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Kabarettist Simplice Mugiraneza: "Die Politik sollte auf Rassisten zugehen"

“Soso” Mugiraneza im Gespräch mit VIENNA.AT-Reporter David Mayr.
“Soso” Mugiraneza im Gespräch mit VIENNA.AT-Reporter David Mayr. ©Regina Mayr
Simplice Mugiraneza floh als Zehnjähriger vor dem Bürgerkrieg, heute unterstützt er mit seiner Football Helps Foundation Kinder in Burundi. Im Interview mit VIENNA.at spricht der 31-Jährige über seine Flucht nach Österreich, seinen Umgang mit Rassismus und seine Gedanken zur aktuellen Flüchtlingskrise.
Bilder vom Turnier in Wien
Die Football Helps Foundation
Impressionen: Die Arbeit vor Ort

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht neue Meldungen über kriminelle Schlepper und die Schicksale von Menschen, die alles hinter sich lassen, um einem Krieg zu entfliehen, die Runde machen. Im Rahmen des ersten Barfußturniers der Football Helps Foundation, einer Wiener Organisation, die mittellose Kinder im zentralafrikanischen Burundi unterstützt, bat VIENNA.at einen Mann zum Gespräch, der selbst vor zwei Jahrzehnten seine Heimat hatte verlassen müssen.

Simplice Mugiraneza, von Freunden und Bekannten “Soso” genannt, floh wegen des Bürgerkriegs zwischen Hutu und Tutsi im Kindesalter aus Burundi. Seit 2001 lebt er in Österreich und gründete vor vier Jahren in Wien die FHF. Im Interview erzählt der Kabarettist von seiner ersten Zeit in Linz, was er über die aktuelle Flüchtlingskrise in Europa denkt und wie man Asylsuchenden wirklich behilflich sein kann.

VIENNA.AT: Sie mussten Mitte der 90er-Jahre vor dem Bürgerkrieg aus Burundi flüchten. Welche Erinnerungen haben Sie 20 Jahre danach an diese Zeit?

Simplice Mugiraneza: Damals wurde der gewählte Präsident Melchior Ndadaye ermordet, daraufhin flohen wir zunächst nach Tansania, wo wir zwei Jahre lang in der Hauptstadt Dodoma lebten. Später entschieden sich meine Eltern, nach Kenia weiterzuziehen und von dort kamen wir 2001 schließlich nach Linz. Zuerst nur mein Vater mit meinem kleinen Bruder, weil das Fliegen natürlich sehr teuer war. Der Rest der Familie kam dann nach.

Als Sie endlich in Österreich waren, wie reagierten die Menschen auf Sie?

Damals war es noch sehr extrem, vor allem in Linz. Dort waren wir die erste Generation von Schwarzen, da bist du ein Exot, als wären Aliens gekommen! Die Menschen reagieren verschieden, manche haben Vorurteile, vielleicht, weil sie irgendwelche Filme gesehen haben, wo Schwarze nicht besonders gut wegkamen. Es gab blöde Geschichten und gute.

Mit welchen Problemen hatten Sie zu kämpfen, wovon waren Sie positiv überrascht?

Negativ war natürlich, dass der Rassismus damals in meinen Augen noch sehr stark ausgeprägt war. Ich durfte beispielsweise in viele Klubs nicht hinein, auch Jobs zu bekommen, war sehr, sehr schwierig. Positiv war, dass es eben auch viele nette Menschen gab, die Interesse an fremden Kulturen hatten, auf uns zugegangen sind und mit uns Dinge unternommen haben. Es war immer 50:50.

Sie leben jetzt über 14 Jahre in Österreich. Was hat sich in dieser Zeit für Sie hier verändert?

Es ist besser geworden. Von meiner persönlichen Warte kann ich sagen, dass man sich selbst weiterentwickelt und die Situation dadurch allgemein besser wird, je länger man in einem Land lebt. Die Generation meines Vaters hatte es schwerer, sie mussten sehen, wie sie über die Runden kamen. Die zweite Generation hatte hingegen die Chance, hier eine Ausbildung zu machen, denen geht es schon besser. Natürlich gibt es immer wieder Fälle von Rassismus, aber insgesamt hat sich da schon vieles entwickelt.

Wie sehen Sie als ehemaliger Flüchtling, der mittlerweile lange in Österreich lebt, die aktuelle Flüchtlings- und Asyldebatte in Österreich und Europa?

Einerseits finde ich es gut, dass viele Menschen mitmachen, den Flüchtlingen helfen und schauen, dass sie auch hier bleiben können. Das finde ich echt toll! Auf der anderen Seite bin ich etwas enttäuscht, dass der Mensch mittlerweile wartet, bis es Flüchtlinge gibt, um erst dann zu reagieren und etwas für die Welt zu tun. Es gibt überall Kriege, aber das ist alles weit weg, dagegen demonstriert kaum jemand. Wenn man hört, dass in Syrien oder Libyen Kinder ermordet werden, wird nichts getan, das finde ich nicht okay. Dabei liegen genau hier die Gründe dafür, dass es überhaupt Flüchtlinge gibt.

Was sollte geschehen?

Ich würde mir wünschen, dass sie die vielen Leute, die sich jetzt für Flüchtlinge einsetzen – was toll ist – auch dafür einsetzen würden, dass es Gerechtigkeit und keine Kriege auf der Welt gibt. Und dass auch der Staat Österreich Geld investiert, um Frieden auf der Welt zu schaffen. Sich bei der Hilfe rein auf die Flüchtlinge zu konzentrieren, bedeutet reagieren, statt agieren. Man sollte schauen, warum es überhaupt Kriege gibt, warum es dazu kommt, dass es Flüchtlinge gibt. Wenn ich mich dafür einsetze, dass es in diesen Regionen friedlich wird, kann man von Vornherein verhindern, dass es Flüchtlinge gibt. Das versuchen wir – in kleinem Rahmen in Burundi – mit der Football Helps Foundation zu schaffen.

Wie ist dort derzeit die Lage?

Es ist noch immer gefährlich. Präsident Pierre Nkurunziza ist an der Macht geblieben, es gibt immer wieder Demonstrationen und Mordfälle. Es ist noch nicht ganz sicher.

©VIENNA.at/David Mayr

Von allen Flüchtlingen aus Syrien schafft nur ein kleiner Teil die Reise nach Europa. Haben Sie das Gefühl, das Problem werde gegenüber der Bevölkerung bewusst aufgebauscht?

Das ist wohl so. Was mich etwas enttäuscht ist, dass der Mensch oft zu faul ist, um selbst nach den richtigen Informationen zu suchen. Jedes Medium ist zwangsläufig in irgendeiner Form “eingefärbt” und ich bin der Meinung, jeder Mensch sollte eine Stufe weitergehen und selbst Informationen recherchieren, anstatt dazusitzen und zu warten, was er auf den Tisch bekommt. Viele Menschen machen das aber nicht und dadurch wird man eben auch manipuliert.

Viele Menschen wollen aber helfen, wissen jedoch nicht genau, was sie am besten tun könnten. Was braucht jemand, der Heimat und vielleicht auch seine Familie verlassen musste, um einem Kriegsgebiet zu entfliehen, am nötigsten?

Dass er anerkannt wird und ein Teil der Gesellschaft sein darf. Wenn man mir eine Decke schenkt, ist das nett, aber es ist nur etwas Punktuelles. Wenn ich selbst weiß, wie ich zu einer Decke komme, bringt mich das nicht weiter. Es ist wichtig, dass die Gesellschaft einen aufnimmt und sagt, “Ihr seid welche von uns, ihr dürft mit uns arbeiten”. Als Flüchtling wünscht man sich am meisten, dass man integriert und als Teil der Gesellschaft gesehen wird, schließlich bist du auf der Suche nach einem Ort, an dem du dich wieder zuhause fühlen kannst.

Ein Schritt dazu könnte die Öffnung des Arbeitsmarkts für Asylwerber sein.

Die Politiker müssen wissen, warum sie das nicht machen. Gibt es überhaupt genug Arbeitsplätze? Ein Politiker kann nicht einfach sagen “Alle Asylwerber dürfen arbeiten”, weil er weiß, er wird abgewählt. Es gibt eine Gesellschaft, die Angst um ihre Existenz hat, Angst um das, was sie hat. Gar nicht so sehr vor dem Fremden. Deshalb trauen sich Politiker nicht, Flüchtlingen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu öffnen.

Sie machen auch Kabarett. Ist das eine Form, mit Ressentiments umzugehen und auf diese Weise erträglicher zu machen oder kann man dem ein oder anderen auf diese Art tatsächlich die Augen öffnen?

Mit Kabarett kann man viel erreichen. Ich denke, Humor ist das Einzige, das Gut und Böse gemeinsam haben – dass alle lachen. Wenn man Menschen gegensätzlicher Meinungen annähern möchte, sollte man bei den Gemeinsamkeiten ansetzen. Das kann zum Beispiel der Fußball sein oder eben das Kabarett. Ich mache auch Witze über Flüchtlinge, die sind dann auch sehr sarkastisch. Wenn ich einen Witz erzähle, gibt es grundsätzlich zwei Reaktionen: Entweder du findest ihn absurd oder du hältst kurz inne und denkst dann: “Hm, irgendwie hat er schon Recht.” Auf jeden Fall passiert irgendetwas im Kopf und es bringt zum Nachdenken. Humor ist modern und viele Menschen sind bereit, zuzuhören. Wenn du auf einer Konferenz mit Statistiken kommst, erreichst du die Leute nicht.

Wenn Sie zurückblicken in die Zeit, als Sie nach Österreich gekommen sind, bis in die Gegenwart: Wie hat sich Ihr Umgang mit Situationen, in denen Sie mit Rassismus konfrontiert sind, verändert?

Ich habe eine Art Mauer um mich herum gebaut. Ich lasse nicht rein, was ich nicht will. Das heißt, alles, was ich nicht selbst beeinflussen oder ändern kann, lasse ich nicht an mich heran. Ich kann nicht beeinflussen, wie viele Rassisten ich auf der Straße treffe. Wenn mich einer beschimpft, das vergesse ich so schnell! Sonst rege ich mich auf und dann bin ich ein Leben lang am Aufregen. Das will ich nicht. In meinen Comedyprogrammen kann ich die Erlebnisse mit Rassismus im Alltag verarbeiten.

Eine kleine Anekdote, wie man in diesen Situationen im Alltag umgehen kann?

Als ich noch in Linz gewohnt habe, gab es dort einen Polizisten, der mich fast jeden Tag auf dem Weg zum Deutschkurs nach meinem Ausweis gefragt und nach Drogen kontrolliert hat. Anstatt mich zu ärgern, habe ich die Situation irgendwann einfach umgedreht und bin jedes Mal, wenn ich ihn gesehen habe, auf ihn zugegangen, hab’ ihm meinen Ausweis gezeigt und gesagt: “Du kannst mich gerne kontrollieren und bitte auch unbedingt in den Schuhen nachschauen!” Mit der Zeit war es dem Polizisten so peinlich, dass er aufhörte, mich grundsätzlich zu kontrollieren.

Wie kann man solchen Leuten am besten begegnen? Hat es überhaupt Sinn, sich bei so festgefahrenen Meinungen auf eine Diskussion einzulassen?

Im Alltag auf der Straße bringt es tatsächlich nicht viel, sich auf so ein Gespräch einzulassen, denn solche Menschen wollen nur provozieren und eine Eskalation hervorrufen. Auf politischer Ebene finde ich es allerdings schlecht, sich zu distanzieren und zu sagen “Du bist rechts, geh’ weg von mir”. Rassismus ist wie eine Krankheit, diese Leute tun mir eigentlich mehr leid, als dass ich mich darüber ärgere. Die Politik müsste auf sie zugehen und fragen, warum sie so sind, warum jemand solche Meinungen hat und sie nicht einfach in eine Schublade stecken. Ich denke, man kann mit jedem Menschen einen Weg der Kommunikation finden.

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