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aXXept-Teamleiter im Vienna.at-Interview: „Das Leben ist sehr hart, wenn man auf der Straße ist“

Vienna.at hat den Leiter des Obdach aXXept, Florian Rossmann, interviewt.
Vienna.at hat den Leiter des Obdach aXXept, Florian Rossmann, interviewt. ©Obdach aXXept
Florian Rossmann, Teamleiter des „Obdach aXXept“-Tageszentrums für junge Erwachsene in der Obdachlosigkeit hat mit Vienna.at über seine Arbeit gesprochen.
Zwei Geschichten über Obdachlosigkeit in Wien

Vienna.at: Mit welchen Problemen und Sorgen kommen junge Erwachsene ins aXXept?

Florian Rossmann: Wir sind für junge Erwachsene von 18 bis 35 Jahren da. Die Themen mit denen die Menschen zu uns kommen, sind sehr vielschichtig. In erster Linie ist es die Obdach- oder Wohnungslosigkeit, mit der sie zu uns kommen. Es ist verschieden, woher die Menschen zu uns kommen. Teilweise haben sie aufgrund von Konflikten ihr Elternhaus verlassen oder sie sind schon länger auf der Straße und finden den Weg zu uns.

Gibt es Probleme die häufiger auftreten?

Das ist schwierig zu beantworten. Es gibt nicht das eine Thema, welches gehäuft auftritt. Aber es sind oft finanzielle Themen da. Oft ist es so, dass man als junger Mensch noch kein eigenes Einkommen hat. Das heißt, dass man als erstes den Weg zur Mindestsicherung oder finanziellen Unterstützung angehen muss. Und dann gibt es Themen, wie auch bei anderen Obdachlosen, wie zum Beispiel die Schuldenthematik und unter anderem Suchtthematiken.

Esterházygasse 18 / Eingang Ecke, Gumpendorfer Str. 64 in Wien-Mariahilf. ©Obdach aXXept

Wie sieht eure Arbeit als Sozialarbeiter beim aXXept aus?

In erster Linie machen wir ein Willkommens-Gespräch, wenn Menschen neu zu uns kommen. Das heißt: Wir zeigen ihnen den Raum und was wir anbieten. Das ist die Basisversorgung, die wir anbieten: Ein Aufenthaltsraum, wo ich Wäsche waschen, duschen und etwas zu essen machen kann. Wenn ich das nirgends anders habe, kann ich es hier nutzen. Und dann führen wir ein Anamnese-Gespräch durch, um zu sehen, was die Thematiken sind, mit denen die Menschen zu uns kommen und was die nächsten Schritte wären. Oft benötigt wird zum Beispiel, eine Meldeadresse, damit man Post empfangen oder sich beim AMS melden kann, um dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen oder auch Mindestsicherung beziehen zu können.

Werden die jungen Erwachsenen aus diesen Chancenhäusern dann an soziale Wohnprojekte aus der Obdachlosigkeit raus vermittelt?

Genau. Jetzt im Winter gibt es auch das Winterpaket der Stadt Wien, durch das es ganz viele Schlaf- und Notquartiersplätze gibt. Das ist zum Beispiel eine Möglichkeit, relativ rasch einen Schlafplatz zu bekommen. In die Chancenhäuser können die jungen Erwachsenen einziehen und haben drei Monate Zeit, damit sie herausfinden, was ihre Perspektiven sind und was sie dafür tun müssen. Wie sieht die finanzielle Sicherheit aus? Geht es weiter in der Wohnungslosenhilfe? Braucht es beim Wohnen in Zukunft vielleicht Betreuung? Oder ist das Thema einmal die Arbeitssuche? Braucht man nur für eine gewisse Zeit eine Stabilisierung? Das geht dann in Richtung Arbeit und eigene Wohnung. Die Sozialarbeiter:innen versuchen, die jungen Menschen dabei zu unterstützen auch einmal zu einem Wohnplatz, bzw. zum ersten Wohnplatz zu gelangen.

Wie lange können sich junge Erwachsene im aXXept aufhalten?

Das aXXept hat im Regelfall von zehn bis 16 Uhr geöffnet. Und in dieser Zeit können junge Erwachsene kommen. Täglich haben wir momentan an die 60 verschiedene Besucher:innen, die uns aufsuchen. Gleichzeitig sind meistens zu Spitzenzeiten 30 bis 35 Personen da. Es gibt welche, die sind den ganzen Tag hier, die kommen dann schon in der Früh und bleiben, bis wir zusperren und manche kommen nur punktuell, vielleicht, um sich etwas zum Essen zuzubereiten oder um kurz mit der Sozialarbeit zu sprechen und ihre Anliegen zu bearbeiten und gehen dann wieder.

Der Aufenthaltsraum im "aXXept". ©Obdach aXXept

Aus welchen Gründen geraten junge Menschen in die Obdachlosigkeit?

Es sind schon oft familiäre Gründe, das heißt in irgendeiner Weise ein Bruch im Familiensystem, warum manche von zu Hause ausziehen. Bei manchen gab es auch schon vorher eine Unterbringung durch die Jugendwohlfahrt. Aber am häufigsten ist etwas im Familienverbund da, das nicht mehr passt, das sie (Anm.: junge Menschen) auf der Straße landen.  Zum Beispiel Streitereien in der Familie oder im Freundeskreis oder auch wenn es keine Perspektiven gibt. Es gibt nicht dieses eine Thema, es ist meistens auch sehr vielschichtig.

Wie alt sind die jungen Leute im Durchschnitt?

Derzeit sind wir beim Durchschnittsalter über alle Besucherinnen die wir haben, zwischen 25 und 30 Jahren. Wir haben Menschen hier aus Österreich, aus Deutschland, aus Ungarn, aus Rumänien. Also junge Menschen, die in Wien sind und obdachlos sind. Und manche brauchen eher eine Basisversorgung, weil es schwierig ist Perspektiven auf zu bauen, mit denen es weitergeht. Bei diesen Menschen geht es eher um Schlafplätze im Winter. Oder einmal Unterstützung beim Erstellen eines Lebenslaufes oder bei der Suche nach einem Job, um sich dann weitere Perspektiven zu erarbeiten. Und da gibt es Menschen, die länger bei uns sind und die mehr auf die Basisversorgung angewiesen sind.

Im Obdach aXXept können Wohnungslose ihre Wäsche waschen. ©Obdach aXXept

Hat die Energiekrise die Situation noch verschärft?

Es war nicht zwingend, dass deswegen mehr Menschen zu uns gekommen sind oder, dass es ein Thema war. Aber die Teuerung war schon bei allen die da sind ein Thema. Wir stellen Lebensmittel zum Kochen zur Verfügung und bekommen auch Spenden von der Wiener Tafel. Da haben wir schon mehr Bedarf gemerkt.

Was wird im aXXept noch angeboten?

Wir bieten auch Depot-Möglichkeiten an. Das heißt wir haben Spinde, die die Menschen gegen eine Kaution für zwei Euro – wenn einer frei ist – für ein halbes Jahr mieten können. Dann schauen wir, braucht es das noch, können wir das verlängern, weil es immer auch darum geht, die Sachen sicher verstauen zu können.  Zum Beispiel ein Gewand zum Wechseln. Wir bieten auch ein Dokumentendepot an. Das heißt, dass ich wichtige Unterlagen auch deponieren kann und nicht meine Geburtsurkunde und meinen Staatsbürgerschaftsnachweis mit mir mittragen muss. Oder auch ein Langzeitdepot. Für Menschen, die ihre Wohnung verloren haben – in dem Fall muss man sich leider von den meisten Sachen trennen, aber, wenn man noch zwei Koffer mit all seinen Sachen hat, dann kann man sie dort unterbringen. Es gibt nur Lager, die man mieten kann und das sind dann auch wieder Kosten, die schwerfallen. Aber einen Umzugskarton mit den wichtigsten Sachen bei uns zu deponieren, das bieten wir den Menschen an. Wir bieten auch ein Gelddepot an.

Die Küchenzeile im Obdach aXXept. ©Obdach aXXept

Es gibt bei uns die Möglichkeit Geld sicher zu verwahren. Gerade wenn wir auf eine eigene Wohnung mit jemanden hinarbeiten. Dann erstellen wir oft auch Befürwortungen für Gemeindewohnungen. In der Wohnungslosenhilfe ist es so, wenn jemand Anspruch auf eine Gemeindewohnung hat, können wir die sogenannte „Soziale-Schiene-Wohnung“ befürworten. Es muss nicht sein, dass Menschen über ein Tageszentrum in dem sie wohnen, dann in eine Einrichtung gehen und von dort geht es dann weiter. Es kann auch funktionieren, dass sich Menschen so stabilisiert haben, dass es mit der eigenen Wohnung funktioniert. Und gerade da schauen wir dann, dass sie Ansparungen schon bei uns hinterlegen, damit sie dann Geld auf der Seite haben, wenn sie die eigene Wohnung bekommen.

Welchen Gefahren sind jungen Menschen auf der Straße ausgesetzt?

Ich glaube, dass das Leben wirklich sehr hart ist, wenn man auf der Straße ist. Suchtthematiken sind ein großes Thema. Ich denke, dass alle Menschen die auf der Straße leben, mit Sucht in Kontakt kommen. Das heißt, es gibt verschiedene Gruppen, die auf der Straße sind – viele wollen dann nicht allein sein – und um den Alltag auf der Straße zu bewältigen, da greifen viele Leute auch zu Alkohol oder anderen Substanzen, wie illegalen Drogen. Und da sehe ich gerade bei jungen Erwachsenen die Gefahr, hinein zu schlittern.

Spinde und Stauraum ©Obdach aXXept

Haben sich die Suchtproblematiken in den letzten Jahren verstärkt?

Meiner Wahrnehmung nach, hat es sich ein Stück weit verändert. Der Konsum (Anm.: von Drogen) ist einfach mehr Thema geworden. Aber einerseits ist es bei uns auch durch den Umzug im November 2021 erklärbar, weil wir mehr und neue Nutzer:innen haben und je mehr Personen, desto mehr Themen sind auch da. Das ist ein Erklärungsansatz. Es ist für uns auch mehr Thema geworden.

Was sind die größten Herausforderungen für junge wohnungslose Menschen?

Das ist schwierig zu sagen, aber meine Erfahrung ist, dass es oft ein großes Thema ist, wo es im Leben hingehen soll. Vor allem wenn man noch keine Ausbildung gehabt hat und wenn man noch nie selbstständig gewohnt hat, dann ist oft die eigene Wohnung ein Thema. Dann müssen die jungen Menschen oft erst lernen, was es heißt eine Wohnung zu haben und sich vorher zu stabilisieren. Gemeinsam entwickeln wir Perspektiven, was die nächsten Schritte wären. Das ist jetzt nur meine Meinung, aber, wenn ich noch nichts hatte in meinem Leben, also noch keine Ausbildung fertig habe und in einer Obdach- und Wohnungslosigkeit lande, dann ist es schon schwierig Perspektiven zu entwickeln, da wieder gut hinaus zu kommen. Es ist etwas anderes, als wenn ich Mitte 40 obdachlos werde und eine Ausbildung, einen Beruf hatte und ein wenig Erfahrung gemacht habe. Dann kann man auf das wiederaufbauen, aber, wenn man das noch nicht hatte, wenn man die Familie nicht mehr als Ressource hat, keine Ausbildung oder Lehre hat, dann ist es schwer Perspektiven zu entwickeln.

Das Obdach aXXept ©Obdach aXXept

Was sind die Erfolge in Ihrer Arbeit?

Es gibt mehrere. Es ist oft auch schon ein Erfolg, wenn wir schaffen, dass jemand nicht bei uns andockt und wir wissen, es sind Perspektiven da - den können wir gleich weitervermitteln. Aber auch wenn Menschen lang bei uns sind und über kleine Schritte und auch Rückschritte ihre Ziele erreichen und sich so weit stabilisieren, dass es in eine Wohnung geht, sind Erfolge. Manche Erfolge merkt man erst später. Wenn Menschen nicht mehr zu uns kommen, dann weiß man nicht immer, was die Gründe sind. Man erlebt den Erfolg oft nicht. Aber wenn Menschen dann oft nach Jahren vorbeikommen und Spenden vorbeibringen, ist das schön. Da hatten wir letztens erst einen ehemaligen Nutzer bei uns, der brachte Schuhe. Er hat mir von seinem Job, seiner Wohnung und seinen Kindern erzählt. Das sind die Erfolge, bei denen man sich Jahre später denkt: „Sehr schön! Das ist gut“.

(cor)

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