“Das ist Beratungsalltag”, sagte Martina K. Sommer, Leiterin des 24-Stunden-Frauennotrufs der Stadt Wien, gegenüber der APA. Die Opferschutzorganisation Weisser Ring sprach in der ZiB2 am Mittwoch von Fällen, in denen Opfer eines Überfalls oder einer Vergewaltigung selbst auf der Anklagebank sitzen. Anlass war der aktuelle Fall einer 23 Jahre alte Frau, die in Wien zwei mutmaßliche Vergewaltiger niedergestochen hatte. Die Rechtmäßigkeit einer Notwehrmaßnahme ist im Strafgesetzbuch geregelt. Rechtswidrigkeit liegt vor, wenn die Abwehr nicht notwendig oder gerechtfertigt bzw. die Beeinträchtigung des Angreifers unangemessen ist.
Dunkelziffer von Vergewaltigungen groß
Unabhängig von diesem Fall ist es in der Praxis jedoch so, dass es eine große Dunkelziffer von Vergewaltigungen gibt, wo es zu gar keiner Anzeige kommt. “Die Hemmschwelle steigt noch weiter, wenn der Täter im Bekanntenkreis zu finden ist”, sagte Sommer. “Aussage gegen Aussage” heißt es dann nicht selten, wenn es keine Zeugen gibt.
“Im Zweifel für den Angeklagten” heißt es dann oft bei Gericht, wenn es doch zu einer Anzeige kam – gerade wenn neben fehlenden Zeugen keine offensichtlichen Verletzungen vorliegen oder diese nicht ausreichend dokumentiert sind. Im Gerichtssprengel Wien gab es im Jahr 2012 insgesamt 337 Anzeigen und 20 Verurteilungen wegen Vergewaltigung – das entspricht einer Quote von rund 5,9 Prozent.
Eine von 20 Frauen ist seit ihrem 15. Lebensjahr vergewaltigt worden, so die Zahlen einer EU-Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA), bei der 42.000 Frauen befragt wurden. Das ergibt die Antwort auf die Frage: “Wie oft haben Sie es seit Ihrem 15. Lebensjahr erlebt, dass Sie durch Festhalten oder Zufügen von Schmerzen zum Geschlechtsverkehr gezwungen wurden?”
Vergewaltigungen verursachen Traumatisierung
Dass Vergewaltigungen bei den großteils weiblichen Opfern konkrete Symptome einer Traumatisierung hinterlassen, finde vor Gericht oder bei den Ermittlungen noch zu wenig Berücksichtigung. “Es gibt auf diesem Gebiet auf internationaler Ebene aber bereits viel Forschungsarbeit”, so die Leiterin des Wiener Frauennotrufs. Allerdings fehle es noch daran, dass dieses Wissen der Polizei oder der Justiz auch vermittelt wird und so in die Beweisführung einfließen kann.
“Ein Umdenken in diese Richtung findet jedoch statt”, sagte Sommer, denn schließlich zöge das aus Opferschutz, Polizei und Justiz bestehende System an einem Strang. Als Beispiel für Auswirkungen von Traumatisierungen nannte Sommer etwa Widersprüche bei den Aussagen bei der Befragung der Opfer. Grundsätzlich ist es für die Betroffenen eine große Belastung, das Erlebte wiederzugeben. “Betroffene ohne fachliche Unterstützung sind überfordert.”
(APA)