Die Verhältnisse in Österreich sind so verfahren wie noch nie in der Zweiten Republik. Es gibt de facto zwei Bundeskanzler, nämlich Alexander Schallenberg im Vorder- und Sebastian Kurz (beide ÖVP) im Hintergrund. Zurückzuführen ist das auf die ungeklärten Verhältnisse in der türkis-schwarzen Volkspartei. Zur Unzeit: Notwendig wäre eine handlungsfähige, entscheidungsstarke Regierung. Es gibt sie nicht. Schallenberg ist in ihren Reihen zwar Erster unter Gleichen, aber eben doch nur Statthalter des abwesenden Sebastian Kurz; dieser versucht, Einfluss zu nehmen.
Vor einer Woche haben zum Glück die Landeshauptleute unter Führung des Wiener Bürgermeisters Michael Ludwig (SPÖ) vorübergehend das Ruder herumgerissen und den überfälligen Lockdown durchgesetzt. Wenn es einen solchen nicht geben würde, würden bald in sehr vielen Spitälern über Oberösterreich und Salzburg hinaus kriegsähnliche Zustände herrschen; könnten Herz- oder Krebspatienten nicht mehr operiert werden, weil sich Ärzte und Pfleger um Coronakranke kümmern müssen; würden noch mehr Menschen qualvoll ersticken, also sterben.
Das Schlimme ist, dass die Regierung die Führung nicht dauerhaft abgegeben hat. Sie sollte es dringend tun: Ein Expertenkabinett sollte ans Ruder, bis Neuwahlen im Frühjahr möglich sind. Dafür spricht das Versagen der Kanzler Schallenberg, Kurz und des Gesundheitsministers Wolfgang Mückstein (Grüne), aber auch jenes von Bildungsminister Heinz Faßmann (Stichwort Schulchaos) oder Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck („Kaufhaus Österreich“).
Dafür spricht vor allem aber, dass jetzt eine Regierung notwendig ist, die ihr Tun nicht von den Interessen von ein oder zwei Parteien abhängig macht, sondern am Wohl der Menschen orientiert; der (laut Peter Filzmaier) nicht bis zu 75 Prozent misstrauen, sondern 75 Prozent vertrauen.
Zu viel ist in den vergangenen Wochen und Monaten kaputtgemacht worden, zu viel steht auf dem Spiel: Verhängnisvolle Botschaften wie „Für Geimpfte ist die Pandemie vorbei“ haben Sorglosigkeit bei diesen Leuten befeuert und zu einer neuerlichen Eskalation beigetragen. Vor allem aber hat das die niedrige Durchimpfungsrate, die auch auf fehlende Initiativen und Kampagnen zurückzuführen ist. Keine Briefe an Ungeimpfte mit einem konkreten Terminvorschlag, nichts von alledem, was sich in anderen Ländern bewährt hat.
Zuletzt wurde eine Impfpflicht unausweichlich und das wäre nun endgültig der Zeitpunkt für Schallenberg, Kurz und Co., das Regieren anderen zu überlassen. Mit dieser Verpflichtung ab 1. Februar gehen nämlich auch erhebliche Risiken einher: Schon jetzt lassen sich offenbar erst recht viele nicht impfen. Die ohnehin extrem niedrige Zahl der Erstimpfungen geht weiter zurück. Bis ins Frühjahr hinein drohen damit zu viele ohne vollständigen Impfschutz zu bleiben. Also ausgerechnet in einer Phase (Winter), in der es darauf ankommen würde.
Die Eskalation ist im Übrigen schon so weit fortgeschritten, dass sich Hunderttausende letzten Endes allenfalls nur widerwillig impfen lassen werden. Das Problem ist dann nicht gelöst: Corona bleibt, die Viren ändern sich, es könnten also immer wieder Impfungen ebenso relevant werden wie verantwortungsbewusste Bürger, die Maske tragen, Abstand halten und Hände waschen.
Vor diesem Hintergrund kommt es auch schon darauf an, von wem die Impfflicht eingeführt wird und wie sie umgesetzt wird: Tut es eine Regierung, die respektiert wird, ist der Schaden begrenzt. Befolgt man außerdem Vorschläge wie den vom „Falter“ verbreiteten, dass jeder Ungeimpfte zu einem Gespräch kommen muss und nur dann bestraft wird, wenn er das nicht tut, könnte das noch besser sein. Im Endeffekt würde allemal eine Durchimpfungsrate von 90 Prozent zusammenkommen. Das wäre eine der höchsten weltweit.
Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik