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„Diese Krise ist etwas völlig Neues“

©Wann & Wo
Ökonom Dr. Matthias Schnetzer (37) aus Schlins lebt und arbeitet seit 20 Jahren in Wien. Mit WANN & WO spricht er über bevorstehenden Nachwuchs, Klettern im Ländle, seine Liebe zu Forschung und Lehre sowie seinen Blick auf die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen.     
Matthias Schnetzer bei "Vorarlberg live"

von Harald Küng/Wann & Wo

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WANN & WO: Dr. Schnetzer, darf ich Ihnen zu Beginn meine Glückwünsche zukommen lassen? Wie ich gehört habe, werden Sie in wenigen Wochen erstmals Vater?

Matthias Schnetzer: Vielen Dank! Ja, es stimmt, meine Lebensgefährtin und ich erwarten im April eine Tochter. Ich schraube deshalb aktuell auch fleißig Möbel für das Kinderzimmer zusammen.

WANN & WO: Diese Nachricht dürfte ja auch in Vorarlberg für viel Freude sorgen. Kommen Sie noch häufig ins Ländle?

Matthias Schnetzer: Ja, auf jeden Fall. Meine komplette Familie lebt in Vorarlberg: Ich stamme aus Schlins, meine Lebensgefährtin aus Brand, was auch bedeutet, dass bei uns zuhause in Wien Vorarlbergerisch gesprochen wird – ein spannender Mix aus Schlinserisch und Brandnerisch. „Ihr können’s Interview gern oh im Dialekt abdrucka.“ (lacht) In meiner Brust schlagen aber zwei Herzen: Ich bin einerseits schon der Großstadtmensch, der gern in einer pulsierenden, kulturell vielfältigen Weltstadt lebt. Aber gleichzeitig bin ich auch ein Naturfreund, der sich danach sehnt, immer wieder ins Ländle zurückzukehren. Als Kletterer lockt mich vor allem die Vorarlberger Bergwelt, etwa die „Löwenzähne“, die Bürser Schlucht oder die zahlreichen Klettersteige im Ländle. Aber auch in Wien sind nur 15 Minuten von unserer Wohnung entfernt tolle Möglichkeiten zum Klettern.

WANN & WO: Sie befassen sich seit vielen Jahren mit Wirtschafts­wissenschaften und unterrichten an der WU in Wien. Hand aufs Herz: Lehren oder forschen Sie lieber?

Matthias Schnetzer: (lacht) Das ist eine Fangfrage. Ich bin grundsätzlich ein Tüftler und forsche liebend gern. Aber bei allem Aufwand, den die Lehre mit sich bringt, ist sie wahrscheinlich doch die dankbarere Aufgabe. Ich arbeite sehr oft mit topmotivierten Studierenden zusammen und kann ihnen tatsächlich etwas mit auf den Weg geben kann. Es ist derzeit aber sehr mühsam, weil es aufgrund der Pandemiesituation enorme Unsicherheiten an den Universitäten gibt. Und es ist ein großer Unterschied, ob man präsent ist, oder es online macht – auch in der Vorbereitung.

WANN & WO: Stichwort Pandemie: Wie haben Sie die letzten zwölf Monate persönlich erlebt?

Matthias Schnetzer: Glücklicherweise blieben der größte Teil meiner Familie und ich bislang von einer Infektion verschont. Einige Familienmitglieder erkrankten an Corona, hatten aber zum Glück einen leichten Verlauf. Das Prägendste im vergangene Jahr war für mich aber das Bewusstsein, in welch privilegierter Situation meine Lebensgefährtin und ich auch als Paar leben. Die Angst vor Jobverlust blieb uns erspart, unser Wohnraum ist groß genug, dass wir uns auch in der Isolation und den beschränkten Ausgangsmöglichkeiten frei bewegen können und Luft zum Atmen haben. Natürlich beschäftigte mich auch der Mangel an sozialen Kontakten oder die Sorge um die Gesundheit von Freunden und Familie, aber im Großen und Ganzen ist es uns ganz gut gegangen. Was schon auch mitschwingt, ist die Sorge, wie die Gesellschaft und die Demokratie diese Zerreißprobe überstehen. Das ist mir im vergangenen Jahr immer wieder im Kopf herumgeschwirrt.

WANN & WO: Die derzeitige Krise hat eine ganz eigene Dimension erreicht, weltweit sorgt das Coronavirus für Chaos. Haben Sie etwas Vergleichbares in Ihrer bisherigen Laufbahn schon erlebt?

Matthias Schnetzer: Nein. Und  ich bin mir sicher, dass auch ältere Fachkollegen so eine Zeit noch nicht erlebt haben. Natürlich gab es in der Vergangenheit immer wieder auch heftige Krisen, wie die Wirtschafts- und Finanzkrise 2008. Der Unterschied ist aber: Damals hat man als Ökonom die inneren Widersprüche und Instabilitäten des Wirtschaftssystems als Krisenursache ausgemacht. Wie kann es sein, dass das Wirtschaftssystem von sich aus so tiefe Krisen produziert. Die jetzige Krise ist da völlig  anders. Im Fachterminus spricht man dabei von einem exogenen Schock, einer Außeneinwirkung, hervorgerufen durch diese Pandemie. Das ist schon etwas Außergewöhnliches in der Krisenanalyse.

WANN & WO: Was kommt Ihrer Ansicht noch auf uns zu?

Matthias Schnetzer: Auch wenn Österreich sich in einer vergleichsweise guten Position befindet, be­­reiten mir die Konsequenzen der Krise durchaus Kopfzerbrechen. Die gesundheitlichen und wirtschaft­lichen Auswirkungen sind bereits sichtbar, jene auf die soziale Situation, die Bildungsverläufe der Kinder und die Beschäftigungsmöglichkeiten von Langzeitarbeitslosen werden wir aber erst noch sehen. Da werden wir noch auf mannigfache Auswirkungen stoßen, die ihre ganze Bandbreite wohl erst in den nächsten Jahren zeigen. Für mich steht aber fest, dass unser Sozialstaat uns vor Schlimmerem verschont hat.

Kurz gefragt

Vervollständigen Sie folgenden Satz: Schulden sind ...? ... aktuell nötig, um wichtige Investitionen in eine nachhaltige Zukunft zu tätigen und glücklicherweise sind sie gerade sehr günstig finanzierbar.

Wie realistisch ist Ihrer Ansicht nach die Einführung einer Reichensteuer? Jene, die derzeit profitieren, tun natürlich alles, um ihre privilegierte Situation abzusichern. Meine große Hoffnung ist es aber, dass sich die Menschen ihre Stimme zurückerobern und für ihre Interessen einstehen. Dann erhalten sie wieder mehr politischen Einfluss und derartige Forderungen werden greifbarer.

Was ist das erste, das Sie tun, wenn Corona unter Kontrolle ist? Zum nächsten Spiel des Wiener Sportclubs gehen. Darauf freue ich mich extrem, das geht mir sehr ab.

Zur Person: Dr. Matthias Schnetzer (37)

Wohnort: geboren in Schlins, lebt in Wien
Familienstand: in Partnerschaft
Aktuelle Funktionen: seit 2013 Ökonom, Abteilung Wirtschaftswissenschaften und Statistik, Arbeiterkammer Wien; seit 2010 Lektor, Institut für Makroökonomie, Wirtschaftsuniversität Wien

Matthias Schnetzer in "Vorarlberg live"

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