Operation Spinnennetz: Wie die Ukraine Russlands strategische Bomber traf
Koordinierter Angriff auf vier Militärbasen
Am 1. Juni 2025 führte der ukrainische Geheimdienst SBU die bislang komplexeste Drohnenoperation des Krieges durch. Unter dem Codenamen "Operation Spinnennetz" (englisch: Spider Web) griffen 117 Drohnen gleichzeitig vier russische Luftwaffenstützpunkte in Murmansk, Irkutsk, Rjasan und Iwanowo an. Die betroffenen Standorte liegen mehrere Tausend Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt.
Laut Präsident Wolodymyr Selenskyj war dies die "weitreichendste Operation in der Geschichte der Ukraine" – mit einem symbolischen und strategischen Ziel: Russlands Fähigkeit zum Raketenkrieg aus der Distanz zu schwächen.
Geheime Planung über 18 Monate
Nach Angaben des SBU wurde die Operation über 18 Monate geplant. Die Drohnen wurden demnach als Einzelteile nach Russland geschmuggelt und in Containern in einer Lagerhalle in Tscheljabinsk montiert. Diese Container, getarnt als Holzhütten, wurden anschließend auf Lkw verladen und in der Nähe der Ziele abgestellt.

Die Technik: automatisch abnehmbare Dächer, FPV-Drohnen mit Kameraübertragung, Fernsteuerung via Mobilfunk oder Satellit. Die Drohnen wurden dann punktgenau auf abgestellte russische Flugzeuge gelenkt. Videos aus sozialen Netzwerken zeigen, wie Drohnen aus Containern starten – von russischer Seite zunächst unbemerkt.

Militärexperte Nico Lange, früherer Büroleiter im deutschen Verteidigungsministerium, spricht im Zusammenhang mit der "Operation Spinnennetz" von einem "herausragenden Erfolg der ukrainischen Geheimdienste". In einer Analyse bei ZDFheute live bezeichnete er den Angriff auf russische Luftwaffenstützpunkte als "eine der spektakulärsten Geheimdienstoperationen, die es je gegeben hat".

Die Ukraine habe nicht nur technisch überzeugt, sondern vor allem durch strategisches Know-how und tiefes Verständnis für das russische System. Die Drohnen seien "nicht das Entscheidende" – vielmehr sei es die Fähigkeit gewesen, diese ungesehen nach Russland zu bringen, zu verstecken, zu koordinieren und präzise einzusetzen.
- "Die russische Spionageabwehr hat komplett versagt. Dass diese Bomber völlig ungeschützt standen, zeigt ein enormes Sicherheitsproblem in einem Staat, der von Geheimdienstlern regiert wird", so Lange.
Er betonte zudem, dass jeder der 117 Drohnenangriffe von einem eigenen Operator geführt wurde – mit dem Ziel, maximalen Schaden anzurichten. Dabei sei zum Teil auf russische Mobilfunknetze zugegriffen worden, möglicherweise ergänzt durch KI-Zielsteuerung, um Schwachstellen an den Bombern zu identifizieren.

Strategischer Kontext und internationale Bedeutung
Laut Lange handelt es sich nicht nur um einen militärtaktischen Erfolg, sondern auch um ein Signal an Russland und die westliche Welt. Der Verlust von bis zu 41 Flugzeugen – davon ein erheblicher Anteil an strategischen Trägern wie Tu-95 oder A-50 – sei nicht kurzfristig zu kompensieren. Die betroffenen Bombertypen würden nicht mehr gebaut, und Russlands Flugzeugindustrie sei durch westliche Sanktionen massiv geschwächt.
- "Für Russland ist das ein strategischer Rückschlag – und für Europa paradoxerweise ein Sicherheitsgewinn", analysiert Lange. Ohne diese Bomber könne Russland kombinierte Luftschläge – mit Raketen, Drohnen und Marschflugkörpern – deutlich schwerer durchführen
Wer war beteiligt?
Offiziell durchgeführt wurde die Operation vom Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) unter Leitung von Wassyl Maljuk, der Präsident Selenskyj direkt unterstellt ist. Selenskyj bestätigte, dass 117 individuelle Drohnenpiloten beteiligt waren – und "alle Helfer vor dem Start sicher aus Russland abgezogen wurden".

Russische Behörden nannten unterdessen den Ukrainer Artem Tymofieiev als möglichen Logistikbeteiligten – er soll Fahrzeuge zur Verfügung gestellt haben. Der SBU dementierte eine direkte Beteiligung. Ob Tymofieiev wusste, was er transportierte, ist ungeklärt. Russlands Innenministerium meldete zwischenzeitlich mehrere Festnahmen.
Reaktionen in Russland – und international
Während der Kreml zunächst schwieg, wird in russischen Militärblogs von einem "russischen Pearl Harbor" gesprochen. Die Plattform Rybar schrieb: "Diese Verluste sind nicht zu ersetzen."
International wurde der Angriff als beispiellos präzise und strategisch wirksam bewertet. Die New York Times und die BBC berichten von einem möglichen Wendepunkt: Drohnen für wenige Hundert Dollar zerstörten Flugzeuge im Wert von Hunderten Millionen. Das US-Militär prüft laut "Guardian" bereits, wie verwundbar eigene Basen für vergleichbare Angriffe sind.
Militärische Bedeutung
Die Ukraine demonstrierte mit der Operation:
- technologische Überlegenheit bei Drohnenkriegsführung,
- operative Tiefe im feindlichen Hinterland,
- die Fähigkeit, konventionelle und nukleare Trägersysteme Russlands zu treffen.
Laut dem US-Militäranalysten Ben Hodges ist Russlands Fähigkeit, Cruise Missiles langfristig einzusetzen, deutlich geschwächt. Die Angriffe zeigen auch: Kiew verfügt über funktionierende Netzwerke im Inneren Russlands – und kann diese aktivieren.
Häufige Fragen zur „Operation Spinnennetz“
Ziel war es, strategische Bomber der russischen Luftwaffe zu zerstören, um deren Fähigkeit zu Langstreckenangriffen auf die Ukraine zu schwächen.
Die Drohnen wurden in Containern versteckt, in Russland deponiert und von dort aus ferngesteuert gestartet. Die Planung dauerte 18 Monate.
Angegriffen wurden die Luftwaffenstützpunkte Belaja (Irkutsk), Olenja (Murmansk), Djagilewo (Rjasan) und Iwanowo-Sewerny.
Nach ukrainischen Angaben wurden mindestens 41 Flugzeuge getroffen, der geschätzte Schaden liegt bei rund sieben Milliarden US-Dollar.
Laut US-Quellen wurde die USA vorab nicht informiert. Die Aktion gilt als rein ukrainisch initiiert und ausgeführt.
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