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Higgs-Boson: Finden wir heute Gott?

Das Higgs-Boson ist der Justin Bieber der Partikelphysik.
Das Higgs-Boson ist der Justin Bieber der Partikelphysik. ©vienna.at/CERN
Es ist selten, dass CERN - das europäische Kernforschungszentrum in Genf - die halbe Welt in Aufregung versetzt. Am Dienstagnachmittag ist es wieder einmal so weit. 
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Das letzte Mal, als die breite Öffentlichkeit vom Large Hadron Collider unter der französisch-schweizerischen Grenze unterhalb der Ortschaften Brétigny, Prévessin-Moens und Cozet gehört hat, war die Aufregung groß: Schwarze Löcher würden dort erzeugt werden, die im paranoiden Idealfall nicht nur die Erde, sondern das ganze Universum schlucken könnten! Kreisch! Nun ja, wir haben überlebt, und am Dienstag, 13. Dezember, werden die Wissenschaftler in einem Seminar ankündigen, ob gefunden wurde, wofür das 10-Milliarden-Euro-Projekt eigentlich errichtet wurde: Das Higgs-Boson. 

Higgs-Boson oder: Gott ist ein Partikel

Da niemand voraussetzen kann, dass sämtliche Leser (und auch nicht der Redakteur) zu hundert Prozent sattelfest in hochtheoretischer Experimentalphysik am absoluten Rand zum Esoterischen ist, hier eine kleine Zusammenfassung, was dieses elusive aber für das Verständnis der Welt hochgradig wichtige Teilchen sein soll. Wikipedia erklärt das so: 

Das Higgs-Teilchen des Standardmodells hat keine elektrische Ladung. Weil es mit Null einen ganzzahligen Spin hat, ist es ein Boson, genauer: ein Skalarboson. Nach Berechnungen des Fermilab von 2006 liegt seine Masse wahrscheinlich zwischen 117 und 153 GeV/c² (ermittelt aus Messungen der W-Boson-Masse). Zum Vergleich: Proton und Neutron haben je rund 1 GeV/c².

Für den Fall, dass im Bereich bis 200 GeV kein Higgs-Teilchen gefunden werden sollte, sagen einige Theorien ein Higgs-Multiplett vorher, welches auch bei höheren Energien realisiert sein könnte. Die Stärke der Yukawa-Kopplung, mit der das Higgs-Feld an die anderen Teilchen koppelt, ist proportional zur Masse des Teilchens und Yukawa-artig, d. h. kurzreichweitig wegen der negativ-exponentiellen Abhängigkeit vom Abstand.

Alles klar? 

Kurz zusammengefasst bedeutet dieser schwer verdauliche Absatz, dass das Higgs-Boson dafür sorgt, dass ‘Dinge’ – vom Schnitzel auf dem Teller bis zum exotischen Nuklearpartikel, Masse haben. Das ist wichtig, denn jedes der insgesamt zwölf Elementarteilchen besitzt ein sogenanntes Anti-Teilchen, das die entgegengesetzte elektrische Ladung trägt. Im gegenwärtigen Standardmodell haben die Teilchen keine Masse. Ohne Masse wären jedoch alle Partikel schnell wie das Licht, es gäbe keine Zusammenballungen – keine Atome, keine Sterne, Planeten oder Menschen. 

Um dieses Dilemma zu lösen, ersannen der britische Physiker Peter Higgs und Kollegen einen Mechanismus, der den Teilchen ihre Masse verleihen soll.

Higgs-Boson: Der Star der Teilchenparty

Peter Higgs, heute ein sympathischer 82-Jähriger, war völlig klar, dass normale Menschen mit dieser Erklärung nicht viel anfangen können. Er ersann daher eine Analogie: Das Higgs-Boson wird oft verglichen mit einer Party, auf der ein Popstar erscheint. Die Partygäste bilden dabei das Higgs-Feld. Will der Popstar den Raum durchqueren, scharen sich sofort viele Fans um ihn und machen ihn damit langsamer – der Star gewinnt gewissermaßen an Masse.

Das Higgs-Teilchen ist in dieser Analogie das Gerücht, ein Popstar durchquere den Raum: Sofort sammeln sich Fans am vermeintlichen Aufenthaltsort des Stars. Dieses Gerücht pflanzt sich durch den Raum fort und verursacht damit eine wandernde Zusammenballung. 

Wo ist der Teilchenstar?

Für all seine Qualitäten hat das Higgs-Boson allerdings einen ganz schlechten Manager: Denn niemand hat es jemals gesehen. Dazu braucht man nämlich gigantische Energiemengen. Und dafür wurde der Large Hadron Collider errichtet – die größte Maschine, die die Menschheit jemals erbaut hat. Ohne sich jetzt in Zahlen zu ergehen: Dieses europäische Meisterstück an Ingenieurskunst hat die siebenfache (!) Leistung des nächstgrößten Teilchenbeschleunigers, Fermilab in den USA. 

Crash, Boom, Bang

Was bedeutet das? Ein Teilchenbeschleuniger existiert nur dafür, einzelne Elementarteilchen – Protonen, Neutronen und den Rest vom ganzen Teilchenzoo – auf eine möglichst hohe Geschwindigkeit zu bringen und dann frontal zusammenkrachen zu lassen. Dabei zerfallen sie in ihre Einzelteile. Mit umso mehr Energie sie ineinander knallen, desto interessanter werden die Ergebnisse. Denn erst dann kommen die wirklich exotischen Teilchen zum Vorschein. Das Higgs-Boson ist vielleicht das wichtigste von allen – und CERN scheint es gefunden zu haben. Der wahre Kampf beginnt allerdings erst, wenn die Ankündigung erfolgt ist: Denn dann beginnen Physiker in aller Welt, die Ergebnisse auf Herz und Nieren zu prüfen. Ob das europäische Higgs-Boson diese strenge (und in Wissenschaftskreisen übliche) Prüfung überstehen wird, zeigen die nächsten Jahre. 

(Paul Frühauf, mit Material der dpa)

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