Untersucht wurden sowohl städtische Einrichtungen als auch andere private oder konfessionelle Heime, in die vom Wiener Jugendamt regelmäßig Kindern geschickt wurden. Im Folgenden eine zusammenfassende Darstellung, beruhend vor allem auf Berichten ehemaliger Heimkinder. In diesen, so hieß es, sei das Leid an der “lieblosen, menschenverachtenden und gewaltsamen Erziehung” in den Wiener Kinderheimen ausgedrückt worden.
Leben wie im Gefängnis
Die Leben dort war völlig durchorganisiert – mit Zugriff auf alle Tätigkeiten, die im alltäglichen Zusammenleben der “Gruppe” anfallen: Körperpflege, Mahlzeit, Notdurft, Schlafen, Bettenbauen, Spaziergang, Lernen, Spielen, Schulunterricht, Freizeit. “Wie in anderen totalitären Institutionen führte die Notwendigkeit, alle Lebenstätigkeiten der Gruppe zu kontrollieren, zu Anordnungen und Geboten, die gar nicht vollständig eingehalten werden konnten”, heißt es in dem Bericht. Übertretungen seien nicht zu vermeiden gewesen: “So führte die strikte Regel, das WC nur in der ‘großen Pause’ aufzusuchen, bei Kindern, die ihre Körperfunktionen (tlw. infolge diverser Verängstigungen) noch nicht vollständig kontrollieren konnten, zum Hosennässen.”
Wasser teilweise aus dem Klo getrunken
“Das Verbot, ab mittags Wasser zu trinken, um das nächtliche Bettnässen zu unterbinden, zwang die Durst leidenden Kinder, heimlich Wasser zu trinken, und sei es aus der Klomuschel. Das Verbot, bei der gemeinsamen Gruppen-Mahlzeit oder abends im Schlafsaal zu kommunizieren, erzeugte zwangsläufig heimliches Tuscheln. Das Gebot, das zugeteilte Essen aufzuessen, führte zum verbotenen Erbrechen, das ein neuerliches Gebot, das Erbrochene aufzuessen, nach sich zog. Jeder Regelverstoß wurde, sofern er von einem Erzieher bzw. einer Erzieherin beobachtet wurde, umgehend bestraft. Die Strafe richtete sich auf die Gruppe oder auf den Einzelnen, der vor den Augen der Gruppe bestraft wurde.”
So gut wie jede Strafe enthielt demnach physische und psychische Gewalt. In einigen Fällen verband sich das Strafen überdies mit sexualisierter Gewalt. Das Repertoire umfasste unter anderem:
- die Zufügung von physischen und psychischen Schmerzen,
darunter das mehrmalige Eintauchen des Kopfes in die Klomuschel,
das Zerschlagen des Gesichts, das Hinunterstoßen über Treppen,
das Verrenken eines Unterarmes, das Würgen mittels eines um den
Hals gelegten nassen Handtuchs - die schwere Verprügelung mit Reitgerten, ledernen Hosengürteln,
Ochsenziemern, Linealen und Holzschlapfen - die Duldung oder Provozierung einer Art Selbst-Justiz in den
Kinder- und Jugendgruppen sowie die Disziplinierung, tlw. auch
Quälung und Misshandlung von jüngeren oder körperlich schwächeren
Kindern durch stärkere Kinder und Jugendliche - psychische Gewalt, darunter das systematische Verächtlichmachen,
Herabwürdigen, Sarkasmus und Zynismus, in einzelnen Fällen
die Zufügung von Todesängsten. - soziale Gewalt, etwa die Einschränkung der Kommunikation im
Schlafsaal oder bei Tisch (Redeverbot), die Einschränkung von
Besuchen, die oft willkürliche Untersagung von Ausgängen zu Eltern
und Verwandten - materielle Gewalt, wie die Ausbeutung der Arbeitskraft der Kinder
und Jugendlichen im Anstaltshaushalt, die Einbehaltung von
persönlichem Eigentum von Heimkindern durch Erzieher - sexualisierte Gewalt, die vorgeblich in erzieherischer Absicht
durch weltliche und geistliche Erzieher ausgeübt wurde. Darunter
das Antretenlassen der Buben, um den Penis “zu prüfen” oder die
Inspektion von Vagina und After bei Mädchen bzw. Schläge auf die
Vagina mit einem Besenstil (im Heim der “Kreuzschwestern” in
Laxenburg) - Esszwang, also den mit Drohungen einhergehenden Zwang, das oft
nicht kindgerechte (zu fette) Essen zur Gänze aufessen und in der
Folge mehrfach Erbrochenes neuerlich aufessen zu müssen.(APA)