Die Stadt unter der Stadt: Die unbekannte Wiener Unterwelt

In einer organisch gewachsenen Stadt wie Wien trifft man nicht nur bei Grabungen unweigerlich auf Reste, die bis in die Römerzeit zurückreichen. Manchmal reicht auch schon ein Gang in den Keller, um einen Teil der Zeitgeschichte zu erblicken. Marcello La Speranza und Lukas Arnold vom Forscherteam Wiener Unterwelten haben es sich zur Aufgabe gemacht, solche Orte aufzuspüren und zu dokumentieren.
Das gesamte Gespräch mit Marcello La Speranza und Lukas Arnold gibts zum Nachhören in unserem Heast-Oida-Podcast:
"Stadt unter der Stadt"
Vor nicht ganz 2.000 Jahren bildete sich das römische Legionslager Vindobona in etwa dort, wo sich heute der erste Bezirk befindet. Nach weniger Zeit bildete sich darum eine Zivilstadt mit etwa 30.000 Einwohner. Rund 2.000 Jahre später leben knapp zwei Millionen Menschen in Wien. Die Überreste der letzten zwei Millennia findet man aber weiterhin - unter der heutigen Stadt. Für Historiker und Archäologe Marcell La Speranza ist es eine Berufung, diese "Stadt unter der Stadt" zu erkunden und zu dokumentieren. Ihn und Lukas Arnold treiben nicht nur Wissensdurst und etwas Abenteuermut, sondern vor allem der Gedanke, dass diese verlorenen Orte irgendwann in Vergessenheit geraten könnten. Besonders hat es ihnen die Zeit rund um den Zweiten Weltkrieg angetan. "Diese Zeit ist für Archäologen nicht so interessant, muss aber trotzdem dokumentiert werden", meint La Speranza.
Unter dem Hotel (2020) In den Untergrund des bekannten „Hotel Wandl“ - die Geschichte des Hauses begann im Jahre 1843 -...
Gepostet von Forscherteam Wiener Unterwelten am Donnerstag, 11. März 2021
Drei Stockwerke gräbt sich der Keller unter den ersten Bezirk, das Licht von der Taschenlampe fällt mal auf alte Zeitungsschnipsel mit Nachrichten von der Front, mal auf die Farbmarkierungen an der Wand. Während der mehr als 50 Luftangriffe auf Wien im Zweiten Weltkrieg suchte die Wiener Bevölkerung in solchen Kellern Schutz, die Haustüren durften nie verschlossen sein, damit sie auch vorbeigehende Passanten von der Straße nutzen konnten. Ein Leitsystem aus lumineszierender Farbe zeigte ihnen auch bei einem Stromausfall den Weg. Die Farbe sieht man heute noch an den Wänden, schnell aufgeklatscht, man hatte nicht wirklich die Zeit mit großer Sorgfalt an die Arbeit heranzugehen.

Die Wiener Unterwelt als Zeitkapsel
La Speranza hat schon Tausende solche Keller in Wien erkundet, er ist ein alter Hase im Geschäft. Der Wiener mit italienischen Wurzeln war schon Urban Explorer und erkundete Lost Places, als es die Begriffe im Deutschen noch nicht einmal gab. Vor vier Jahren schloss er sich mit Lukas Arnold zum Forscherteam Wiener Unterwelten zusammen, für beide sind ihre Expeditionen mehr als eine abenteuerliche Modeerscheinung. Nicht im Traum würden sie einfach in ein Haus einsteigen, die Erlaubnis des Eigentümers oder der Hausverwaltung ist für die beiden selbstverständlich. Die Orte werden dabei fotografiert und dokumentiert, aber auch wieder so verlassen, wie sie vorgefunden wurden. Damit die Wiener Unterwelt als "Zeitkapsel" so lange wie möglich erhalten bleiben.
(red)