AA

Wo Mitterlehner (nicht) recht hat

©APA/HANS KLAUS TECHT
Gastkommentar von Johannes Huber. Österreich entwickelt sich mehr denn je zu einer autoritären Demokratie. Doch ist sie jemals liberal gewesen? Nein.

Die Abrechnung, die der ehemalige Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner in seinem Buch „Haltung“ mit seinem Nachfolger Sebastian Kurz vornimmt, ist das eine. Nicht, dass sie inhaltlich widerlegbar wäre, sie stammt aber eben von einem persönlich Betroffenen und hat von daher einen gewissen Beigeschmack. Das andere ist der Blick in die Zukunft, den Mitterlehner wagt und der sehr düster ist: Österreich entwickle sich von einer liberalen zu einer autoritären Demokratie, warnt der 63-Jährige.

Tatsächlich? Die Entwicklungen sind besorgniserregend. Zunächst muss man jedoch einwenden, dass die Demokratie hierzulande nie liberal gewesen ist. Zu einer entsprechenden Einordnung ist es nützlich, eine Skala anzulegen. Sagen wir von 1, wie „liberale Demokratie“, bis 10, wie „autoritäre Demokratie“. In seinen besten Zeiten lag Österreich vielleicht bei zwei oder drei und bewegt sich nun in Richtung fünf oder sechs.

Reinhold Mitterlehner ist bis 2017 in der Politik gewesen. Schon unter ihm ist die Demokratie also nur eingeschränkt liberal gewesen. Warum? SPÖ und ÖVP haben in schlechter alter Tradition den Staat geführt. Weil sie keine Zweidrittelmehrheit mehr hatten, konnten sie die Verfassung zwar nicht mehr zurechtbiegen, soweit es ihnen möglich war und gefiel. Entscheidende Posten in allen Staatsgewalten haben sie aber streng nach Parteibuch vergeben. Die Medienpolitik, die mit Kritik, Kontrolle und Meinungsvielfalt wesentliche Elemente einer liberalen Demokratie fördern sollte, ließ zu wünschen übrig. Über die Zusammensetzung oberster Gremien ebendort wurde der ORF in die Nähe eines Staatssenders gerückt. Ganz zu schweigen von den millionenschweren Inseraten, die eher nur ein Element zur Unterstützung höfischer Berichterstattung ist. Und so weiter und so fort: Auch die Stellung der Kammern ist alles andere als Ausdruck einer liberalen Demokratie. Stichwort Pflichtmitgliedschaft. Oder Selbstverwaltung der Sozialversicherungen, die ihnen überlassen ist. Und um zu den Parteien zurückzukehren: Die (wohl) weltweit höchste Parteienförderung stärkt ÖVP, SPÖ, FPÖ und Co. so sehr, dass Bürgerinitiativen und dergleichen schon von daher einen Wettbewerbsnachteil haben.

Das vorweg. Was man Schwarz-Blau vorwerfen muss, ist nun, dass sie die Verhältnisse nicht verbessern, sondern nur noch mehr auf eine autoritäre Demokratie hin trimmen. Das liegt wohl auch an ihrem Wesen. Die ÖVP beispielsweise ist alles andere als eine offene Bewegung. Sie ist allein auf Sebastian Kurz ausgerichtet. Nicht einmal Minister und Abgeordnete an seiner Seite spielen eine Rolle. Eigene Meinung hat noch kaum einer von ihnen kundgetan. Absolute Unterordnung hat Vorrang.

Doch zur Regierungspolitik: Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) hat mit seinem Ausspruch, dass Recht der Politik zu folgen habe, kundgetan, dass er von Gewaltenteilung exakt null hält. Er will quasi Exekutive, Legislative und Judikative in einer Person sein. Medien werden noch stärker an die Kandare genommen. Laut der internationalen Organisation „Reporter ohne Grenzen“ hat sich die Pressefreiheit hierzulande alarmierend verschlechtert. Wobei ein Ende nicht abzusehen ist: Die FPÖ will die ORF-Gebühren abschaffen, ihr Stiftungsrat Norbert Steger möchte ihm nicht gefällige Korrespondenten streichen etc. Am Ende wäre der Staatsfunk unter diesen Umständen perfekt. Und weil weiter oben in diesem Text auch von anderen Politikbereichen die Rede war, seien sie hier wieder aufgegriffen: Postenbesetzungen laufen nach alten Mustern weiter, jetzt halt schwarz-blau. Und die Parteienförderung wird nicht gekürzt, sondern ab sofort jährlich automatisch erhöht – auf dass vom Volk her auch in Zukunft nichts aufkommen möge; die enormen Mittel, die nötig sind, um sich öffentlich Gehör zu verschaffen, bleiben ihm jedenfalls verwehrt.

Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik

  • VIENNA.AT
  • Johannes Huber
  • Wo Mitterlehner (nicht) recht hat
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen