Das gefährliche Geschäft mit Samenspenden – Spender mit Genmutation zeugte fast 200 Kinder
Einige wenige dänische Samenbanken dominieren den europäischen Markt für Samenspenden, wie der ORF, der an einer monatelangen Recherche von 14 europäischen Rundfunkanstalten zum Geschäft mit Samenspenden beteiligt war, berichtet.
Gefährlicher Gendefekt bei Samenspender mit fast 200 Kindern
Weltweit sind fast 200 Kinder mit dem Sperma eines dänischen Spenders gezeugt worden, der eine das Krebsrisiko erhöhende Genmutation trägt. Insgesamt seien mindestens 197 mit dem Sperma des Mannes gezeugte Kinder zur Welt gekommen, bevor die Samenbank die gefährliche Genmutation festgestellt habe.
Den von den 14 europäischen Rundfunkanstalten angestellten Recherchen zufolge war die in Dänemark ansässige European Sperm Bank (EBS) im April 2020 darüber informiert worden, dass ein per Samenspende gezeugtes Kind an Krebs erkrankt war und bei ihm eine Genmutation festgestellt wurde. Daraufhin sei eine Spermaprobe des unter dem Pseudonym "Kjeld" registrierten Spenders untersucht worden, ohne dass darin die seltene Mutation des Gens TP53 gefunden worden sei. Daher sei "Kjelds" Sperma weiterhin für künstliche Befruchtungen genutzt worden.
Hohe Chance für Krebserkrankung
Ein mutiertes Tumorsuppressor-Gen TP53 löst das Li-Fraumeni-Syndrom aus und kann bereits in sehr jungen Jahren Krebs verursachen. Betroffene Männer haben eine 73-prozentige Chance, in ihrem Leben Krebs zu entwickeln, Frauen sogar zu 90 Prozent, so der ORF.
Fortpflanzungsmediziner über Risiken bei Samenspenden
Michael Feichtinger, Fortpflanzungsmediziner, sprach in der ZIB 2 des ORF am Mittwochabend über das europaweite Geschäft mit Samenspenden.
An 67 Kliniken in 14 Ländern verkauft
Drei Jahre später wurde die Samenbank dem Bericht zufolge auf einen weiteren Fall eines die Genmutation tragenden und an Krebs erkrankten Kindes hingewiesen. Weitere Analysen mehrerer Spermaproben ergaben dann, dass der Mann selbst gesund ist, aber die Genmutation trägt – der Spender selbst hatte erst durch die Samenbank erfahren, dass er die Genmutation weitergeben kann. Seit Oktober 2023 ist sein Sperma nicht mehr für künstliche Befruchtungen zugelassen.
Dem Bericht zufolge wurde das Sperma des Mannes zwischen 2006 und 2022 an 67 Kliniken in 14 Ländern verkauft. Allein in Dänemark kamen 99 mit seinem Sperma gezeugte Kinder zur Welt.
Besonders viele Fälle sind den Berichten zufolge auch aus Belgien bekannt, wohin auch Frauen aus Deutschland zur Behandlung reisten. Dort sollen 53 Kinder von 38 verschiedenen Müttern mit dem Sperma gezeugt worden sein, obwohl es in dem Land ein Limit von maximal sechs Familien gibt, die Sperma eines einzigen Spenders verwenden dürfen. Etliche der Frauen sollen aus anderen europäischen Ländern für die Behandlung nach Belgien gereist sein, darunter auch aus Deutschland.
In Österreich ist bisher keine Person mit Li-Fraumeni-Syndrom bekannt, die mit einer Samenspende gezeugt wurde.
Nicht alle gezeugten Kinder mit Mutation
Die in dem Fall nachgewiesene Mutation am Gen TP53 sei selten und zuvor noch nie beschrieben worden, erklärte die Samenbank. Zudem sei sie nur in einem "kleinen Teil" der Spermien des Mannes präsent und nicht in seinem übrigen Organismus. Auch trügen nicht alle mit seinem Sperma gezeugten Kinder die Mutation.
Der European Sperm Bank zufolge wurden in den vergangenen 20 Jahren mit ihrer Hilfe mehr als 70.000 Kinder in aller Welt geboren. Zahlreiche europäische Staaten haben Regelungen, die die Höchstzahl an Kindern begrenzen, die mit dem Sperma eines Spenders gezeugt werden dürfen. Länderübergreifende Beschränkungen gibt es jedoch nicht.
Heimische Behörden haben kaum Informationen
"Aktuell gibt es keine zentrale staatliche Stelle, die über die Zahl der durch eine bestimmte Spende gezeugten Kinder den Überblick hat", so das österreichische Gesundheitsministerium gegenüber dem ORF. Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) hat zwar seit 2017 insgesamt 94 Warnungen zu gesperrten Spendern in Österreich veröffentlicht, weiß aber nicht, ob der entsprechende Samen tatsächlich verwendet und ob Betroffene informiert wurden. Sie kennt auch die Warnungen an andere Länder nicht, schreibt der ORF.
Bis 2027 sollen in Österreich zunächst die rechtlichen Voraussetzungen für ein nationales Register geschaffen werden.
(DPA/APA/VOL.AT)