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©VOL.AT/Schwärzler

Zwischen Selbstliebe und Tabu: Fotografen geben intime Einblicke in Nacktshootings

Bei den Besuchen von VOL.AT bei Andreas Ender und Viktoria Jäger bleibt die Kleidung selbstverständlich an. Eigentlich kein erwähnenswertes Detail – doch vor ihren Kameras ist das nicht immer der Fall. Es fallen hin und wieder die Hüllen.

Zwei Fotoapparate, zwei Generationen: Ender lichtet schon über 30 Jahre lang Menschen ab – so alt wie Viktoria Jäger gerade mal ist. Beide geben VOL.AT beim Besuch intime Einblicke in ein Tabuthema. In 30 Jahren hat sich laut dem 56-Jährigen einiges verändert.

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In über 30 Jahren wird das Portfolio groß. ©Andreas Ender

Die Vorstellungen von Schönheit und Körperästhetik haben sich deutlich gewandelt – auch im Intimbereich. Die Frisur in den 80er-Jahren war anders als heute", sagt Ender. Er habe alle Trends miterlebt: vom "Busch über das Dreieck und den Streifen bis zu glatt rasiert". Auch Tattoos, Piercings und Intimschmuck seien im Laufe der Zeit immer mehr geworden.

Andreas Ender gibt intime Einblicke in 33 Jahre Aktfotografie:

Ausstrahlung als Schönheitsideal

Sein Zugang blieb dennoch über all die Jahre der gleiche: "Schönheit ist, was gefällt". Er verzichtet bewusst auf digitale Retusche, um die tatsächliche Vielfalt abzubilden: "Ich mache ja generell keine Bildbearbeitung."

Der 56-Jährige ergänzt: "Für mich ist das Schönheitsideal einfach diese Ausstrahlung, die die Personen über die Kamera vermitteln, weil sie selbst zufrieden sind mit ihrem Körper."

Fotografin Viktoria Jäger spricht über Aktshootings:

Therapie statt Pornografie

Und genau das sollen die Aktshootings fördern. Denn eines hat sich ebenfalls in den 30 Jahren nie verändert: das Motiv, warum seine Models sich von ihm unverhüllt ablichten lassen.

Nur Viktoria Jäger selbst und ihre Kunden bekommen die Aktfotos zu Gesicht. Für die Öffentlichkeit sind diese nicht bestimmt. ©VOL.AT/Schwärzler

Dabei dreht sich entgegen der Erwartung nämlich nicht alles um Erotik oder Pornografie. Ender zitiert eine Kundin, für die die Aktshootings eine Art Therapie verkörpern, um dies zu veranschaulichen: "Ich komme jetzt alle halbe Jahr zu dir und lasse mich nackt fotografieren, das gibt mir mehr Körperbewusstsein, als wenn ich jede Woche zum Psychiater gehe."

Andreas Ender geht auch selbst gerne nackt baden, weil er dann eins mit der Natur ist und sich spürt. ©VOL.AT/Schwärzler

Er hat aber auch Fotos auf seinem Computer, die er nicht veröffentlichen möchte. "Es ist schon passiert, dass zwei Sex gehabt haben, weil sie so emotional angeturnt wurden, dass es passiert ist", erzählt er.

Dies hat auf seiner Website aber nichts zu suchen. Er möchte eben Kunst und keine Pornografie veröffentlichen. Doch wo hört Provokation auf und fängt Pornografie an? Wo da die Trennlinie ist, müsse jeder für sich selbst definieren, erklärt er.

Dieses Foto würde eigentlich noch mehr zeigen. Nicht nur Frauen stehen nackt vor der Kamera. ©Andres Ender

Selbstakzeptanz nach Brustkrebserkrankung

Auch Viktoria Jäger erlebt in ihrer Arbeit, dass es beim Aktshooting nicht um Sexualität, sondern um eine positive Selbstwahrnehmung geht. "Es geht schon darum, dass man schön ist. Aber auf eine gute Art und Weise. Also nicht das Billige, Pornomäßige", erklärt die Fotografin, die sich auf Porträts spezialisiert hat. Und der Blick in den Spiegel zu Hause trügt oft.

Die Models sind vielfältig. ©Andreas Ender

Bei den Aktshootings geht es also nicht darum, sich explizit sexy zu präsentieren, sondern um die eigene Schönheit, festgehalten in professionellem Licht und unter Anleitung. "Meistens hat es spezielle Gründe", führt die Dornbirnerin fort. Das kann beispielsweise die Selbstwahrnehmung nach einer Brustkrebserkrankung sein.

Vielfalt statt Perfektion

Ender hat auch schon ältere Personen oder Personen im Rollstuhl nackt abgelichtet. Als eine Kundin mal die längere Schamlippe verstecken wollte, machte er sie darauf aufmerksam, dass es ja genau darum gehe. Er will nämlich die Vielfalt und Natürlichkeit und nicht makellose Perfektion darstellen.

Andreas Ender mag es, nackt eins mit der Natur zu sein. Er fotografiert das, was er selbst ausprobiert hat, um zu wissen, was er seinen Models zumuten kann. ©Andreas Ender

Social Media unter Kritik

Beide Fotografen machen auf die Wirkung von Social Media aufmerksam. Soziale Medien vermitteln unrealistische Körperbilder, denen viele erfolglos nacheifern. Sie geben laut dem Emser oft "ein Idealbild vor, das als solches eigentlich gar nicht zu 100 Prozent von jedem erreichbar ist".

Die 30-Jährige hat bereits nackte Kunden abgelichtet. Sie hat bereits seit ihrer Jugend eine Leidenschaft fürs Fotografieren. ©VOL.AT/Schwärzler

Doch auch eine positive Wirkung beobachtet Jäger. Die gestiegene Nachfrage von Nacktshootings bringt die Webdesignerin mit dem gesellschaftlichen Diskurs über Selbstliebe und Körperakzeptanz auf sozialen Netzwerken in Verbindung.

Eine Reaktion auf das Problem, immer wieder Fotos löschen zu müssen: Papiersack auf dem Kopf. Wer dahinter steckt, bleibt geheim. ©Andreas Ender

Private Erinnerung statt öffentliche Präsentation

Doch sind Aktfotos in Vorarlberg noch ein derart großes Tabu, dass sie lieber versteckt werden müssen?

Ebenso unterschiedlich wie die Models selbst ist auch der Umgang mit den entstandenen Bildern. Manche nutzen sie als Geschenk für den Partner oder hängen sie im privaten Bereich auf. "Manche möchten die Fotos einfach nur für sich digital. Dann laden sie sich ab, haben sie auf dem Handy und schauen sie einfach mal an", so die Fotografin.

Viktoria Jäger macht nicht nur Aktfotos. Sie ist auf Porträtfotos spezialisiert und macht Werbebilder. ©VOL.AT/Schwärzler

Manche der Kundinnen von Ender besuchen den Fotografen heimlich, da ihre Partner die Aktshootings nicht unterstützen, erzählt er. Dann kann es schon mal zum Beziehungsstreit kommen, wenn die Partner die Fotos entdecken. Ender hat auch schon erlebt, dass Kundinnen von ihm verlangen, die Fotos trotz anfänglicher Einwilligung aufgrund eines Jobinterviews von seiner Homepage zu nehmen.

Job verloren

Der Emser erzählt von einer Volksschullehrerin, die ihren Job verlor, da ein Schüler die Bilder im Netz fand und in der Schule ausgedruckt präsentierte.

Der Fotograf traute sich vor über 30 Jahren schon viel. ©VOL.AT/Schwärzler

Ohne Vertrauen kein Aktshooting

Die Fotos von Jäger sind online nicht zu finden. Sorgen, dass sensible Aufnahmen öffentlich werden könnten, habe ihre Kundschaft keine, betont sie. In der professionellen Fotografie sei ein sensibler Umgang mit Bildmaterial selbstverständlich. Eine Veröffentlichung sei nur mit schriftlicher Zustimmung erlaubt. Auf ihrer Website finden sich daher keine Aktaufnahmen. Für Jäger ist klar: "Ohne Vertrauen an den Fotografen hat das Shooting eh keinen Sinn."

Schönheitsideale haben sich verändert. ©Andreas Ender

Ein behutsamer Einstieg ist zentral

Doch wie läuft so ein Shooting ab? Denn Nacktheit ist oft mit Verletzlichkeit verbunden. "Es ist ein sensibles Thema. Eigentlich sind alle immer sehr nervös, wenn sie zu mir kommen", so die Dornbirnerin. Deswegen setzt sie auf einen sanften Einstieg.

Viktoria Jäger fotografiert ausschließlich Menschen. ©VOL.AT/Schwärzler

Keine Nacktheit zu jedem Preis

Um die Anspannung zu lösen, beginnt das Shooting meist in entspannter Atmosphäre – bei einem Kaffee oder einem Glas Prosecco. Zu Beginn wird mit einfachen Posen und leichter Kleidung gearbeitet. Ob im weiteren Verlauf tatsächlich alle Hüllen fallen, entscheidet jede Person selbst – abhängig vom eigenen Wohlbefinden. Auch mit einem Tuch oder Mantel lassen sich ästhetische Bilder gestalten, betont die Dornbirnerin.

Die Tücher fallen manchmal dann doch, wenn die Nacktheit vergessen wird. ©Andreas Ender

Ender erzählt, dass manche Kundinnen sich während des Shootings plötzlich doch ausziehen, obwohl das gar nicht der Plan war. "Gerade so, wie wir jetzt miteinander das Interview führen, könntest du jetzt da nackt sitzen. Manche sagen während der Shootings: Ich fühle mich nicht mehr nackt, ich kann über meine Katze und meine Mama erzählen."

(VOL.AT)

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