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"Miss América Latina Austria" María Koletnik Castro im Interview: "Dieses Stereotyp ist nach wie vor verbreitet"

"Miss América Latina Austria" María Koletnik Castro gibt im Interview mit VIENNA.at Einblicke in ihr persönliches Leben.
"Miss América Latina Austria" María Koletnik Castro gibt im Interview mit VIENNA.at Einblicke in ihr persönliches Leben. ©instagram.com/mariakoletnikcastro
Weil eine schmerzliche Niederlage an ihr genagt hat, meldete sich María Koletnik Castro für die "Miss América Latina Austria"-Wahl an. Ein paar Wochen später hatte sie die Krone auf dem Kopf. Im Interview mit VIENNA.at spricht die 23-Jährige über die Bedeutung dieses Titels, das hartnäckige Klischee vom hübschen Dummchen und ihre Rolle als Bindeglied zwischen den Kulturen.
María Koletnik ist "Miss América Latina Austria"

“Eigentlich bin ich total schüchtern”, sagt María Esther Koletnik Castro. Ein Satz, den man von der frischgebackenen Siegerin einer Misswahl nicht unbedingt erwartet. “Aber dieser Titel hat mein Selbstvertrauen gestärkt.” Die 23-jährige Tochter eines Kärntner Slowenen und einer Dominikanerin wurde Ende September in Wien zur “Miss América Latina Austria 2017” gekürt und vertritt Österreich kommenden Samstag bei der Welt-Latina-Wahl “Miss América Latina del Mundo” in Mexiko.

Vor dem Abflug in Richtung Santa María Huatulco, im paradiesischen Oaxaca, nahm sich die Wahl-Wienerin für VIENNA.at Zeit und spricht im Interview über den Stellenwert von Schönheit, ihre beruflichen Ziele und erklärt, wie der Titel ihr Selbstvertrauen gestärkt hat und warum Sprache für sie das Auge der Seele ist.

María Koletnik: Die “Miss América Latina Austria 2017” im Interview

“Das ist mein erstes Interview überhaupt”, sagt sie lächelnd, mit einer Mischung aus Neugier, Vorfreude und vielleicht einer Brise Nervosität. Die ersten Antworten kommen ihr in sauberem Hochdeutsch über die Lippen, die Sicherheit, die sie im Verlauf des Gesprächs gewinnt, lässt aber schnell immer wieder den Kärntner Akzent durchklingen.

Wer beim Gespräch mit der rassigen Austro-Dominikanerin auswendig gelernte Stehsätze erwartet, täuscht sich. María wählt ihre Worte mit Bedacht, lässt sich auch von unerwarteten Fragen nicht aus der Ruhe bringen und zeigt, dass sie zu grundverschiedenen Themen eine Meinung hat und diese fundiert argumentieren kann. Eine Miss, die viel zu sagen hat – und das nicht nur, weil sie sechs verschiedene Sprachen beherrscht.

VIENNA.at: María, Gratulation zum Titel! Hast du deinen Sieg schon gebührend gefeiert?

María Koletnik Castro: So richtig gefeiert habe ich noch nicht. Irgendwie ist alles so schnell gegangen, ich hatte nur sehr wenig Vorlaufzeit für den Wettbewerb. Die anderen Mädls hatten sich drei Monate lang darauf vorbereitet, ich kam erst im September dazu. Dann hab’ ich völlig unerwartet gewonnen und daraufhin kamen gleich die Vorbereitungen auf die Reise zur “Miss América Latina del Mundo” in Mexiko.

Erzähl’ uns doch ein wenig über deinen Background. Dein Vater ist Österreicher, deine Mutter kommt aus der Dominikanischen Republik. Wo bist du aufgewachsen?

Ich wurde in der Dominikanischen Republik geboren und habe dort die ersten Jahre meines Lebens verbracht. Danach sind wir ein paar Mal zwischen Österreich und der Dominikanischen Republik hin- und hergezogen. Seitdem ich zehn Jahre alt war, lebe ich fix in Österreich.

Wieviel Latina steckt in dir und wie äußert sich das?

Auf jeden Fall einmal durch mein Temperament. Ich glaube, es ist bekannt, dass Latinas sehr viel davon haben. Ich bin sehr stur und beharre auf meiner Meinung, auch wenn ich einmal nicht recht habe. Auf der anderen Seite bin ich sehr loyal. Wenn ich jemanden gern habe, dann gehört dieser Mensch zu meinem Leben und ich lasse ihn nicht mehr los.

Welche deiner Eigenschaften sind typisch österreichisch?

Ich bin sehr pünktlich, das ist das Allererste. Außerdem bin ich zielstrebig. Wenn ich mir etwas vornehme, dann ziehe ich das auch durch. In Lateinamerika dauert es oft sehr lange, bis etwas erledigt ist.

Du bist zur “Miss América Latina Austria 2017” gewählt worden. Die schönste Latina Österreichs – was bedeutet dieser Titel für dich?

Das ist eigentlich eine schwierige Frage, bei der ich ein bisschen ausholen muss. Ich habe mich angemeldet, nachdem ich davor bei einem anderen Contest mitgemacht hatte. Dort bekam ich sehr viel Feedback, wonach eine Freundin und ich die Favoritinnen seien, aber am Ende wurden wir nur Zweite beziehungsweise Dritte, weil wir mit unserem dunklen Teint nicht ins gewünschte Bild passten. Gewonnen hat eine blonde Lokalmatadorin aus der Region. Meine Freundin – Karolini Silva aus Brasilien, die jetzt bei der “Miss América Latina Austria“-Wahl Dritte wurde – und ich haben uns gesagt, dass wir Österreich beweisen wollen, dass auch wir eine Krone verdienen. Also haben wir uns für diesen Bewerb angemeldet. Daher bedeutet mir dieser Titel, dass ich sehr wohl in Österreich Fuß fassen kann, obwohl ich mit meinem exotischen Aussehen vielleicht nicht dem typischen Bild einer Österreicherin entspreche.

Im Vorfeld der Misswahl hattet ihr verschiedene Auftritte und wart immer wieder gemeinsam unterwegs. Wie hast du die Stimmung unter den Mädels – immerhin ja alle Konkurrentinnen um den Titel – empfunden?

Wir haben uns alle sehr gut verstanden und es gab keine Sekunde lang den Gedanken, dass diese oder jene den Titel nicht verdient hätte. Das war bei dem Contest davor ganz anders. In diesem Sinne war es diesmal eigentlich kein Wettbewerb, vielmehr habe ich neue Freunde finden können. Im zwischenmenschlichen Bereich kommt meine österreichische Seite sehr stark zum Vorschein, deshalb tue ich mir schwer, Lateinamerikaner als Freunde zu gewinnen. Ich hatte unter Latinos bis jetzt keine Clique, zu der ich mich zugehörig gefühlt hätte. Wenn ich mit jemandem ein Treffen ausgemacht habe, derjenige dann nicht erscheint und ich zwei Stunden später eine Nachricht mit einer Entschuldigung bekomme – damit komme ich nicht zurecht.

Bei der Gala wurden in einer ersten Vorausscheidung sechs Finalistinnen bestimmt. Hat man es unter diese Gruppe geschafft, wird der Sieg greifbar. Wie hast du die emotionale Anspannung bis zum finalen Voting erlebt?

Ich muss ehrlich sagen, dass ich in diesem Moment gar nicht darüber nachgedacht habe. Ich hab‘ nur überlegt, wo ich hinsteigen und hingehen muss, weil wir diesen Schlussteil nicht wirklich geprobt hatten. In meinem Kopf ist es nur darum gegangen, ja nichts falsch zu machen, daher ist mir der Gedanke daran, welchen Platz ich am Ende erreichen würde, gar nicht gekommen. Für mich persönlich hatte ich mit dem Einzug ins Finale ohnehin schon ein großes Ziel erreicht. Nervös war ich wegen des Titels überhaupt nicht, ich hätte ihn jeder gegönnt.

Siehst du die Gefahr, als Siegerin einer Misswahl von Leuten, die dich nur flüchtig kennen, pauschal auf dein Äußeres reduziert zu werden?

Ja, in dieser Situation war ich schon öfter, aber nicht wegen der Misswahl, sondern ganz allgemein. Jemand lernt mich kennen und wenn ich ihm sage, dass ich Sprachwissenschaften studiere und beinahe fertig bin, schauen sie komisch. Da sieht man dann am Gesichtsausdruck die Verwunderung. Dieses Stereotyp, sie ist hübsch und kann deshalb nicht intelligent sein, ist nach wie vor verbreitet.

Schönheitswettbewerbe werden immer wieder auch missgünstig beäugt. Was entgegnest du den Kritikern, das man einer Misswahl Positives abgewinnen kann?

Man kann das Selbstbewusstsein stärken, und zwar in der Hinsicht, dass man sein Auftreten zum Positiven verändert. Ich bin sehr schüchtern und mir wurde in der Vorbereitung auf die Wahl immer wieder erklärt, ich müsse mich besser präsentieren. Damit habe ich mir wirklich schwergetan. Wenn der Augenblick kommt, an dem du in irgendeiner Weise posieren musst, ist das eine große Überwindung. In meinem Auftreten bin ich viel selbstbewusster geworden, außerdem fällt es mir nun leichter, vor mehreren Menschen zu sprechen.

Welchen Stellenwert haben Aussehen und Schönheit für dich?

Ich finde den ersten Eindruck wichtig und somit, in gewisser Weise, auch das Äußere. Wenn ich zum Beispiel zu einem Vorstellungsgespräch gehe, kennt mich dieser Mensch nicht. Das heißt, er muss sich einmal ein Bild von mir machen. Und der erste Eindruck bleibt. Würde ich dort in Jogginghose hingehen, wird dieses Bild ein anderes sein, als wenn ich mich entsprechend herrichte. Aussehen ist nicht das Wichtigste, aber es gehört zum Bild, das man sich von einer Person macht, dazu.

Bist du eitel?

Das kommt ganz auf die Situation an. Für die Uni ziehe ich mich nicht besonders an, da gehe ich einfach in Jeans und Leiberl hin. Beim Fortgehen kann ich aber schon sehr eitel sein, da muss alles sitzen und jeder Lidstrich perfekt sein. Da kommt die Latina in mir durch.

Was bedeutet Familie für dich?

Familie kommt für mich an erster Stelle! Als ich mit meiner Familie von der Dominikanischen Republik nach Österreich gezogen war, hatte ich niemanden, außer meiner Familie. Meine Schwester, die mittlerweile in Madrid lebt, war damals meine beste Freundin und meine Eltern sind immer hinter mir gestanden und haben mich bei allem unterstützt.

Deine Familie lebt nach wie vor in Kärnten. War es für dich schwierig, fürs Studium nach Wien zu ziehen?

Ich lebe jetzt seit vier Jahren in Wien und bis vor eineinhalb Jahren war ich fast jedes Wochenende zu Hause in Kärnten. Auch viele meiner Freunde sind noch dort und in Wien tu‘ ich mir mit Freunden ein bisschen schwer. In der Stadt ist das etwas anderes, oberflächlicher.

Du bist also weniger ein Stadt-Mensch.

Doch, schon, aber ich werde auch nie vergessen, wo ich herkomme. Mein Dorf in Kärnten hat zwischen 100 und 200 Einwohner.

María Koletnik Castro
María Koletnik Castro ©Die Chance auf ein gemeinsames Selfie mit “Miss América Latina Austria 2017” María Koletnik Castro konnte sich VIENNA.at-Redakteur David Mayr nicht entgehen lassen.

Du vereinst durch deine Familiengeschichte zwei Kulturen. Inwieweit siehst du dich auch als Bindeglied – sowohl für Latinas, die erst seit kurzer Zeit in Österreich sind, als auch in der Dominikanischen Republik, wo du den Menschen von Österreich erzählen kannst?

Zunächst einmal muss ich dich korrigieren: Durch meinen Papa kommt die slowenische Kultur auch noch dazu, also sind es drei. Aber zu deiner Frage: Da komme ich wieder auf die Pünktlichkeit zu sprechen. Wir hatten mit der Latina-Gruppe der Misswahl verschiedene Treffen und da ist es schon vorgekommen, dass wir eine Stunde lang auf eine Kandidatin warten mussten. Sie hat sich zwar entschuldigt, ist beim nächsten Mal aber wieder viel zu spät gekommen. Ich habe mich dann mit ihr zusammengesetzt und mit ihr ausgemacht, dass beim nächsten Treffen mit ihr ich zu spät kommen werde, damit sie erkennt, wie unangenehm das ist. Außerdem habe ich ihnen erklärt, dass eine gewisse Brise Direktheit – klare Aussagen – nichts Schlechtes ist. Ich habe aber immer darauf geachtet, einen Mittelweg zu finden. Was das betrifft, habe ich einen Vorteil, weil ich auf beiden Kontinenten aufgewachsen bin und sowohl in Österreich, als auch in Lateinamerika als Kind sozialisiert wurde.

Was gefällt dir besonders und was wiederum gar nicht an deinen beiden Ländern?

An der Dominikanischen Republik stört mich ganz klar, dass es so viel Korruption gibt und die Schulbildung oft auf der Strecke bleibt. Es ist sehr chaotisch, was furchtbar schade ist, weil das Land eigentlich ein Paradies sein könnte. Wenn du etwas im Leben erreichen willst, musst du weggehen. Was ich schätze, ist die Herzlichkeit der Menschen. Man setzt sich zusammen und kann sich den ganzen Tag über x-beliebige Themen unterhalten. Die Leute sind immer höflich und schauen niemanden komisch an, egal, ob man weiß, schwarz, gelb oder sonst etwas ist. In dieser Hinsicht ist dort alles ein bisschen offener. Letztens war ich mit einer Freundin im 10. Bezirk unterwegs und plötzlich kam ein Mann von der anderen Straßenseite rüber und hat uns beschimpft und gemeint, wir sollen wieder in unser Land zurückgehen. Mein Vater lebte 13 Jahre lang in der Dominikanischen Republik und wurde nie auf diese Art beschimpft.

Was stört dich noch beziehungsweise was gefällt dir an Österreich?

Es fehlt einem hier ja eigentlich an nichts. Man kann hier wunderbar leben, es gibt viel staatliche Unterstützung, ein riesiges Freizeitprogramm und trotzdem stecken viele Menschen scheinbar in ihrem Alltag fest. Am Abend siehst du in Wien kaum Leute auf der Straße, obwohl das die Hauptstadt des Landes ist. Es scheint, als würden sie das Leben nicht genießen. Ein guter Job, eine schöne Stadt, ein großartig entwickeltes Erste-Welt-Land – und trotzdem haben die Menschen immer etwas, um zu nörgeln. Was mir wiederum gefällt ist, dass man sich auf die Institutionen verlassen kann. Egal, wer welche Hilfe benötigt, es gibt immer eine Möglichkeit, Unterstützung zu bekommen.

Wie oft reist du in die Dominikanische Republik?

Alle zwei bis drei Jahre. Die Flüge werden leider immer teurer, für eine Studentin ist das eine ordentliche Stange Geld.

Du hast mit Deutsch, Spanisch und Slowenisch drei Mutter- beziehungsweise Primärsprachen. Wie viele Sprachen beherrschst du insgesamt?

Ich war in der slowenischen Schule in Klagenfurt, dort kam dann Englisch dazu und zusätzlich lernten wir noch Russisch, praktisch auf demselben Niveau wie Englisch. Auf der Universität hab‘ ich dann noch einen Kurs in Bosnisch/Serbisch/Kroatisch gemacht.

Und du studierst Sprachwissenschaften. Was bedeutet Sprache für dich?

Für mich ist Sprache das Auge der Seele. Sprache ist Identität, es geht um hören und gehört werden. Kommunikation ist meiner Meinung nach eines der wichtigsten Dinge überhaupt. Ohne Kommunikation könnte man keine Konflikte lösen, Politik beruht auf Kommunikation. Durch die Art und Weise, wie du dich äußerst, kann man sich ein Bild davon machen, wie du bist.

Arbeitest du neben deinem Studium?

Eine Freundin von mir hat eine Agentur und ich arbeite dort mit. Meistens bin ich in Diskotheken, um Flyer auszuteilen, bitte die Leute zu den Tischen oder kassiere den Eintritt. Dadurch hat man sehr viel Kontakt zu anderen Menschen.

Welche beruflichen Zukunftspläne hast du?

Zwischen dem, was ich machen sollte und dem, was ich machen möchte, ist eine große Kluft. Meine Eltern hätten gerne, dass ich auf einer Botschaft oder einem Magistrat arbeite, aber das ist nicht das, was ich will. Ich möchte mit Menschen zusammenarbeiten und helfen. Eine Freundin von mir arbeitet in einer WG für minderjährige Flüchtlinge, nicht als Betreuerin, sondern als Mediator. Sie vermittelt, wenn es Verständigungsprobleme gibt. Das wäre mein Traumjob – mit Sprachen zu arbeiten und damit gleichzeitig Menschen zu helfen.

Wobei die Sprachen, die du beherrschst, für die aktuelle Flüchtlingskrise eher weniger relevant wären.

Ja, aber die kann ich ja lernen!

Privat würdest du dir vorstellen können, wieder in die Dominikanische Republik zu ziehen oder siehst du deine Zukunft in Österreich?

Fix hinzuziehen, kann ich mir derzeit nicht vorstellen. Vielleicht im höheren Alter einmal, aber jetzt will ich in Österreich bleiben. Hier ist meine Heimat, hier ist mein Land.

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