"Die Wiener und der Tod, das ist ja fast schon eine Liebesbeziehung": Gabriele Saeidi Razavi im Vienna.at-Interview

Seit 2016 ist Gabriele Saeidi Razavi als Fremdenführerin in Wien unterwegs. Über GabiTours bietet sie mit ihrem Team Führungen an, die Wien von einer anderen Seite, abseits des altbekannten touristischen Wiens zeigen. Darunter sind unter anderem die Sex and Crime-Tour, die Tour "Corona, Pest und Cholera" oder aber auch eine nächtliche Führung über den Wiener Zentralfriedhof. Vienna.at hat der Fremdenführerin ein paar Fragen gestellt.
Sie haben Geschichte studiert, warum haben Sie sich dazu entschlossen Fremdenführerin zu werden?
Der Beruf des Fremdenführers bzw. der Fremdenführerin ist ein sehr vielseitiger und vor allem kreativer Beruf. Und es ist ein gesunder Beruf. Man ist viel auf den Beinen und meistens an der frischen Luft. Außerdem lernt man bei jeder Tour neue Menschen kennen, von denen man wiederum Neues lernen kann. Die Menschen, mit denen man es zu tun hat, sind außerdem meistens sehr gut gelaunt. Es sind Menschen, die gerade Urlaub machen oder etwas Kulturelles erleben möchten. Als Fremdenführerin gehöre ich somit zu ihrem Freizeitprogramm. In meinem Studium habe ich selbstverständlich die Grundlagen für meine Recherchen für neue Führungen gelernt. Als Fremdenführerin habe ich die Möglichkeit, diese Geschichten unter die Leute zu bringen.
Sie bieten ja verschiedenste Touren in Wien an z.B. über Schloss Schönbrunn, die Pest, aber eben auch die nächtliche Tour am Wiener Zentralfriedhof – wie kommt man auf die Idee für diese Tour?
Wie diese Idee genau entstanden ist, lässt sich heute leider nicht mehr ganz genau rekonstruieren. Aber sie entstand an einem Abend, wo man über Gott und die Welt redete und am nächsten Tag feststellte, dass man da vielleicht wirklich eine gute Idee hatte. Die Wiener und der Tod, das ist ja fast schon eine Liebesbeziehung. Warum also sollte man den Wiener Zentralfriedhof nicht in einem neuen, einem fast schon romantischen Licht, präsentieren? Die Vorstellung, nachts über den Friedhof zu gehen, ist in unseren Köpfen durch Geschichten und Märchen verankert und steht für Mut, Stärke und Selbstüberwindung. Es hat schon fast einen therapeutischen Charakter durch Exploration, sich seinen eigenen Ängsten und auch Fragen zu stellen. Der Tod ist nach wie vor ein Tabuthema, wenn auch in Wien entschärft, und deshalb empfinden Menschen auch oft ein gesundes Bedürfnis, in Konfrontation zu gehen und es aufzuarbeiten. Nachts auf dem Friedhof ist man sofort im Thema. Die Tour läuft nun seit 2018 sehr erfolgreich und man muss feststellen, dass man hier einen ganz besonderen Nerv getroffen hat.
Haben Sie einen persönlichen Bezug zum Wiener Zentralfriedhof?
Wie viele Wiener und Wienerinnen bin ich schon immer gerne auf Friedhöfen spazieren gegangen. Oft habe ich mich dabei gefragt, welche Geschichten sich hinter so manchem Grabstein verbergen. Mir ist der pietätvolle Umgang bei meinen Führungen auf Friedhöfen mit den Themen Tod und Sterben sehr wichtig. Wir bewegen uns dabei an einem Ort, wo Menschen ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Auch ein Teil meiner Familie liegt auf dem Wiener Zentralfriedhof beerdigt.
Seit 31. Oktober 2018 gibt es Ihre nächtliche Friedhofstour schon, fast alle Termine sind auch heuer wieder ausgebucht. Sind die Wiener morbid oder fasziniert vom Tod? Wie erklären Sie sich, dass Ihre Tour so beliebt ist?
In Wien sagt man ja, „der Tod, das muss ein Wiener sein“. Georg Kreisler hat das auch einst so gesungen und in dieser Aussage steckt viel Wahrheit. Der Umgang der Wiener und Wienerinnen mit den Friedhöfen ist ein sehr liebevoller. Es ist frei von Angst oder unbequemen Gefühlen, wie das in anderen Kulturen auf Friedhöfen der Fall ist. Warum das so ist, kann ich leider auch nicht erklären, aber es fühlt sich so an, als wäre dies hier schon immer so gewesen. In Wien hat man einen besonderen Hang zum Morbiden und die sogenannte „schöne Leich‘“ hat dabei immer noch eine gewisse Tradition, auch wenn sich die Möglichkeiten der Bestattung mittlerweile sehr stark verändert und erweitert haben. Berührungsängste hatte man hier in Wien damit eigentlich nie. Meine Empfindung ist, dass man auch gerne in Erinnerungen schwelgt, und der Friedhof bietet sich da als Ort der Erinnerungskultur besonders an. In Wien wird es ganz besonders gelebt, dass der Friedhof nicht nur für die Toten da ist, sondern für die Lebenden schon fast ein Naherholungsgebiet darstellt.
Welche Geschichte vom Wiener Zentralfriedhof, ist ihre liebste?
Da gibt es so viele Geschichten, da fällt es mir schon sehr schwer mich auf eine festzulegen. Mich fasziniert die Geschichte der Entstehung der zahlreichen Promi-Gräber auf dem Wiener Zentralfriedhof. Eigentlich war das ursprünglich im ausgehenden 19. Jahrhundert eine PR-Maßnahme, um den Friedhof beliebter zu machen. Die Wiener und Wienerinnen wollten sich einfach nicht auf dem neuen Friedhof beerdigen lassen. Viele Promis wurden dafür von anderen Friedhöfen exhumiert und auf dem Wiener Zentralfriedhof wieder bestattet. Exhumierungen waren im 19. Jahrhundert in Wien ein regelrechter Trend und scheinbar sind dabei auch allerhand Gebeine von Promis entwendet worden. So ist das aller Wahrscheinlichkeit nach auch bei Ludwig van Beethoven geschehen. Aber wie das genau war, erfährt man bei der Nachtführung auf dem Wiener Zentralfriedhof.
Wie wahren Sie die Pietät bei einer solchen Tour?
Die Wahrung der Pietät ist bei Führungen immer wichtig, aber bei einer nächtlichen Führung auf einem Friedhof ist es ganz besonders wichtig. Wir machen vor den Führungen den TeilnehmerInnen immer nochmals eindringlich klar, dass es sich hier um die letzte Ruhestätte von Verstorbenen handelt. Auch wenn wir über so manche Geschichte bei den Friedhofs-Führungen herzhaft lachen, so bringen die TeilnehmerInnen unserer Führung stets sehr viel Respekt für den Ort und die Verstorbenen mit. Wir machen also nochmals darauf aufmerksam, es wäre aber bis jetzt noch nie jemand bei der Tour dabei gewesen, dem das nicht ohnehin klar gewesen wäre.
Fürchten Sie sich, wenn Sie nachts eine Friedhofst-Tour führen?
Diese Frage wird mir sehr oft gestellt, auch von TeilnehmerInnen. Ich fürchte mich nicht, ich weiß aber auch, was mich erwartet. Bei den ersten Erkundungen und Besichtigungen, um die Tour vorzubereiten, manchmal ganz alleine auf dem Friedhof, war das allerdings schon etwas anders. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Führungen gruselt es bei so mancher Geschichte. Dabei spielt sich aber alles gänzlich in ihren Köpfen ab aufgrund von Bildern, die sich aus audiovisuellen Medien und anderen Geschichten in ihr Gedächtnis eingebrannt haben, Stichwort: Thriller (Michael Jackson) oder das Märchen “Von einem, der Auszog das Fürchten zu lernen”. Wir triggern Vorstellungen in den Gedanken der Menschen mit unseren Erzählungen. Ganz bewusst – hier sind wir wieder bei der Pietät – gibt es keine special effects oder Gruselelemente. Wir erzählen bei der Führung wahre Geschichte und das reicht meistens aus, dass es einem die Haare aufstellt.
Wird es eine Halloween-Tour 2023 geben?
Ja, unsere Nachtführungen auf dem Wiener Zentralfriedhof finden immer von Mitte Oktober bis Ende März jeweils an den Samstagen statt. An den Tagen rund um Halloween und Allerheiligen machen wir aufgrund der großen Nachfrage an mehreren Tagen Führungen. So auch heuer wieder. Der 31. Oktober ist natürlich ein ganz besonders beliebter Termin, der stets lange im Voraus ausverkauft ist.
Haben Sie auch Publikationen oder Bücher?
Im Buch „Schluss. Aus. Vorbei? Geschichten, die der Tod schrieb“ von Florian Keusch, durfte ich einen Beitrag besteuern.
Was ist Ihre meistgebuchte Tour, von den Touren, die Sie anbieten?
Unser Bestseller ist, ohne Zweifel, die Nachtführung auf dem Wiener Zentralfriedhof. Aber auch unterschiedliche Themenführungen in der Wiener Innenstadt erfreuen sich größter Beliebtheit. Bei der Tour „Corona, Pest und Cholera“ tauchen die TeilnehmerInnen der Tour in eine Zeit lang vor der Corona-Pandemie ein und erfahren, wie man damals mit Seuchen umgegangen ist. Die Führungen von GabiTours sind vor allem bei Österreichern und Österreicherinnen sehr beliebt, da sie oft etwas über Orte und Persönlichkeiten erfahren, was sie noch nie gehört oder gesehen haben. Im kommenden Jahr haben wir eine neue Tour zum Thema „Sex and Crime" im Programm. Wer doch lieber mehr über Friedhöfe erfahren möchte, hat einmal im Jahr die Möglichkeit, an unserer „Wein- und Friedhofstour“ teilzunehmen. Hier besuchen wir drei wunderschöne Friedhöfe im 19. Bezirk und zusätzlich zu den spannenden Geschichten gibt es im Anschluss eine Weinverkostung.
Zur Person:
Gabriele Saeidi Razavi wurde 1983 in Wien geboren, ist verheiratet und lebt mit ihrer Familie in Wien. Nach der erfolgreichen Absolvierung des Fremdenführer-Lehrgangs 2015 ist sie seit 2017 als Fremdenführerin tätig. Seit 2019 leitet sie den Fremdenführer-Lehrgang am WIFI Wien und bildet neue Fremdenführer und Fremdenführerinnen aus.
(cor)