagte der Kanzler.

Kurz bedankte sich bei der Bevölkerung für die Disziplin und Mithilfe. "Ich bedanke mich für die unglaublichen Entbehrungen und den Verzicht, den Sie aushalten mussten. Ich bin mir vollkommen bewusst, dass das Leben nicht so ist, wie wir es kennen und schätzen. Aber heute ist ein Schritt Normalität möglich. Es ist eine neue Form der Normalität." Die Leitlinie der Regierung laute: "So viel Freiheit wie möglich und so viele Einschränkungen wie notwendig. Wenn sich aber die Zahlen in eine falsche Richtung entwickeln, werde wir die Notbremse ziehen, die wir vorgesehen haben."

Im Idealfall komme es nicht wieder zu einem explosionsartigen Anstieg, "das ist das Ziel". Irgendwann werde man auch die Gastronomie und die Schulen öffnen. Man werde beobachten, "was geht sich aus und was geht sich nicht aus". Die Ausgangsbeschränkungen bleiben bis Ende April. Vor Ende April werde man darüber beraten, "ob wir sie verlängern oder adaptieren, das können wir zu heutigen Zeitpunkt aber nicht sagen", so Kurz.

Kogler: "Eingebaute Notfallbremse"

Der Öffnungsplan der Regierung enthält laut Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) eine "eingebaute Notfallbremse". "Wir werden genau darauf achten, dass die Zahlen nicht wieder steigen", solange das gelingt "wird weiteres möglich sein", kündigte der Vizekanzler an. So sollen bereits am Mittwoch weitere Maßnahmen im Sportbereich vorgestellt werden.

Für die Frage des Notstopps gebe es keine Zahl, an der dieser im Falle des Falles festgemacht wird, sondern "viele Zahlen und Indikatoren", erläuterte Kurz. So sei die Situation in den Spitälern und insbesondere auf den Intensivstationen entscheidend. "Gibt es die Gefahr, dass die Intensivmedizin überfordert wird" sei einerseits der Faktor, nachdem die Maßnahmen gesetzt werden und andererseits der Replikationsfaktor, also wie viele Personen von einem Infizierten angesteckt werden. Wenn dieser unter eins ist "ist das gut". Der Bundeskanzler gab allerdings zu bedenken, dass je niedriger die Zahl der Infizierten ist, desto schwieriger werde es auch. Auf diese Faktoren werde für den Fall eines Notstopps geschaut, betonte der Bundeskanzler.

Anschober gegen regionale Differenzierung

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) betonte, dass es in Summe durch die Schrittweise Öffnung möglicherweise leichte Zuwächse geben wird. "Das Entscheidende ist, wir haben das Virus unter Kontrolle", sagte der Gesundheitsminister.

Nicht näher treten wird der Gesundheitsminister dem Vorpreschen des Kärntner Landeshauptmanns Peter Kaiser (SPÖ), wonach man wegen der Corona-Krise beschlossene Restriktionen regional in unterschiedlichem Tempo zurücknehmen könnte. Er halte das für einen interessanten Vorschlag, aber nicht für eine Idealmaßnahme, sagte dazu Anschober. Es sei ohnehin schwierig genug zu verstehen, wo was gelte. Differenziere man da auch noch regional, werde es noch schwieriger. Er habe heute mit den Landeshauptleuten (video-)konferiert und alle zögen an einem Strang.

Opposition verlangt mehr Klarheit

Unterdessen verlangen Teile der Opposition nach mehr Klarheit für die Arbeitnehmer. SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch will daher die Einberufung des Sozialausschusses noch im April. Die zuständigen Ministerien müssten zur "katastrophalen Lage am Arbeitsmarkt" Rede und Antwort stehen. FPÖ-Klubchef Herbert Kickl forderte "halbwegs konkrete Szenarien für die Zukunft".

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(APA)

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