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"Wovor wir Angst haben sollten, ist die ungebremste Klimakrise"

Johannes Hartmann bei einer Kundgebung vor dem Landhaus in Bregenz.
Johannes Hartmann bei einer Kundgebung vor dem Landhaus in Bregenz. ©Sams
Corona machte heuer auch den Aktivisten von "Fridays For Future" zu schaffen. Doch die Bewegung war nicht untätig. Der neue Sprecher Johannes Hartmann über nachhaltige Ideen zu Großprojekten im Ländle, Klimaschutz in Pandemiezeiten und eine Message an Klimaskeptiker.  
"In Vorarlberg muss sich noch viel tun"

Von Harald Küng (WANN & WO)

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WANN & WO: Trotz Corona waren die „Fridays“ auch heuer aktiv: Am vergangenen Freitag gab es beispielsweise eine Aktion vor dem Landhaus. Was kannst du uns darüber erzählen?

Johannes Hartmann: Die Aktion betraf das Erreichen der gesetzten Klimaziele. Zum fünften Jahrestag des Pariser Klimaabkommens haben wir persönliche Briefe an alle Landtagsabgeordneten geschrieben, in denen wir den Ab­­­­­­­ge­­­­ordneten unsere Sorgen und Hoffnungen zur Klimakrise mitteilen. Am Freitag haben wir diese Briefe übergeben. Wir erhoffen uns, dass unsere persönlichen Botschaften ankommen und wir die Mitglieder der Landesregierung dazu bewegen können, die Klimakrise ernst zu nehmen. In weiterer Folge erhoffen wir uns dadurch Maßnahmen, die der Klimakrise etwas entgegenzusetzen haben.

WANN & WO: Wie realistisch ist es aus heutiger Sicht, dass diese Ziele auch erreicht werden?

Johannes Hartmann: Vor ziemlich genau fünf Jahren, am 12. Dezember 2015 haben sich fast alle Staaten der Welt – darunter auch Österreich – dazu verpflichtet, ihren Beitrag zu leisten, um die Erderhitzung möglichst auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken. Von einem realistischen Pfad dahin sind wir weit entfernt. Momentan würde sich die Erde laut Experten um annähernd drei Grad erwärmen, selbst wenn alle Staaten ihre derzeitigen Klimaziele einhalten. Und bei vielen sieht es so aus, als ob sie nicht einmal das schaffen. Das Erreichen des 1,5-Grad-Zieles ist nur realistisch, wenn viele Staaten, auch Österreich, ihre Klimaziele nachschärfen und dann auch einhalten. Was mich derzeit eher pessimistisch stimmt, sind beispielsweise gewaltige Investitionen in Straßenbau­projekte, die ein fehlendes Umdenken erkennen lassen.

WANN & WO: Stichwort Straßenbauprojekte: Ihr habt kürzlich ein Statement zum Stadttunnel in Feldkirch abgegeben und euch klar von einer Unterstützung des Projekts distanziert. Dass in Feldkich etwas passieren muss, liegt auf der Hand. Welchen Gegenvorschlag gibt es seitens „Fridays For Future“ Vorarlberg?

Johannes Hartmann: Wir sind keine Experten auf dem Gebiet  und wollen uns auch nicht auf eine Diskussion darüber einlassen, welche konkrete Lösung der Verkehrsproblematik in Feldkirch die beste wäre. Das ist nicht unser Kompetenzbereich. Für uns ist jedoch klar: Wir leben in einer Zeit, in der wir es uns nicht leisten können, hunderte Millionen Euro in Straßen zu investieren. Die Klimakrise ernst nehmen, heißt, nachhaltige Lösungen zu suchen und gar nicht daran zu denken, so weiterzumachen wie bisher und viel Verkehr mit mehr Straßen zu lösen. Unser „Gegenvorschlag“ wäre also: Mobilität in Feldkirch ganz neu denken, eine nachhaltige Lösung für Mensch und Klima suchen, den Straßentunnel vergessen.

WANN & WO: Auch zur geplanten S18 Bodensee-Schnellstraße habt ihr euch bereits geäußert. Welche Ideen hättet ihr hier?

Johannes Hartmann: Für die S18 gilt dasselbe wie in Feldkirch: Wir sind der Überzeugung, dass Verkehrslösungen im 21. Jahrhundert anders gedacht werden müssen. Experten für zukunftsfähige Mobilität sprechen sich beispielsweise für Lösungen auf der Schiene oder den Ausbau des öffentlichen Verkehrs aus.

WANN & WO: Die Coronapandemie bestimmt seit einem Dreivierteljahr die Berichterstattung. Siehst du die Klimaschutzthematik ausreichend präsent?

Johannes Hartmann: Die Klimakrise ist leider nicht ausreichend präsent, wenn sie auch nicht gänzlich vergessen wurde. Es gibt einen stärkeren Fokus auf das Thema  als noch vor ein paar Jahren und auch erste sinnvolle Maßnahmen. Allerdings geht es viel zu langsam, es wird auch immer wieder kontraproduktiv gehandelt. Kurz gesagt: Es tut sich was, aber viel zu wenig und viel zu langsam.

WANN & WO: Kürzlich wurde bekannt, dass der österreichische Kli­­­ma­­­­­­fonds ein Rekord-Förderbudget von 236 Millionen Euro erhält. Für Klimaschutz wurde noch nie so viel Geld ausgegeben wie heuer. Wie siehst du diese Investitionen?

Johannes Hartmann: Grundsätzlich ist es positiv zu sehen, dass die Investitionen in Klimaschutz verstärkt werden. Allerdings ist es auch allerhöchste Eisenbahn und noch bei Weitem nicht genug. Was auch nicht übersehen werden darf: Während einerseits in Klimaschutz investiert wird, werden andererseits Investitionen in Projekte wie Flughäfen oder Subventionen für fossile Brennstoffe getätigt, die dem Klimaschutz direkt entgegenwirken. Auf der einen Seite ein bisschen in Klimaschutz zu investieren, ist leider nicht genug, um die Klimakrise aufzuhalten. Die gesamten Investitionen, die getätigt werden, sollten an die Erreichung des 1,5-Grad– Zieles gebunden sein.

WANN & WO: Beim Klimaschutz – wie auch bei Corona – ignorieren zahlreiche Menschen Fakten und wissenschaftliche Ergebnisse. Was entgegnest du Klimaskeptikern und  Personen, die offensichtlich resistent gegen Fakten sind?

Johannes Hartmann: Ich finde es sehr traurig, dass über die Klimakrise oft nicht auf Basis der Fakten diskutiert werden kann. Es geht oftmals viel mehr um Emotionen und persönliche Ängste. Manche Menschen leugnen die Klimakrise gänzlich. Andere glauben, sie müssten sich verteidigen, weil wir ihnen etwas wegnehmen wollen. Das ist aber keinesfalls so. Wir kämpfen für eine nachhaltige Zukunft, in der alle Menschen gut leben können. Das, wovor wir wirklich Angst haben müssen, ist die ungebremste Klimakrise, wenn nicht bald endlich gehandelt wird.

WANN & WO: Die „Fridays“ verdanken ihren Namen den Schul­streiks fürs Klima. Die Schulen und Universitäten befinden sich aktuell aber aufgrund der Coronakrise in einer schwierigen Situation. Wie siehst du das Thema und welche Auswirkungen hat die aktuelle Situation auf die „Fridays“-Bewegung?

Johannes Hartmann: Die Schul­streiks sind, so wie sie alle kennen, momentan leider kaum möglich. Das ist natürlich sehr schade, weil die großen Streiks massiv dazu beitragen, dass unsere Anliegen ernst genommen werden. Wir haben uns in der Zwischenzeit jedoch andere Aktionsformen überlegt – wir sind zum Beispiel im Netz aktiv und setzen eher auf kleinere Aktionen zu bestimmten Themen. Wir haben aber glücklicherweise auch damit Erfolg. Es ist klar spürbar, dass für die Gesellschaft die Klimakrise weiterhin ein sehr wichtiges Thema ist.

WANN & WO: Abschließend: Du bist eigentlich Diplom-Krankenpfleger. Wie bist du zum Klimaschutz gekommen?

Johannes Hartmann: Ich habe zuerst lange versucht, möglichst nachhaltig zu leben und dann gesehen, dass das einfach nicht ausreichend ist. Ich habe bemerkt, dass es zur Bekämpfung der Klimakrise mehr braucht als meine Anstrengungen, ein klimafreundliches Leben zu führen. Es braucht Rahmenbedingungen, die klimafreundliches Handeln belohnen oder überhaupt erst ermöglichen. Momentan wird nachhaltiges Leben oft sogar bestraft: Es darf meiner Meinung nach nicht sein, dass ich beispielsweise billiger fliegen als Zug fahren kann oder klimaschädliche Produkte günstiger sind als klimafreundliche. Um daran was zu ändern, muss die Politik handeln. Und um die Politik zum Handeln zu bewegen, engagiere ich mich bei den „Fridays“.

Kurz gefragt

Bitte vervollständige folgenden Satz: Ich engagiere mich für Klimaschutz, weil ...?
... die Politik die Klimakrise immer noch nicht richtig ernst nimmt.

2020 war ...?
... und ist ein krasses Jahr.

Was machst du als erstes, wenn die Coronasituation unter Kontrolle ist?
Einen gemütlichen Abend mit guten Freunden verbringen. Oder auch mal wieder so richtig ausgehen.

Zur Person: Johannes Hartmann

  • Alter: 24 Jahre
  • Wohnort: Dornbirn
  • Beruf und Funktion: Dipl.-Krankenpfleger, Sprecher und Klimaaktivist „Fridays For Future“ Vorarlberg
  • Hobbys: Wandern, Freunde treffen, schreiben

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