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Konzerthaus-Chef Matthias Naske: "Diese Krise wird länger dauern"

Der Konzerthaus-Chef im Interview.
Der Konzerthaus-Chef im Interview. ©APA/HERBERT NEUBAUER
Konzerthaus-Chef Matthias Naske hat in seiner 33-jährigen Tätigkeit im Konzertbetrieb eine Situation wie diese noch nicht erlebt. Er äußerte sich dazu, wie es um das Konzerthaus steht und was er über die Krise denkt.

Am 8. November regiert im Wiener Konzerthaus erstmals die "Kunst der Stunde". Der Große Saal, der an diesem Abend durch die Verschiebung des Konzerts von Chick Corea frei geworden ist, wird der jungen heimischen Jazzband Shake Stew als Bühne dienen. "Der Vorverkauf läuft sehr zufriedenstellend", sagt Intendant Matthias Naske. "Jetzt braucht es eben größtmögliche Flexibilität. In meiner 33-jährigen Tätigkeit im Konzertbetrieb habe ich so eine Situation noch nie erlebt."

Planungshorizont hat sich extrem verkürzt

Noch nie da gewesen in der Geschichte des 1913 eröffneten Hauses war auch der coronabedingte 88-tägige Stopp sämtlicher Konzertaktivitäten im Frühjahr. "Das war der längste Stillstand, den das Haus je erlebt hat. Was zwei Weltkriege nicht geschafft haben, ist diesem Virus gelungen." Umso glücklicher ist man, dass man seit Anfang September wieder spielen kann. "Der Betrieb ist heute sicher agiler, flexibler und resilienter, als er je war. Wir haben gelernt, schnell zu reagieren. Normalerweise planen wir zwei Jahre im Voraus. Derzeit haben wir einen Planungshorizont von zwei Monaten."

Der kaufmännische Höhepunkt der 2013 angetretenen Intendanz Naskes war im Dezember 2018 die Verlautbarung, 17 Jahre nach Abschluss der unerwartet kostspieligen Generalsanierung endlich schuldenfrei zu sein. Wie sehr hat sich diese Situation durch Corona wieder verschlechtert? Man sei noch immer schuldenfrei, versichert der Konzerthaus-Chef im Interview mit der APA. Die vergangene Saison werde man trotz des Shutdowns mit einer schwarzen Null abschließen können. Und für die laufende Saison haben sich ursprüngliche Kalkulationen von 6,1 Mio. Euro Verlust auf einen echten Finanzierungsbedarf von 2,3 Mio. Euro reduziert. Wie das?

1,3 Mio. Euro habe man "geldwerten Vorteil" durch Kurzarbeit lukrieren können, 1,1 Mio. Euro erhalte man vom NPO-Fonds, 0,3 Mio. Euro lasse die Stadt Wienaußertourlich springen und schließlich seien 1,1 Mio. Euro durch interne Einsparungsmaßnahmen zu erwarten, rechnet Naske vor. "Um ohne Kündigungen auskommen zu können, stellen wir nochmals alles auf den Prüfstand. Nur schlank und fit werden wir überleben können. Der Trubel und der Erfolg hat bisher Dinge zugedeckt, die man sich künftig nicht mehr leisten wird können."

Offen halten und spielen als Überlebensfrage

Und noch etwas sei eine Überlebensfrage: Offen halten und spielen! Dass in anderen Ländern selbst große und bedeutende Institutionen weiterhin geschlossen haben, hält Naske für eine "fatale Entwicklung". "Dieses Haus wird so lange es geht seinen gesellschaftlichen und politischen Einfluss geltend machen, um spielen zu können. Das ist nicht nur für uns und die Künstler wichtig, sondern auch für die Gesellschaft. Mehr denn je braucht es geschützte Räume des Austauschs, der Begegnung und der Kunst!" Nicht immer findet man Gehör. Die jüngste Reduzierung auf 1.000 statt bisher 1.500 mögliche Sitzplätze etwa werde das Konzerthaus ziemlich genau jene Summe kosten, die man sich dank der Halbierung der Umsatzsteuer erspart habe, sagt der Intendant.

Dennoch ist von Stillstand derzeit keine Rede. Auch wenn im September und Oktober statt der 80.000 Besucher des Vorjahres heuer wohl nur 52.700 gezählt werden: Das Haus brummt. In den ersten drei Monaten werde es vermutlich statt der ursprünglich 132 geplanten Veranstaltungen sogar 160 geben, 62 davon exakt so, wie sie angekündigt waren, legt der Konzerthaus-Chef weitere Zahlen auf den Tisch. Freilich: Das kann sich auch sehr rasch wieder ändern. Auch ohne Lockdown. Während bei den Museen Reisewarnungen, die von verschiedensten Ländern gegen Wienausgesprochen wurden, die Besucherzahlen einbrechen lassen, sind es im Konzertbetrieb die Künstler, die nicht mehr anreisen wollen oder dürfen. "Bei Einzelkünstlern geht es gerade noch, bei Kollektiven ist es sehr schwierig." Während der SWR ein Wien-Gastspiel seines Symphonieorchesters mit Dirigent Teodor Currentzis zwei Tage vor der Anreise absagte, hofft Naske auf Sondergenehmigungen der russischen Behörden, um Currentzis mit seinem musicAeterna Orchestra wie vorgesehen nach Wien zu bekommen.

Naske sieht auch die Chancen

Andererseits tun sich auch neue Chancen auf: Nach der Absage der Starpianistin Helene Grimaud hat Naske kurz entschlossen den 26-jährigen Finne Johannes Piirto für das Mozart-Klavierkonzert mit der Camerata Salzburg engagiert. "Es war traumhaft", schwärmt der Chef. So etwas tut gut und stimuliert." Und so etwas wird es unter dem Label "Kunst der Stunde" und zu besonders günstigen Preisen künftig häufiger geben. Mit Mischa Maisky etwa, auch wieder mit Piirto. Was es im Konzerthaus aber nicht geben wird: einen Paradigmenwechsel von internationalen Künstlern auf nationale. "Unsere ganze Kultur lebt von der Reibung an dem anderen. Ich möchte keine Monokultur, die sich auf sich selbst zurückzieht."

Wie sehr sich der Klassikbetrieb durch die Pandemie langfristig verändern wird, lasse sich unmöglich prognostizieren, sagt Matthias Naske. Und wagt doch eine Prognose: "Diese Krise wird länger dauern, als wir heute glauben. Das wird uns noch Jahre begleiten. Und es wird auf die Frage hinauslaufen: Was ist uns die kulturelle Teilhabe wert?"

(APA/Red)

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