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„Den Tod gibt es nicht nur in Wien“

Er ist Deutscher, aber das ist nicht schlimm. Er macht gute, weil „g‘scheite“ und zugleich tanzbare Musik und liest am 28. November aus seinem dritten Buch – im Dritten.

Singen und schreiben. Der deutsche Musiker („Element of Crime”) und Bestseller-Autor Sven Regener liest am 28. und 29. November im Rabenhof-Theater aus seinem neuen Buch „Der kleine Bruder”. Die Redakteure Maria-Theresia Klenner und Erich Nuler trafen den Mann, den sogar Marcel Reich-Ranicki lustig findet zum Gespräch in einem seiner liebsten Kaffeehäuser …

bz: Sind Sie ein urbaner Mensch?
Sven Regener: Ich bin in Bremen aufgewachsen, das war mir aber sehr klein, obwohl die Stadt eine halbe Millionen Einwohner hat. Dann habe ich in Hamburg gelebt, bis mir das auch zu klein wurde, dann bin ich nach Berlin gegangen. Als ich von Bremen wegging war für mich das Kriterium der Stadt, in die ich ziehen möchte eine U-Bahn. Da gibt es ja in Deutschland gar nicht viele. Da gibt es eigentlich nur Berlin, München, Hamburg und Frankfurt.

bz: Wien wäre geeignet …
S.V.: Wien wäre U-Bahn-technisch sicherlich geeignet. Die Stadt fand ich immer gut. Wenn man in Berlin lebt, glaubt man ja immer, zumindest die Oberfläche von Wien einigermaßen verstehen zu können.
Man fühlt sich nicht so fremd, weil beides große Städte sind.

bz: Beide waren ja auch einmal die Zentren von Weltreichen …
S.V.: So groß war das Berliner Weltreich ja nicht (lacht). Nein, ich glaube das liegt eher an diesen großen Altbauten. In Bremen gibt es zwar auch Altbauten, aber die sind sehr klein. In Hamburg beispielsweise gibt es das nicht mehr, weil das alles im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Berlin hat diese mächtigen und wuchtigen großen Straßen und alten Häuser. Das ist hier auch so, beispielsweise am Gürtel. Das liegt wahrscheinlich daran, dass beide Städte zur selben Zeit, Ende des 19. Jahrhunderts, einen Bauschub erfuhren. Das Weichbild ist also sehr ähnlich. Was Restberlin seit den Siebzigern fehlt, ist die Straßenbahn. Das war sehr dumm, aber was soll man machen.

bz: Sie lesen im Theater Rabenhof aus Ihrem neuen Buch. Der Rabenhof ist ja ein großer Gemeindebau. Hat das für Sie ein besonderes Flair?
S.V.: Ach, da kenne ich mich zu wenig aus. Das wäre Quatsch wenn ich mich zum Wien-Connaisseur mache, der am liebsten in den Gemeindebauten, und vor allem in denen aus den Zwanziger Jahren spielt. Nein, das sind gute Leute, die dieses Theater betreiben. Es ist sehr charmant mit einen Stammpublikum. Es macht Spaß dort. Das macht das Lesen auch einfacher. Wir haben jetzt zwei Abende. Das ist etwas riskant, aber das bekommen wir schon voll.

bz: Es heißt in einem Sprichwort, der Tod ist ein Wiener. Ist diese Stadt melancholisch?
S.V.: Städte sind ja keine handelnden Subjekte. So etwas möchte man oft selber sehen. Ich weiß aber, dass das für die Leute hier eine große Rolle spielt. Ich bin sehr von österreichischer Literatur beeinflusst. H.C. Artmann ist beispielsweise einer meiner Lieblingsautoren. Aber wo spielt so etwas denn keine Rolle. Der Tod spielt in der Kunst natürlich immer eine Rolle, weil uns die Kunst ja auch immer ein Gefühl für die Endlichkeit der Dinge gibt. Gerade die Musik ist die Melancholischste aller Künste. Wenn ein Ton spielt ist er auch schon wieder weg. Das lässt sich genauso wenig greifen wie die Zeit. Das gibt uns ein gutes Gefühl für das Vergehen von Zeit und für die Vergänglichkeit. Nichts gegen die Wiener und ihre Liebe zur „schönen Leich”, aber letztendlich dürfen sie nicht glauben, dass sonst noch niemand auf der Welt auf die Idee gekommen ist, dass es den Tod gibt.

bz: Kennen Sie den derzeit erfolgreichsten Musikexport Österreichs: Christina Stürmer?
S.V.: Ja, vom Namen her schon. Die Musik kenne ich wenig. Die ist, glaube ich, bei der selben Plattenfirma wie wir. Aber die ist in Deutschland wahnsinnig erfolgreich. Es gibt ja auch andere, wie Udo Jürgens. Der hat aber mittlerweile drei verschiedene Pässe. (lacht)

bz: Privat hören Sie …
S.V.: Alles Mögliche, ich habe auch Lieblingsbands, aber ich bin kein großer „Namedropper”.

bz: Bei Schriftstellern auch?
S.V.: Natürlich, denn das Problem ist: Wenn man selber Musik macht oder Bücher schreibt, bekommt die Nennung von Namen eine Bedeutung, die sie eigentlich nicht hat. Da schwingt immer so ein komischer Subtext mit, als ob man sich mit fremden Federn schmücken möchte oder aber, dass man sich selbst einordnet. Das mache ich deshalb nie gerne. Ich bin aber sicher auch kein „Fanfreak”, der immer nur drei verschiedene Bands hört. Ich habe auf meinem Computer zirka 7.000 Songs, die mir auch richtig gehören, die habe ich nicht irgendwo runtergeladen. Ich habe früher auch Musikwissenschaften studiert. Zur Not könnte ich jetzt auch eine Mahler-Symphonie analysieren.

bz: War Musik für Sie eine Art Flucht vor der Realität?
S.V.: Warum sollte Musik eine Flucht vor der Realität sein? Dann müsste man sagen, dass jede Kunst eine Flucht vor der Realität ist.

bz: Thomas Bernhard hat einmal gesagt, dass Bücher ihm den Blick zur Welt verstellten.
S.V.: Was Thomas Bernhard nicht alles so gesagt hat. Wenn man sich mal überlegt, was man alles in Interviews sagt, dann sollte man das nicht so ernst nehmen. Ich erzähle in Interviews auch gern mal alles Mögliche. Nein, Musik ist keine Flucht vor Realität, Musik ist Musik und ein Bestandteil dieser Welt. Wenn Sie schwimmen gehen, könnte ich Ihnen auch sagen, dass sei eine Flucht vor der Welt. Dann würden Sie natürlich fragen: Warum? Und dann könnte ich Ihnen antworten, dass Sie in der richtigen Welt nicht schwimmen, denn Sie sind ja kein Fisch.

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