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Mordprozess um Hadishat: Angeklagter bekennt sich schuldig

Der Angeklagte bekannte sich beim Prozess schuldig.
Der Angeklagte bekannte sich beim Prozess schuldig. ©APA/HANS PUNZ
Beim Mordprozess am Mittwoch bekannte sich der angeklagte 16-Jährige schuldig. Er schilderte, dass ihm Stimmen die Bluttat befohlen hätten.
Prozess gestartet

“Ich bekenne mich schuldig”, sagte der wegen Mordes angeklagte 16-Jährige eingangs seiner Befragung. In klaren Worten schilderte er, Stimmen hätten ihm die Bluttat befohlen.

Angeklagter: Stimmen im Kopf befahlen Bluttat

“Eine Stimme im Kopf hat gesagt, dass ich sie würgen soll. Das tat ich auch. Ich habe weitere Anweisungen gehört. Dass ich sie in die Duschkabine bringen soll, ein Messer holen und zustechen soll.” Weitere Details wollte er nicht preisgeben: “Ich kann es nicht noch näher schildern. Ich kann mich nicht erinnern, den Kopf ganz abgetrennt zu haben.”

Nach der Tötung hätte ein Freund an der Tür geläutet. Er habe aufgemacht, der Freund habe die Leiche gesehen. “Er hatte Angst und war geschockt”, berichtete der 16-Jährige. Er habe dann alleine die Leiche gewaschen und “in ein Sackerl gepackt und entsorgt”. Die Stimme habe ihm gesagt: “In den Müll.”

Prozess in Wien: Angeklagter hört auch während Prozess die Stimmen

Die Stimmen höre er schon seit Jahren, meinte der Angeklagte. Einmal sei er mit einem Messer vor dem Bett seines Vaters gestanden und sei zum Zustechen aufgefordert worden: “Ich konnte mich dagegen wehren.” Die Stimmen höre er “den ganzen Tag”. Darüber hinaus nehme er auch Personen wahr, die – wie er nach seiner Festnahme erfahren habe – in Wahrheit gar nicht existieren. In diesem Zusammenhang erwähnte er eine 15-Jährige namens Antonia Weißenberg: “Ich dachte, die war real. Die war immer da, wenn ich sie gebraucht habe.”

Wenn er sich den Stimmen widersetze, bekomme er Kopfweh. Von den Stimmen hätte er befreundeten Burschen aus der Nachbarschaft erzählt: “Ich habe mir keine Hilfe erwartet. Ich wollte, dass meine Freunde wissen, wie es mir geht.” Die Frage eines Geschworenen, ob er die Stimmen auch jetzt höre, bejahte der 16-Jährige: “Sie sagen mir, dass ich mich beruhigen soll, dass es nicht so schlimm ist.”

Psychiater Hofmann bejahte Schuldfähigkeit

Der von der Staatsanwaltschaft beigezogene Gerichtspsychiater Peter Hofmann bescheinigte dem Angeklagten Zurechnungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt und damit grundsätzlich Schuldfähigkeit. Damit könnte – sollten die Geschworenen Hofmann folgen – der 16-Jährige wegen Mordes bestraft werden, wofür das Jugendgerichtsgesetz einen Strafrahmen von bis zu 15 Jahren vorsieht.

Der 16-Jährige habe im vergangenen Mai, als er auf das sieben Jahre alte Mädchen losging, neben erheblichen Zwangsstörungen – einem Kontroll- und Waschzwang mit bis zu 40-maligem Händewaschen am Tag – und einer Neigung zu Selbstüberhöhung eine narzisstisch-schizoide Persönlichkeitsstörung aufgewiesen, erläuterte der Gutachter. Die schizophrene Erkrankung habe sich aber erst “im Vorstadium” befunden, sagte Hofmann. Die Diskretions- und Dispositionsfähigkeit des Schülers wären nicht aufgehoben gewesen.

“Die schizophrene Erkrankung war zum Zeitpunkt der Tat nicht handlungsbestimmend”, stellte der langjährige Gerichtsgutachter fest. Dem Bursch hätten allenfalls “Vorläufersymptome” zu schaffen gemacht. Erst mit Ende Juni habe sich “ein Vollbild der Schizophrenie” herausgebildet, was Hofmann auf die Inhaftierung und die damit verbundenen Lebensumstände des Jugendlichen zurückführte. Diese hätte dem 16-Jährigen nämlich erhebliche Stressfaktoren bereitet, weil auf ihn – vermutlich aus dem Umfeld der aus Tschetschenien stammenden Familie des umgekommenen Mädchens – ein Kopfgeld ausgesetzt wurde und er sich deswegen im Gefängnis nicht sicher fühlte. Aufgrund der ihm angelasteten Tat sei der Angeklagte außerdem “familiär entwurzelt” und seiner sozialen Perspektiven beraubt, legte Hofmann dar. Diese Faktoren hätten der schizophrenen Erkrankung zum Durchbruch verholfen.

Angeklagter sei hochgefährlich

Für den Fall einer anklagekonformen Verurteilung sprach sich der Sachverständige für die zusätzliche Einweisung des Burschen in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher aus. Er stufte den Angeklagten aufgrund seiner geistig-seelischen Veranlagung als hochgefährlich ein. Die inzwischen offenkundig zutage getretene Schwere der Erkrankung “verschlimmert das Problem”, hielt Hofmann fest. Die Gefahr, dass der Bursch ohne die im Maßnahmenvollzug gewährleistete haftbegleitende therapeutische Behandlung wieder Straftaten mit schweren Folgen – der Experte erwähnte in diesem Zusammenhang “Tötungsdelikte und absichtliche schwere Körperverletzungen” – setzen wird, sei beträchtlich.

Hinsichtlich des Motivs für die Bluttat bemerkte der Gerichtsgutachter: “Es gibt auch schwere Taten, die ohne Schizophrenie begangen werden.” Bei seiner ersten Begegnung mit dem 16-Jährigen hätte dieser noch nicht von Stimmen und Erscheinungen gesprochen, sondern habe ihm erklärt, er habe “wissen wollen, wie es ist, wenn man jemanden tötet”.

Nach 14.00 Uhr kommt der zweite, vom Gericht bestellte psychiatrische Sachverständige zu Wort. Der Linzer Kinder- und Jugendneuropsychiater Werner Gerstl geht im Unterschied zu Hofmann davon aus, dass beim Angeklagten im Tatzeitpunkt Zurechnungsfähigkeit nicht mehr gegeben war.

Werner Gerstl: Angeklagte war zum Tatzeitpunkt nicht zurechnungsfähig

Im Unterschied zu seinem Kollegen Peter Hofmann zeigte sich der Linzer Kinder- und Neuropsychiater Werner Gerstl überzeugt, dass der Angeklagte im Tatzeitpunkt nicht zurechnungsfähig war. Eine innere Stimme hätte den 16-Jährigen “blitzartig überfallen” und ihm “Pack zu!” gesagt. Da habe der Bursch “in einem übermäßigen Aggressionsstau diesen ganz schlimmen Mord begangen”.

Gerstl meinte, der Angeklagte habe bereits mit acht oder neun Jahren zu halluzinieren begonnen, wobei er sich bei seinen Ausführungen auf eine eingehende Untersuchung und die dabei getätigten Angaben des 16-Jährigen bezog. Diese Untersuchung fand allerdings fünf Monate nach dem letzten Termin statt, den Hofmann mit dem Angeklagten hatte.

“Als er gemerkt hat, dass die Stimmen lauter werden, hat er nachgelesen. Mit zehn Jahren, in Fachbüchern, im Internet”, gab Gerstl die Erinnerungen des Angeklagten wieder. Sehr früh sei bei diesem die Vermutung gereift, er leide an Schizophrenie, was er seinen Eltern auch mitgeteilt hätte. Diese hätten das aber nicht wahrhaben wollen. Die Mutter habe ihm empfohlen, mehr zu essen, der Vater die Auffassung vertreten, der Sohn bilde sich seine Erkrankung nur ein. Die Stimmen hätten den Angeklagten zunächst nicht gestört, erläuterte der Psychiater: “Er war mit ihnen im Dialog.” Bis zu elf Stimmen habe der Schüler gleichzeitig vernommen.

Mit der Zeit hätte sich aber “eine manifeste Form der schizophrenen Erkrankung” entwickelt, bemerkte Gerstl. Zu den imperativen Stimmen wären Erscheinungen, wieder kehrende halluzinatorische Gestalten getreten: “Figuren, die ihm Angst gemacht haben.” Ab November oder Dezember 2017 sei das psychopathologische Geschehen gefährlich geworden. Der Bursch habe etwa einen Freund gefragt, ob er lieber den Bauch aufgeschlitzt bekommen wolle oder von schwarzen Handschuhen erdrosselt werden möchte. In Bezug auf eine Freundin habe er konkrete Tötungsgedanken und Mordfantasien entwickelt, legte der Gutachter dar, wobei er sich auf von Kriminalisten sichergestellte Chat-Verläufe bezog.

Im Februar und März wurden die Stimmen laut Gerstl “immer mordlustiger”. Der 16-Jährige sei in einen “Prozess des Gefährlich-Werdens mit sukzessiver Progredienz” geraten. Er schließe aus, “dass allein Stress das Vollbild einer Schizophrenie ausgebildet hat, die vorher nicht vorhanden gewesen sein soll”, widersprach Gerstl in aller Deutlichkeit der Einschätzung Hofmanns.

Auf die Frage des vorsitzenden Richters, weshalb er zu einem anderen Ergebnis als Hofmann komme, verwies Gerstl auf den späteren Untersuchungszeitpunkt. Außerdem sei er “mehr auf die Entwicklungspathologie eingegangen” und bediene sich einer anderen Exploration: “Ich hab’ eine andere Technik.”

(APA/Red)

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