ÖVP und SPÖ regierten bislang 44 Jahre in Großer Koalition
Falls die Nationalratswahl keine große Überraschung bringt, gilt derzeit - trotz Ibiza-Debakels - Türkis-Blau als die wahrscheinlichste Regierungsvariante nach dem 29. September.
Bisher hat noch keine einzige Regierung, an der die FPÖ beteiligt war, bis zum Ende durchgehalten. Die dominierende Koalitionsform der Zweiten Republik war die Große Koalition zwischen ÖVP und SPÖ.
Große Koalition dominierte bislang in Zweiter Republik
Die bisher letzte - insgesamt dritte - großkoalitionäre Phase ging nach der Wahl 2017 zu Ende, genau am 18. Dezember 2017, als die türkis-blaue Regierung angelobt wurde. Bis dahin hatten ÖVP und SPÖ (die sich mit nur einer Ausnahme immer die ersten beiden Plätze bei den Wahlen teilten) zusammen 44 Jahre in Österreich regiert - zunächst, von 1945 bis 1970, unter der Führung von ÖVP-Kanzlern, dann von 1986 bis 2000 und von 2006 bis 2017 mit SPÖ-Kanzlern.
Abgesehen von der jetzigen Beamtenregierung hatten die beiden Traditionsparteien Österreich immer fest in der Hand. Immer war eine von ihnen in der Regierung: Die SPÖ in Summe 61 Jahre, die ÖVP fast 57 - und zuletzt durchgehend seit 32 Jahren und vier Monaten. Auch die Kanzler stellten immer die SPÖ (über 40,8 Jahre) und die ÖVP (32,7 Jahre). Die seit 3. Juni amtierende Brigitte Bierlein ist nicht nur die erste Frau an der Spitze der Regierung, sondern auch die erste parteifreie Bundeskanzlerin.
Alle FPÖ-Koalitionen platzten
Die einzige Partei, die neben SPÖ und ÖVP bisher zu Regierungsehren kam, war die FPÖ. Bisher war sie etwas über zehn Jahre am Ruder, rechnet man das 2005 von abgespaltene (und mittlerweile von der Bildfläche verschwundene) BZÖ dazu rund zwölf Jahre. Mehr als zwei Drittel ihrer Koalitionszeit (von 2000 bis 2006 und von 2017 bis 2019) verbrachten die Freiheitlichen mit der ÖVP, von 1983 bis zur Wahl 1986 gab es eine rot-blaue Koalition.
Dass die FPÖ nicht länger mitregierte, lag nicht nur daran, dass eine Koalition mit ihr lange tabu war - und es mitunter auch keine oder nur eine dünne Mehrheit dafür gab. Sondern auch daran, dass keine einzige der Blau-Koalition die ganze Periode durchhielt. Dreimal sprengten FPÖ-Turbulenzen die Koalition, einmal sprengte es sie selbst.
Die jetzige türkis-blaue Regierung zerbrach noch flotter als alle anderen - weil eineinhalb Jahre nach ihrer Angelobung das für Parteichef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache verfängliche "Ibiza-Video" auftauchte.
Die erste schwarz-blaue Regierung von Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) und Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer (FPÖ) wurde nach zwei Jahren durch den "Knittelfelder Putsch" der FPÖ gesprengt. Die nach der Wahl von Schüssel fortgesetzte Koalition mit der FPÖ hielt drei Jahre, dann spaltete sich das BZÖ (mit Jörg Haider) ab und die FPÖ (mit Heinz-Christian Strache) ging in die Opposition. Schwarz-Orange hielt dann bis zum Ende der Periode 2006.
Die nach der Wahl 1983 gebildete rot-blaue Koalition arbeitete fast die ganze (damals noch) vierjährige Legislaturperiode ab - bis Jörg Haider 1986 die Partei übernahm und Franz Vranitzky deshalb den von seinem Vorgänger Fred Sinowatz mit Norbert Steger geschlossenen Pakt beendete.
Einmalige Konzentrationsregierung mit allen Parlamentsparteien
Sowohl die ÖVP (von 1966 bis 1970) als auch - sehr viel länger - die SPÖ (von 1970 bis 1983) waren früher vorübergehend stark genug, um allein zu regieren. Der langjährige SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky wagte im März 1970 sogar das Experiment der (von der FPÖ unterstützten) Minderheitsregierung, über die jetzt angesichts der möglichen Koalitionsnöte der ÖVP nach der Wahl wieder gesprochen wird. Kreisky konnte allerdings - angesichts der Ergebnisse einer Wahlwiederholung in drei Wiener Wahlkreisen - mit der (zutreffenden) Hoffnung auf die Absolute schon für Oktober 1971 die Neuwahl ausrufen.
Wenn man es genau nimmt, gab es in Österreich noch eine weitere Regierungsform: In der ersten Regierung der Zweiten Republik waren von 1945 bis 1947 alle Parlamentsparteien (ÖVP, SPÖ und KPÖ) vertreten - das war eine Konzentrationsregierung.
Erfolgreicher Misstrauensantrag gegen Sebastian Kurz war Premiere
Eine Regierungs-Premiere erlebte Kanzler Kurz Ende Mai: Seine - nach dem Abgang der FPÖ-Mannschaft - gebildete ÖVP-Regierung mit "Experten" war die erste, der der Nationalrat das Misstrauen aussprach - und die deshalb vom Bundespräsidenten des Amts enthoben wurde.
(APA/Red)