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Priv. Doz. Dr. Alexander Vonbank klärt über Risiken und Möglichkeiten auf.
Priv. Doz. Dr. Alexander Vonbank klärt über Risiken und Möglichkeiten auf. ©VOL.AT/Emilia Waanders/Philipp Steurer

"Wir bekommen täglich Anfragen" – Der Hype um die "Abnehmspritze"

Die "Abnehmspritze": Nachfrage in Vorarlberg so hoch wie nie – doch für wen ist sie geeignet?

Die Nachfrage ist enorm, die Wirkung mitunter spektakulär – und dennoch ist nicht jeder für die Therapie geeignet: In Vorarlberg wollen immer mehr Menschen mithilfe der sogenannten "Abnehmspritze" Gewicht verlieren. Doch wer erhält das Medikament tatsächlich? Wie wirkt es? Warum warnt Priv.-Doz. Dr. Alexander Vonbank eindringlich vor falschen Erwartungen? Und alles, was du über die Spritze wissen möchtest.

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Hohe Nachfrage: "Wir bekommen täglich Anfragen"

Die Nachfrage nach den „Abnehmspritzen“ ist in Vorarlberg in den vergangenen Jahren regelrecht explodiert. „Wir bekommen täglich Anfragen zur Therapie“, sagt Priv.-Doz. Dr. Alexander Vonbank, Leiter der Diabetes- und Stoffwechselambulanz am LKH Feldkirch. Die große mediale Aufmerksamkeit – insbesondere über soziale Netzwerke – habe zu einem sprunghaften Anstieg des Interesses geführt.

Laut Vonbank betreut die Ambulanz derzeit rund 500 bis 800 Patientinnen und Patienten im Bereich der Adipositas-Therapie. Hinzu kommen zahlreiche weitere in anderen Einrichtungen sowie im Bereich der Diabetologie. Die Zielgruppe sei breit gefächert – von 18 bis über 60 Jahren.

Diese Wirkstoffe in Österreich zugelassen

In Österreich sind derzeit drei Wirkstoffe für die medikamentöse Gewichtsreduktion erhältlich.

  • Liraglutid (Saxenda): tägliche Injektion
  • Semaglutid (Ozempic/Wegovy): wöchentliche Injektion oder neue tägliche Kapsel
  • Tirzepatid (Mounjaro): wöchentliche Injektion, stärkster Effekt laut Studien

Letzteres sei aktuell das „potenteste Mittel“, so Vonbank, mit den deutlichsten Effekten auf die Gewichtsreduktion.

Ozempic. ©Philipp Steurer

60 Kilogramm Gewicht verloren

Die Wirkung beruht auf einem Hormon namens GLP-1, das dem Gehirn ein Sättigungsgefühl signalisiert. Es senkt das Verlangen nach Nahrung, aktiviert den Stoffwechsel und führt so zur Gewichtsreduktion. "Ich habe Patienten, die über 60 Kilogramm abgenommen haben", berichtet Vonbank. Gleichzeitig betont er: "Die Substanzen allein führen nicht zum Ziel – es braucht immer begleitende Maßnahmen wie Ernährung und Bewegung."

Wer bekommt die Spritze – und wer nicht?

"Prinzipiell kann jeder zu uns kommen", erklärt Vonbank. Vor einer Therapie steht aber immer ein ausführliches Arztgespräch und ein Stoffwechsellabor. "Denn es gibt auch hormonelle oder metabolische Ursachen für Übergewicht, die ausgeschlossen werden müssen." Nur wer medizinisch geeignet ist, erhält die Behandlung.

Wichtig: Nicht alle, die gerne ein paar Kilos loswerden würden, kommen für die medikamentöse Therapie infrage. Menschen mit Normalgewicht, Untergewicht oder mit dem Wunsch, nur wenige Kilo abzunehmen, bekommen diese Medikamente nicht. "Es handelt sich um eine medizinische Therapie zur Behandlung von Adipositas oder Diabetes – nicht um ein Lifestyle-Mittel", stellt Vonbank klar.

Wegovy. ©Philipp Steurer

Ganz klar ausgeschlossen sind etwa auch schwangere Frauen oder Personen mit bestimmten Vorerkrankungen, wie etwa Gallensteinen oder einer Entzündung der Bauchspeicheldrüse. In solchen Fällen sei eine Therapie nicht nur ungeeignet, sondern mitunter sogar gefährlich.

"Diese Risikofaktoren müssen ärztlich abgeklärt werden, bevor eine Behandlung gestartet wird", betont Vonbank. Die medikamentöse Gewichtsabnahme sei nur Teil einer umfassenden, individuell abgestimmten Therapie – und kein Ersatz für eine gesunde Lebensweise.

Spritze oder Kapsel?

Neben den bekannten injizierbaren Präparaten ist seit Kurzem auch eine Kapsel mit dem Wirkstoff Semaglutid (bisher als Ozempic oder Wegovy bekannt) in Österreich verfügbar. Der Vorteil: keine Spritze. Doch der Schein trügt. "Die Kapsel muss täglich eingenommen werden, benötigt höhere Dosierungen und hat damit auch mehr Nebenwirkungen", erklärt Vonbank. Nur bei starker Spritzenangst sei sie eine echte Alternative – "sonst ist die einmal wöchentliche Spritze mit kleiner Nadel die bessere Lösung."

So viel kostet die "Abnehmspritze" monatlich

Ein großes Problem bleibt die fehlende Kostenübernahme durch die Krankenkassen, wenn es um Adipositas ohne Diabetes geht. "Für Diabetiker ist die Kostenübernahme kein Problem. Bei reiner Gewichtsreduktion gibt es derzeit keine Erstattung – außer in Ausnahmefällen vor bariatrischen Operationen", erklärt Vonbank.

Bariatrische Operation – Begriff erklärt

Begriff erklärt

Bariatrische Operation

Eine bariatrische Operation ist ein chirurgischer Eingriff zur Behandlung von krankhafter Fettleibigkeit. Ziel ist es, das Körpergewicht nachhaltig zu reduzieren – etwa durch eine Verkleinerung des Magens oder eine Umleitung des Verdauungstrakts.

  • Schlauchmagen: Ein großer Teil des Magens wird entfernt.
  • Magenbypass: Magenverkleinerung mit Dünndarmumleitung.
  • Magenband: Ein verstellbares Band verkleinert den Mageneingang.

Diese Eingriffe helfen, Folgekrankheiten wie Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck oder Schlafapnoe zu verbessern.

Das bedeutet: Wer abnehmen möchte, muss tief in die Tasche greifen. Die monatlichen Kosten liegen je nach Präparat und Dosierung zwischen 200 und über 500 Euro pro Monat – eine Hürde, die viele Interessierte abschreckt.

"Bei Frauen bessere Therapieerfolge"

Der Gewichtsverlust erfolgt bei korrekter Anwendung meist kontinuierlich über Monate hinweg. Im Schnitt verlieren Patienten innerhalb von sechs bis zwölf Monaten etwa 10 bis 20 Kilogramm. Was danach passiert, ist individuell verschieden: "Ein Drittel meiner Patienten hält das Gewicht dauerhaft, ein Drittel nimmt wieder leicht zu. Daher könnte künftig eine Intervalltherapie sinnvoll sein", so Vonbank. Manche Hersteller sprechen zwar von einer lebenslangen Anwendung – Vonbank sieht das jedoch kritisch. Darüber hinaus zeigt die Erfahrung in der Praxis: "Bei Frauen erzielen wir in der Regel bessere Therapieerfolge als bei Männern."

Adipositas soll als chronische Krankheit ernst genommen werden

Besorgt zeigt sich der Facharzt über den unkontrollierten Einsatz der Medikamente: "Es handelt sich um ein Medikament – es braucht ärztliche Abklärung und Begleitung. Einfach drauflos spritzen ist fahrlässig."

Zudem fordert Vonbank eine breite gesellschaftliche Diskussion über den Umgang mit Adipositas: "Wir müssen darüber sprechen, ob eine Kostenübernahme nicht langfristig sogar Folgekosten durch Folgeerkrankungen einsparen könnte." Die Weltgesundheitsorganisation prognostiziert, dass bis 2040 rund 50 Prozent der Bevölkerung übergewichtig sein werden – ein klarer Handlungsauftrag für Politik und Gesundheitswesen.

Priv. Doz. Dr. Alexander Vonbank, PhD, MBA. ©VOL.AT/Emilia Waanders

"Adipositas ist eine chronische Erkrankung mit schweren Folgeerkrankungen. Sie muss endlich auch als solche anerkannt und entsprechend behandelt werden", betont er.

"Kein Wundermittel"

Trotz aller Risiken und Kosten bleibt die neue Medikamentenklasse aus medizinischer Sicht ein Durchbruch: "Es ist definitiv eine Innovation. Noch nie hatten wir solche Erfolge bei gleichzeitig überschaubaren Nebenwirkungen", bilanziert Vonbank. Doch er warnt auch: "Die Spritze ist kein Wundermittel. Veränderung des Lebensstils und ärztliche Begleitung während der Einnahme sind notwendig."

Video: Dr. Alexander Vonbank klärt auf

(VOL.AT)

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