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Wiener Pionier-Galerist John Sailer wird 80

Der Galerist feiert seinen 80. Geburtstag.
Der Galerist feiert seinen 80. Geburtstag. ©APA/GEORG HOCHMUTH
Der Wiener Galerist John Sailer feiert am 30. November seinen 80. Geburtstag. Sailer knüpfte in seinem Leben Kontakte zu Berühmtheiten wie den Malern Wolfgang Hollegha, Josef Mikl, Markus Prachensky, Arnulf Rainer und Friedensreich Hundertwasser. Anfang der 1960er Jahre stieg er in den Kunsthandel ein und gründete 1974 seine eigene Galerie.

“Die zweite Hälfte der 50er-Jahre und die ersten drei, vier Jahre der 60er – das war die tollste Zeit”, sagt John Sailer. Wer den Wiener Galeristen, der am 30. November seinen 80.Geburtstag feiert, bittet, aus seinem Leben zu erzählen, der bekommt eine Fülle von Geschichten zu hören, in der die Entwicklung der heimischen Kunstszene anschaulich Gestalt annimmt und Zeitgeschichte lebendig wird. In seiner Dachwohnung am Opernring, die Sailer Anfang der 1960er als Pionier des Dachbodenausbaus selbst entwarf, sitzt der Wiener in einem weißen Fauteuil vor drei Objekten, die paradigmatisch für sein Leben stehen. Hinter ihm hängt ein großformatiges Gemälde von Markus Prachensky, einer jener Künstler, die das Wiener Kunstleben der 50er-Jahre geprägt und ihn seither begleitet haben. Neben ihm befindet sich die James Joyce gewidmete Abteilung seiner Bibliothek: Dessen Roman “Ulysses” geriet in der paranoiden und restriktiven McCarthy-Ära so sehr in Verruf, dass er auch aus der Bücherei des Wiener Amerikahauses verbannt wurde. Das erregte das Interesse des jungen John Sailer. “Ulysses” wurde sein Lieblingsbuch – und zum Namensgeber für seine 1974 gegründete Galerie. Und schließlich hat noch ein Schiffsmodell einen Ehrenplatz an der Wand. Es ist der Miniatur-Nachbau der “Nea Hellas”.

Flucht mit der Familie in die USA

Mit diesem Ozeandampfer, eines der letzten Schiffe, die Europa verließen, gelang nicht nur dem noch nicht Dreijährigen gemeinsam mit seinen Eltern die Flucht von Lissabon nach New York. Unter den fast 700 Passagieren waren rund 280 “important intellectuals”, die in den USA Visa bekommen hatten, darunter Heinrich und Golo Mann, Alfred Polgar, Franz Werfel und Alma Mahler-Werfel. Herbert Lackner erzählt in seinem neuen Buch “Die Flucht der Dichter und Denker” von dieser Überfahrt, aber auch von der abenteuerlichen Vorgeschichte: Sailers sozialdemokratische Eltern mussten beim “Anschluss” im März 1938 Hals über Kopf das Land verlassen – ohne ihren wenige Monate alten Sohn, den sie zunächst in Obhut von Freunden zurückließen, der aber glücklich ebenfalls außer Landes gebracht werden konnte und in Frankreich zu seinen Eltern stieß.

Sailer kehrte 1974 nach Wien zurück

John Sailer wuchs zunächst englischsprachig in den USA auf – quasi als native American, der auch bei der Rückkehr 1947 nach Wien als einziger der Familie mit einem Rückkehr-Visum ausgestattet war. “Ich fand das spannend und aufregend”, erinnert sich Sailer. Dass er aus dem vergleichsweise reichen Amerika in das schwer unter den Kriegsfolgen leidende Österreich kam, wurde durch die Tatsache abgemildert, dass er sich mit seinem Englisch problemlos im Umfeld der britischen und amerikanischen Besatzungsmächte bewegen konnte – die Mitbenützung von Einrichtungen wie einem Schwimmbad in Schönbrunn und zwei Kinos inklusive. “Ich habe mich als Glückskind gefühlt und konnte mich problemlos in zwei Kulturen bewegen.”

Erste Kontakte Sailers mit der Kunstszene

Erstmals mit der Kunstszene in Berührung kam der junge Mann beim Autostoppen nach Italien, als er auf den für die US-Army tätigen Fotografen Yoichi Okamoto, den späteren offizielle Fotografen von US-Präsident Lyndon B. Johnson, traf und von ihm erste Einladungen zu Galerie-Ausstellungen erhielt. Der selbst begeistert fotografierende Schüler wurde regelmäßiger Gast in der Galerie Würthle und der Galerie nächst St. Stephan und frequentierte Künstlerlokale wie die Adebar. “Das wurde prägend für mich – und wirkte sich nicht sehr positiv auf meine Noten aus”, erzählt Sailer schmunzelnd.

Kontakte zu österreichischen Künstlern

Statt sich auf sein Jusstudium zu konzentrieren, das er nach der Matura begann, knüpfte er Kontakte, zu der Gruppe von Künstlern, deren spätere Berühmtheit noch nicht absehbar war: die Exponenten der Wiener Gruppe rund um H. C. Artmann, Konrad Bayer und Gerhard Rühm, die Architekten Hans Hollein, Friedrich Kurrent, Johannes Spalt und Ottokar Uhl, der Filmemacher Peter Kubelka, die Maler Wolfgang Hollegha, Josef Mikl, Markus Prachensky, Arnulf Rainer, Friedensreich Hundertwasser und Maria Lassnig, die Bildhauer Walter Pichler und Bruno Gironcoli… “Das war eine eingeschworene Gemeinschaft, und ich hatte das große Glück, dazuzugehören. Damals konnte man erleben, wie die Avantgarde wirklich der Zeit voraus war, wie man Neuland kreiert hat. Keiner der Künstler hat damals von Geld gesprochen – im Gegensatz zu heute.”

Erste Ausstellung im Palais Liechtenstein in Wien

Auch Sailers Einstieg in den Kunsthandel klingt abenteuerlich und unglaublich: Als 1963 bei einer wienweiten Dachbodenentrümpelungsaktion auch Bugholz-Sessel auf den Straßen zum Abtransport warteten, erinnerte sich der kunstinteressierte junge Mann an Kataloge der Firma Thonet. Rasch organisierte er ein flächendeckendes System zur Auffindung und Lagerung der Thonet-Sessel, verfügte bald über eine Sammlung von einigen hundert Stück und organisierte im Palais Liechtenstein eine erste Ausstellung, die in der Folge weiter nach Deutschland, Skandinavien, London und die USA ging. “Überall wurde ich zur Eröffnung eingeladen und lernte die wichtigsten Museumsdirektoren, Kuratoren und Sammler kennen. Das war der Grundstock meiner Kunsthandels-Tätigkeit. Zurück in Europa habe ich dann immer, wenn ich ein Bild gefunden habe, das in eine bestimmte US-Sammlung gepasst hätte, den Kontakt hergestellt und die Bilder nach Chicago oder New York verschifft.”

Eigene Galerie im Jahr 1974

Nachdem Sailers US-Kontakte durch seine Tätigkeit für das “Salzburg Seminar in American Studies” noch intensiviert wurden, wagte er 1974 schließlich die Gründung einer eigenen Galerie. “Fritz Wotruba hat damals eine halbe Stunde auf mich eingeredet: Mach das nicht! Aber am Ende hat er gesagt: Wenn du’s aber machst, dann bin ich dabei. Damit war für mich alles klar. Die erste Einzelausstellung war dann ihm gewidmet.” Erstes Quartier waren Garagenräume im Hanuschhof, die vom damaligen Bundestheater-Generalsekretär Robert Jungbluth leihweise zur Verfügung gestellt wurden. 1977 übersiedelte die Galerie an den Opernring, bereits mit Gabriele Wimmer als Geschäftspartnerin.

Sailer blieb mit Wien verwurzelt

Sailer wurde in der Folge erster Präsident des Verbandes österreichischer Galerien moderner Kunst, Österreich-Repräsentant im International Advisory Board der Basler Kunstmesse und Berater der österreichischen Bundesregierung bei der Reorganisation der Bundesmuseen und dem Ankauf der Sammlungen Ludwig und Hahn für das Museum Moderner Kunst. 1989 übersiedelte er nach New York, wo er u.a. die Ulysses Gallery New York gründete und eine Arnulf Rainer-Ausstellung im Guggenheim Museum organisierte. “Ich habe gefunden, dass ich in Wien alles erreicht habe, was ich erreichen konnte. Es war eine hoch interessante, aufregende Zeit.” Doch letztlich blieb Sailer in Wien verwurzelt und verbrachte einen Gutteil seiner Zeit mit Transatlantikflügen. “Ich habe fünf Jahre im permanenten Jetlag gelebt.” 1994 kehrte er endgültig nach Wien zurück.

Sailer für eigenes Architekturmuseum in Wien

Was denkt John Sailer, dessen Expertise in den vergangenen Jahren immer wieder auch von heimischen Ministerinnen und Ministern gefragt war, heute über die Struktur der österreichischen Bundesmuseen? Nur zögerlich lässt er sich zu einigen Aussagen bewegen. Die 1996 unter seiner Mithilfe gegründete Friedrich Kiesler Stiftung sollte einem Museum (etwa dem MAK) angegliedert werden, auch das zuletzt diskutierte Fotomuseum könnte seiner Meinung nach Teil eines bestehenden Museums – MAK oder Albertina – werden. “Dagegen würde ich ein eigenes Architekturmuseum schaffen”, meint Sailer.

Galerist gegen Staatskunst

Zwar hält er manche programmatischen Überschreitungen der Kernaufgaben für “einen Unfug”, einen stärkeren koordinierenden staatlichen Zugriff auf die einzelnen Häuser dennoch für problematisch. “Im Prinzip bin ich dagegen, dass der Staat den Museen sagt, was Kunst ist. Staatskunst lehne ich strikt ab.”

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