Wo ist Van der Bellen?
Natürlich ist Alexander Van der Bellen nach wie vor Bundespräsident. Er übt sein Amt auch aus: Am Sonn-, der zugleich Nationalfeiertag ist, wird er anlässlich des traditionellen Tages der offenen Tür interessierte Bürgerinnen und Bürger in der Hofburg begrüßen. Am vergangenen Dienstag wiederum hat er Frank-Walter Steinmeier, seinen Kollegen aus Deutschland, empfangen.
Die beiden bekannten sich zu europäischer Kooperation in- und außerhalb der EU. Zumal mit den USA unter Donald Trump „ein alter Freund“ verloren gegangen sei.
Soll Österreich seinem Beitrag für ein solches Europa gerecht werden, darf sich Van der Bellen allerdings nicht länger zurückhalten, wie er es seit Bildung der schlafwandlerischen Regierung von Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) tut: Zu offensichtlich ist, dass der Weg von Herbert Kickl (FPÖ) an die Macht durch sie nur unter-, aber nicht abgebrochen ist.
Vor allem aufgrund der Schwächen von ÖVP und SPÖ werden der FPÖ, die er führt, in Umfragen durchschnittlich über 35 Prozent ausgewiesen - bei steigender Tendenz. Bei einem solchen Wahlergebnis würde sich die Volkspartei wohl geschlagen geben und ihn als Kanzler akzeptieren. Inhaltlich würde er es als solcher unter anderem auf eine Demontage der EU anlegen. Also auf das Gegenteil von dem, was der direkt gewählte Bundespräsident möchte.
Was könnte Van der Bellen machen? Er könnte Stocker und die übrigen Regierungsmitglieder zunächst hinter den Kulissen und dann allenfalls öffentlich drängen, endlich anzufangen, mit den Leuten zu reden, zu reden und noch einmal zu reden.
Es klingt banaler als es ist: 70, 80 Prozent der Österreicher haben laut einer aktuellen Statistik Austria-Erhebung das Gefühl, dass sie von der Politik nicht gehört werden und dass ihre Interessen nicht vertreten werden. Ähnlich viele dürften nicht verstehen, worauf Stocker und Co. hinauswollen, geschweige denn, überzeugt sein, dass sie es gut mit ihnen meinen.
Eine Mehrheit dürfte im Übrigen nicht nachvollziehen können, was sicherheits- und verteidigungspolitisch läuft. Viele klammern sich an überholte Neutralitätsvorstellungen und sehnen sich nach einer „Insel der Seligen“. Eigentlich logisch, dass Kickl da abräumt; unter anderem nämlich gezielt mit dem Versprechen, für eine solche Insel zu sorgen.
Umso bemerkenswerter ist, dass Van der Bellen das alles laufen lässt. Oder nützt er zum Beispiel die Gelegenheit, die sich mit der Ansprache zum Nationalfeiertag bietet, deutliche Worte zu wählen? Passend wäre es: Anlass für diesen Tag ist das Neutralitätsgesetz vom 26. Oktober 1955. Da könnte er sich zumindest diesem Thema widmen und eine kritische Auseinandersetzung mit der Neutralität eröffnen – am besten mit der Fragestellung, wie Sicherheit angesichts der Bedrohung, die von Russland ausgeht, gewährleistet werden kann.
Das wäre wichtig. Es wäre Voraussetzung dafür, dass die Regierung am Ende nicht über Dinge wie „Sky Shield“ oder die europäische Beistandsverpflichtung stolpert, die Österreich über den EU-Vertrag eingegangen ist – die aber kaum jemandem bekannt ist.
Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik