Heftige Kritik an Lockdown-Entwurf der türkis-grünen Regierung
Österreichs Regierung will am Samstag neue Maßnahmen zur Eindämmung der stark steigenden Coronavirus-Infektionszahlen im Land vorstellen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) will die Öffentlichkeit bei einer Pressekonferenz (16.30 Uhr) in Wien informieren. Zuvor trifft er sich mit den Chefs der Bundesländer sowie der Opposition und dem Bundespräsidenten. Welche Maßnahmen geplant sind und ab wann sie gelten, blieb zunächst offen.
Viele Medien spekulieren über einen Teil-Lockdown in etwa analog zu den deutschen Maßnahmen. Außerdem stehen Medien zufolge nächtliche Ausgehbeschränkungen zur Debatte. Am Freitag war im knapp neun Millionen Einwohner zählenden Österreich der Rekordwert von 5627 neuen Fällen binnen 24 Stunden gezählt worden, mehr als 1000 Fälle über dem erst am Vortag erreichten Höchstwert. Die Regierung warnt vor einer baldigen Überlastung der Krankenhäuser.
Entwurf sieht Schließungen vor
In einem am Freitag bereits zirkulierenden Verordnungsentwurf ist die de-facto Schließung von Lokalen und Hotels bis Ende November vorgesehen. Geregelt wird das - wie schon im Frühjahr - über "Betretungsverbote", für die es nur wenige Ausnahmen geben soll. Außerdem ist demnach eine auf zehn Tage befristete Ausgangsbeschränkung zwischen 20.00 und 6.00 Uhr angedacht.
Das Verlassen der Wohnung soll in dieser Zeit nur unter den fünf im Covid-19-Maßnahmengesetz festgelegten Ausnahmen erlaubt sein, darunter Notfälle, Arbeit, Einkauf und Erholung im Freien. Betretungsverbote sind in dem Entwurf mit Stand Donnerstagabend auch für viele Freizeiteinrichtungen sowie für Sportanlagen enthalten, wenn es dabei zu Körperkontakt kommt.
Heftige Kritik von SPÖ und FPÖ an Lockdown-Entwurf
Der bekannt gewordene Regierungs-Entwurf für neue, strenge Corona-Maßnahmen ist bei SPÖ und FPÖ auf heftige Kritik gestoßen. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch sprach von einem "demokratiepolitischen Skandal" und einer Verhöhnung von Parlament und Sozialpartnern. Der stellvertretende FPÖ-Bundesparteiobmann Manfred Haimbuchner sah eine "politische Kapitulationserklärung einer auf allen Ebenen überforderten Bundesregierung".
Deutsch stieß sich vor allem an der Vorabveröffentlichung des Verordnungsentwurfes. Die für Samstag angesetzten Beratungen mit Sozialpartnern und Opposition seien damit offenbar nur "Scheingespräche", um sich die Vorgangsweise absegnen zu lassen - für den SPÖ-Bundesgeschäftsführer eine "zutiefst autoritäre Vorgangsweise der türkisen Volkspartei". Deutsch fordert die ÖVP in einer Aussendung auf, angesichts der dramatischen Entwicklung, endlich diese "würdelosen Machtspielchen" zu beenden, um die Krise gemeinsam zu bewältigen.
Für Haimbuchner ist der bekannt gewordene Lockdown-Entwurf "die Bankrotterklärung einer Regierung, die sich lieber in parteipolitischen Machtspielen ergeht, als ihre staatspolitische Verantwortung wahrzunehmen und dadurch ihrer Aufgabe schlicht und ergreifend zu keinem Zeitpunkt gewachsen war". Das "Versagen" der Regierung, die acht Monate ungenützt verstreichen habe lassen, hält Haimbuchner schon für "eine Frage der nationalen Sicherheit".
NEOS: Schulen und Kindergärten müssen offenbleiben
NEOS-Bildungssprecherin Martina Künsberg Sarre richtete folgenden Apppell an die Bundesregierung: "Ziel der Regierung muss auch sein, ein Schließen der Kindergärten und Schulen zu verhindern. Beides sind wichtige Orte des sozialen Miteinanders für junge Menschen. Die Kleinsten unter uns dürfen in den Gesprächen mit Sozialpartnern und den Oppositionsparteien nicht hintenangestellt werden. Österreich muss dem Beispiel Deutschlands folgen, wo die Kindergärten und Schulen offenbleiben."
Der Lockdown im Frühjahr habe für viele Probleme bei Schülern und Eltern gesorgt, so Künsberg Sarre.
Die NEOS-Bildungssprecherin fordere deshalb: "Das Ziel der Maßnahmen muss nicht nur die Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung sein, sondern muss auch die Bildung und Betreuung unserer Kinder im Fokus haben."
Sozialpartner fordern Begleitmaßnahmen
Die Sozialpartner haben nach einer Besprechung mit der Regierung Begleitmaßnahmen für den bevorstehenden zweiten "Lockdown" gefordert. Arbeiterkammerpräsidentin Renate Anderl (SPÖ) erklärte nach dem gut einstündigen Gespräch ihre Bereitschaft, Maßnahmen mitzutragen. Gleichzeitig pochte sie darauf, dass die Schulen offen halten und Arbeitnehmer Sonderbetreuungszeit erhalten. Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer (ÖVP) fordert diesmal raschere Entschädigung für Unternehmer.
ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian (SPÖ) sagte nach dem Treffen, dass man von der Regierung noch keinen konkreten Maßnahmenkatalog vorgelegt bekommen habe. Den zu diesem Zeitpunkt bereits zirkulierenden Verordnungs-Entwurf habe er noch nicht gesehen, sagte Katzian. Er deponierte aber, wie auch Anderl, die Forderung der Arbeitnehmervertreter nach einem Rechtsanspruch auf Sonderbetreuungszeit für Eltern.
Das fordert der ÖGB
Außerdem pochte Katzian neuerlich auf einen "Corona-Tausender" für Arbeitnehmer. "Das sind die Leute, die jetzt Arbeiten sollen." Das müsse auch honoriert werden. Außerdem brauche es eine Absicherung für Arbeitnehmer im Home Office. Anderl hofft zudem, dass sich die Regierung am deutschen Maßnahmenpaket orientiert und Schulen sowie Kindergärten daher offen bleiben.
Das fordert die WKÖ
Mahrer forderte rasche und unbürokratische Entschädigung für vom Lockdown betroffene Branchen, damit die Unternehmen nicht wieder monatelang auf das Geld warten müssten. Die Schließung der Gastronomie halte er nicht für erforderlich, diese Entscheidung könne er der Regierung aber nicht abnehmen, sagte der Wirtschaftskammerpräsident. Nötig sei aber auf jeden Fall eine Vorlaufzeit, damit sich die Betriebe auf die Maßnahmen einstellen können.
Supermärkte haben sich für höhere Nachfrage gerüstet
Die heimischen Supermarktketten haben sich auf eine höhere Kundennachfrage aufgrund der erwarteten Verschärfungen der Corona-Maßnahmen vorbereitet. Die Lager seien voll, hieß es vonseiten der Lebensmitteleinzelhändler bei einem APA-Rundruf.
"Unsere Lager, der Einkauf und alle Abläufe sind auf erhöhte Nachfrage gut vorbereitet, wir können alle Märkte regelmäßig und mit allen Waren versorgen", sagte Spar-Sprecherin Nicole Berkmann. Spar verzeichne seit "einigen Tagen eine generell verstärkte Nachfrage". Bei Rewe (u.a. Billa, Merkur, Penny) hat man sich auch auf eine höhere Nachfrage eingestellt. "Wir haben vorsorglich die Lagerstände und Zuteilungen erhöht", hieß es bei Rewe. Derzeit gebe es aber "kaum Bevorratungskäufe".
Der Lebensmitteldiskonter Hofer sieht ebenfalls keinen Grund zur Sorge. "Wir können unsere Kundinnen und Kunden beruhigen, ausufernde Vorratskäufe sind nicht notwendig, da unsere Läger gut gefüllt sind und wir auch auf kurzfristig erhöhten Bedarf einzelner Artikel sehr rasch reagieren können", hieß es bei Hofer. Es gebe "ein paar Artikel, wie zum Beispiel Mehl, Germ oder Toilettenpapier, die in diesen Tagen etwas verstärkt nachgefragt werden".
Auch der Diskonter Lidl sieht sich gut vorbereitet. "Unsere Lager sind gefüllt. Es gibt genug Lebensmittel und Hygieneartikel in Österreich und wir werden die Versorgung der Bevölkerung auch in einer neuerlich verschärften Situation wie gewohnt sicherstellen", so Lidl-Österreich-Chef Alessandro Wolf. "Auch wenn hier wieder schwierigere Wochen auf uns alle zukommen, es gibt keinen Grund für Hamsterkäufe oder Verunsicherung."
Beim ersten Corona-Lockdown in Österreich kam es rund um den 13. März zu massiven Vorratskäufen. Kurzfristig gab es teilweise leere Regale, etwa bei Toilettenpapier, Nudeln und Konserven. Generell konnten die Supermärkte die erhöhte Kundennachfrage damals aber decken. Zeitweise halfen in den Großlager der Lebensmittelhändler Mitarbeiter des Bundesheers aus.
Corona-Liveblog von VOL.AT
(APA)