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"Die Toten": Christian Kracht schrieb Melange aus Slapstick und Tragödie

Christian Kracht überrascht mit erstaunlichem Stoff rund um eine Stummfilm
Christian Kracht überrascht mit erstaunlichem Stoff rund um eine Stummfilm ©Frauke Finsterwalder 2016 / Kiepenheuer & Witsch
Er überrascht seine Leserschaft gern mit erstaunlichen Stoffen. Christian Krachts neuer Roman ist keine Ausnahme. Auf seiner Suche nach Mythen der Moderne hat er die Faszination für den Stummfilm und für einen unbekannten Schweizer Regisseur entdeckt. "Die Toten" ist unser Buch-Tipp der Woche.

Am 15. Mai 1932 wird der japanische Ministerpräsident Inukai von Militärkadetten ermordet. Mit ihm hätte auch Charles Chaplin sterben sollen. Doch zu seinem Glück ist die Einladung zum Diner nie bei ihm angekommen. So überlebt er und kehrt gleich wieder nach Kalifornien zurück.

“Die Toten”: Plot des Buches

An diesem mysteriösen Ereignis entzündet sich Christian Krachts neuer Roman. Um sich vom US-Kulturimperialismus zu befreien, nehmen Filmenthusiasten in Japan Kontakt mit dem deutschen Impresario Alfred Hugenberg und seiner UFA-Filmgesellschaft auf. Mit ihrer Hilfe soll eine neue filmpolitische Achse gegen Hollywood aufgebaut werden.

Weil sich keiner der großen Regisseure wie Fritz Lang oder Arnold Fanck dafür hergibt, geht der weitgehend unbekannte Schweizer Emil Nägeli den “faustischen Pakt” ein. Er darf in Japan den deutschen Film vertreten, wenn es nach Hugenberg ginge, am besten mit einer Hauptrolle für den arischen Komödianten Heinz Rühmann.

Nägeli schwebt freilich anderes vor, beispielsweise ein Film mit Untoten und gelben Bösewichten. In Japan angekommen verblassen jedoch diese Ideen, nicht zuletzt, weil ihm der japanische Kontaktmann Masahiko Amakasu die Freundin ausspannt.

Verrückter, faszinierender Stoff für Christian Kracht-Roman

Für den neuen Roman hat sich Christian Kracht einen ebenso verrückten wie faszinierenden Stoff vorgenommen. Die Protagonisten Nägeli und Amakasu sind beides genialische Freaks, die nur schwer über die Traumata ihrer Kindheit hinwegkommen. Sie sind zwei “unendlich einsame Geschöpfe”, Toten gleich.

Nägeli eilt der Ruf voraus, vor Jahren mit “Die Windmühle” ein kaum bekanntes Meisterwerk geschaffen zu haben. Damit stellt er sich selbst in eine Reihe von phänomenalen Regisseuren wie Bresson, Vigo, Dowshenko und Ozu. Ihnen erweist der Autor Kracht die Reverenz, die gleichermaßen ernst wie ironisch gebrochen in sein Buch voller Geschichten und Anekdoten einfließt.

Krachts Schweben zwischen Ernst und Ironie

Einmal mehr überzeugt er damit als Erzähler, der einen merkwürdigen Stoff präzise und souverän im Griff hat. Vor allem demonstriert er einen ausgesprochen eleganten Stil, der nur zu gerne auf flamboyante Formulierungen zurückgreift. Mit Lust wird hier “narratiert”, “kuvriert” und “intuitiert”. Die kapriziöse Diktion verleiht der Erzählung unterschwellig einen leicht süffisanten Klang, der im Ungewissen lässt, ob der Autor es ernst meint oder bloß eine Farce auftischt. Dieses Schweben zwischen Ernst und Ironie gelingt Christian Kracht vorzüglich.

Die frühen 1930er Jahre beschließen die grandiose Epoche des Stummfilms. Nägeli ist ihr letzter Vertreter. Nachdem er seine Freundin in Japan verloren hat, collagiert er aus scheinbar beliebig abgedrehten Aufnahmen eine stumme filmische Montage: eine “krude Melange aus Slapstick und Tragödie”.

Vielleicht ist genau das einer jener Filme, die “wirklich zeigen, was sie zeigen”, wie der Filmtheoretiker Kracauer einmal gefordert hat. Dieser Faszination auf der Spur spielt Christian Kracht sein listiges Spiel mit Wahrheit und Erfindung. Als Zeichen seiner auktorialen Gegenwart lässt er hin und wieder einen “zartvioletten Bleistift” im Text liegen.

Christian Kracht: “Die Toten”, Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016. 212 Seiten, 20,60 Euro

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(apa/red)

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