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Wiener Festwochen zeigen "Die Neger": Debatte um Rassismus und Kunst

Debatte um Festwochen-Stück "Die Neger".
Debatte um Festwochen-Stück "Die Neger". ©Julian Röder / JU Ostkreuz
Mit der Produktion von Jean Genets "Die Neger" durch Regisseur Johan Simons haben die Wiener Festwochen im Vorfeld eine vielschichtige Rassismus-Debatte ausgelöst. Stand zunächst die bewusste Verwendung des "N-Worts" im Fokus, lösten in weiterer Folge auch die Blackface-Motive in der Ankündigung des Stücks Proteste aus.
Wirbel um "Die Neger"
"Schande für die Politik"
"Negerkonglomerat"-Sager
Vergleich mit Drittem Reich

In die Kritik (“Rassismus!”) mischt sich aber auch breite Unterstützung (“Künstlerische Freiheit!”). In den vergangenen Wochen haben sich zahlreiche Experten mit unterschiedlichen Sichtweisen zu Wort gemeldet.

Die Schauspielerin Lara-Sophie Milagro brachte das Dilemma in der Theaterzeitschrift “gift” auf den Punkt: “Es gilt also Freiheiten und Rechte gegeneinander abzuwägen, zum Beispiel das Recht auf künstlerische Freiheit gegen den ebenfalls im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgrundsatz und das darin enthaltene Diskriminierungsverbot.”

Debatte um “Die Neger”

Auch der Kultursprecher der Wiener Grünen, Klaus Werner-Lobo, findet es “bedauerlich”, dass die Festwochen sowohl auf dem Titel als auch dem Blackface beharrt hätten, wie er meint. Während die Festwochen früher – “man denke an Schlingensief” – kritisch provoziert hätten, habe man sich im Jahr 2014 einer Diskussion ausgesetzt, die von der reaktionären Auslegung von Kulturbegriffen geprägt sei. Er hält jedoch fest, dass es sich hierbei “überhaupt nicht um Kritik am Stück handelt”. Dieses habe “tatsächlich einen sehr stark antirassistischen Charakter”.

Fakt ist, dass die in Genets Unterdrückten-Satire auftretenden Charaktere – bis auf eine Ausnahme – von weißen Schauspielern dargestellt werden, die – wenn schon nicht schwarz geschminkt – mit Masken auftreten sollen. Im Programmheft wurde das Stück mit einem Foto des Schweizer Künstlers Olaf Breuning angekündigt, das vier schwarz angemalte Frauen mit jeweils bunt ausgemalten Augenhöhlen und Mündern zeigt. Blackfacing – in welcher Intention auch immer – gilt jedoch als “diskriminierende, (neo)koloniale Praxis”, wie auch der Wiener Verein Pamoja in seiner Facebook-Petition “Schwarze Menschen in Europa gegen Aufführung des Theaterstücks ‘Die N****’ von Johan Simons” unterstrich.

“Political Correctness auf der Bühne”

Die von Simons vorgeschlagene Titeländerung in “Die Weißen” scheiterte am Veto des Übersetzers Peter Stein. Und so haben die Wiener Festwochen zwar am Titel festgehalten, setzten jedoch aufgrund der Proteste Publikumsgespräche nach jeder Vorstellung sowie ein Salongespräch an: Unter dem Titel “Political Correctness auf der Bühne. Der Zeit ihre Kunst. Der Kunst ihre Freiheit” diskutieren am letzten Aufführungstag (7. Juni, 11 Uhr) unter anderem Johan Simons, IG Autoren-Chef Gerhard Ruiss oder der Schriftsteller Franz Schuh im Festwochen-Zentrum im Künstlerhaus.

Zu Wort kommen an diesem Abend sicherlich auch die Verteidiger der Produktion. Die IG Autorinnen Autoren hatten bereits im März erklärt: “Das blindwütige Hinschlagen auf Texte und Inhalte, die sich künstlerisch mit konfliktbeladenen Themen beschäftigen, im Namen einer zur Hysterie abgedrifteten ‘political correctness’, die wütet, ohne sich auf den Kontext einzulassen, macht das kulturelle Miteinander, die seriöse Auseinandersetzung mit Rassismus nicht einfacher, ganz im Gegenteil, sie wird verhindert.”

Wiener Festwochen und “Aufgabe der Kunst”

Auch prominente Schriftsteller wie Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, Peter Turrini oder Gerhard Roth setzten sich in Statements gegenüber dem Nachrichtenmagazin “News” für die Aufführung ein. “Genet und Simons Rassismus zu unterstellen, wäre vollkommen absurd. Sie entlarven Rassismus, und das ist auch die Aufgabe der Kunst”, so Jelinek.

“Lasst die Finger von den Kunstwerken, die auch Zeitzeugen sind”, meinte auch Peter Stein, der das Stück ins Deutsche übertragen hat und dem Genet einst selbst die Genehmigung erteilt hatte, das Stück in Steins Berliner Inszenierung mit Weißen zu spielen. Solidarisch mit den Protesten zeigte sich wiederum Doron Rabinovici, der gegenüber “News” einmahnte: “Man kann nicht so tun, als wäre man gegen Rassismus, ohne auf jene Rücksicht zu nehmen, die die ersten Opfer von Rassismus sind”, so der Autor. “Es geht nicht um Political Correctness! Es geht um jene Solidarität, die das Stück eigentlich für sich beansprucht.” Positionen, die bereits angesichts der Debatte rund um die Verwendung von rassistischen Begriffen in Kinderbuch-Klassikern die Gemüter erregten.

Wirbel um Mölzer-Sager

Dem “unerschütterlichen Glauben, um rassistisch zu denken und zu handeln, bedürfe es eines bösartigen und vor allem bewusst gefassten Entschlusses”, widerspricht Milagro jedenfalls vehement. Dass Rassismus fernab des Theaters Konsequenzen hat, zeigte zuletzt der Fall des FPÖ-Spitzenkandidaten für die EU-Wahl, Andreas Mölzer, der nach seinem “Negerkonglomerat”-Sager sowie einem rassistischen Kommentar über den Fußballstar David Alaba nicht zur Wahl antreten durfte.

(APA)

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