Zwischenrufe und Lachen erlaubt – diese Kirche ist anders
Die Propstei St. Gerold ist ein Ort permanenter Entwicklung – baulich, geistlich und gesellschaftlich. Die jüngste Veränderung betrifft den Kirchenraum: Am Sonntag wurde dort ein neuer Altar eingeweiht. Anstatt des früheren Steinaltars gibt es nun einen aus Eschenholz. Dieser ist erstens mobil, um auch im Kirchenraum flexibel zu bleiben. Und zweitens steht er nicht auf der üblichen Erhöhung, von der der Priester hinunterspricht, sondern auf Augenhöhe.
Aber die Begegnungsstätte im Großen Walsertal ist noch in vielen weiteren Punkten anders, ungewöhnlich und für manche sogar komisch. „Wir möchten nicht normal sein hier. Das Normale ist nie das, an dem man sich orientieren sollte. Wir wollen original sein“, sagt Pater Martin Werlen, Propst der Propstei St. Gerold.

Zwischenrufe in der Messe
Statt der gängigen Sitzbänke gibt es im Kirchenraum gemütliche und ebenfalls flexible Stühle. „Diese Starrheit der Bänke wollten wir auch im übertragenen Sinn aufbrechen“, sagt David Ganahl, Bereichsleiter der Propstei.

In den Messen hat neben der Stille auch das gemeinsame Lachen seinen festen Platz. Und bei der Einweihungsfeier am Sonntag hat eine Frau während der Messe zu Pater Werlen gerufen, ob er nicht kurz erklären könnte, was es mit den Reliquien auf sich habe. „Das hat mich gefreut, denn das würde sich an anderen Orten nie jemand trauen“, erzählt Ganahl weiter.

Der Friedhof als Repräsentation des großen Ganzen
Paradoxerweise zeigt sich die Lebensphilosophie der Propstei ausgerechnet auf dem Friedhof besonders deutlich: Er verkörpert die Verbundenheit mit der Kunst, den Mut zu unkonventionellen Wegen und das klare Bekenntnis zur Gleichheit aller Menschen. Hier gibt es keine Grabsteine – stattdessen erinnern einheitliche Tafeln an Lehmmauern an die Verstorbenen. In allen Beeten werden dieselben Blumen gepflanzt und Kerzen werden auf zwei zentrale Lichtsäulen gestellt, die immer für alle leuchten.

Das ehemalige Kriegsdenkmal wurde ebenfalls erneuert. „In jedem Krieg kommen nicht nur Soldaten, sondern viele weitere Menschen um, zum Beispiel Frauen und Kinder. Hier im Großen Walsertal gab es auch zwei Deserteure, die erschossen wurden, aber namentlich nie aufgeführt worden sind“, erklärt Pater Werlen. Somit ist auf dem Friedhof der Propstei St. Gerold ein Denkmal für alle Opfer von Gewalt entstanden. „Darin sind Soldaten aus der Vergangenheit genauso enthalten wie Menschen, die heute durch Gewalt ums Leben kommen. Von Terroranschlägen bis hin zu Femiziden in Österreich“, führt Pater Werlen aus.
Gleichbleiben ist keine Option
Trotz der zahlreichen unkonventionellen Veränderungen in der Propstei würde Pater Werlen diese nicht als progressiv bezeichnen. „Es ist vielmehr eine Rückbesinnung. Also nichts Neues, sondern etwas Ursprüngliches“, sagt er. Mit den Veränderungen orientiere man sich viel eher an der Heiligen Schrift. Denn Jesus sei zum Beispiel nie auf eine Erhöhung gegangen ist, um von dort zu den Leuten hinunterzusprechen.

„Was wir hier in der Propstei machen, ist nicht das, was gewünscht wird von vielen Kreisen – von wichtigen Kreisen. Der Wunsch ist, dass wir so bleiben, wie es immer war. Aber das ist der Tod von allem. Wenn eine Kirche so bleibt, wie sie immer war, verliert sie jede Bedeutung für Menschen im Hier und Jetzt“, sagt Pater Werlen.
Ganahl fügt schmunzelnd hinzu: „Eine der schönsten Auszeichnungen, die wir bekommen haben, ist, als jemand mal unseren Kirchenraum betreten und uns gefragt hat: ‚Ihr seid aber schon katholisch, oder?‘“ Es gibt Menschen, die jahrzehntelang keinen Gottesdienst mehr besucht haben, und in der Propstei St. Gerold wieder einen Zugang zur Kirche finden.
Der offenste Propst, den man sich vorstellen kann
Pater Werlen lebt in vielerlei Hinsicht am Puls der Zeit. Unter anderem ist er auf Social Media aktiv. Nachdem er Twitter den Rücken gekehrt hat, ist er nun auf Bluesky zu finden. Grund dafür war der neue Eigentümer Elon Musk. „Er macht steuernde Politik und das ist gefährlich. So etwas will ich nicht unterstützen“, betont Pater Werlen. Einer seiner letzten Posts ist ein Bild von der Statue des St. Gerold, der eine Regenbogenfahne umgehängt hat.
Pater Werlen besucht außerdem Kulturveranstaltungen im ganzen Land. „Auch preisgekrönte Kinofilme, in denen man etwas mehr nackte Haut sieht und jemand wie ihn eigentlich nie erwarten würde. Er ist den Dingen nahe, die die Gesellschaft betreffen“, erzählt Ganahl. Da Pater Werlen keinen Führerschein hat, nutzt er unter anderem Autostopp als Transportmöglichkeit. „Dabei ist er den Menschen ganz nah und kann sich Ideen und Anregungen von ihnen holen. Er hat einmal gesagt, dass es genau deshalb eine seiner besten Entscheidungen war, keinen Führerschein zu machen“, führt Ganahl weiter aus. Seiner Meinung nach ist er der offenste Propst, den man sich vorstellen kann.
(VOL.AT)