Wien ist vom britischen „Economist“ vor ein paar Wochen einmal mehr zur lebenswertesten Stadt der Welt erklärt worden. Gut möglich, dass das Wirtschaftsmagazin auch heute zu diesem Ergebnis kommen würde. Wer Geld hat, kann es sich noch immer besser richten als in den meisten anderen Metropolen der Welt. Der bekommt nichts mit von dem, was gerade Schlagzeilen macht: Bandenkriege zwischen Gruppen syrischer und tschetschenischer Jugendlicher in Parks, eine Schießerei und gewalttätige Vorfälle im Drogenmilieu auf dem Yppenplatz etwa.
Bürgermeister Michael Ludwig reagiert darauf. Er fordert, ganz Wien zu einer Waffenverbotszone zu erklären, will mehr Polizistinnen und Polizisten für die Stadt. Dem Sozialdemokraten ist klar, was von diesen Ereignissen ausgehen könnte: Nicht nur unmittelbar logische Verunsicherung an einschlägigen Orten, die im schlimmsten Fall dazu führt, dass sie gemieden werden und verkommen. Sondern Angst und Sorge in weiten Teilen der Bevölkerung darüber hinaus, ob im wohlhabenden Grinzing oder in betuchten Hietzing.
Die Stadt würde da und dort viel weniger lebenswert werden und die politische Stimmung kippen: Wenige Jugendliche, die mit Waffen unterwegs sind und frei nach dem Faustrecht agieren, hätten es geschafft, Zuwanderung insgesamt in Verruf zu bringen; hunderttausende Beispiele erfolgreicher Integration vergessen zu lassen und den Eindruck zu erwecken, die Integrationspolitik habe komplett versagt.
Das Ergebnis wäre klar: Die Sozialdemokratie würde verlieren, Kräfte, die Migration ablehnend bis distanziert gegenüberstehen, würden gestärkt werden. Damit gemeint sind die FPÖ, in gewisser Weise aber auch die türkise ÖVP, die sich bemüht, Herbert Kickl zu kopieren.
Ob es Ludwig gelingen kann, sich und seine Partei zu retten? Es ist schwierig für ihn. Gut die Hälfte der Bevölkerung der Stadt war schon bisher der Ansicht, dass es zu viel Zuwanderung gebe und dass das Zusammenleben mit Zugewanderten nicht gut funktioniere. Diese Leute werden sich jetzt bestätigt fühlen. Auch wenn Ludwig wie erwähnt in Aktion getreten ist.
Sein Problem ist, dass er hängen gelassen wird. Gezielt: Freiheitliche lehnen ein generelles Waffenverbot ab. Und Türkise sagen ihm sinngemäß, dass er an den Entwicklungen selber schuld sei: Mit einer höheren Mindestsicherung bzw. Sozialhilfe als in den Bundesländern habe er eine ausufernde Willkommenspolitik betrieben, meint ÖVP-Integrationsministerin Susanne Raab.
So wird das nichts. Hier regiert Schadenfreude. Gerade auch im Hinblick auf die Nationalratswahl besteht null Bereitschaft, sich gemeinsam um Lösungen zu bemühen. Was wäre möglich? Kurzfristig: Aufstockung der Sicherheitskräfte in der Stadt und, ja, der Streetwork, die genauer hinschaut, was ist und was vorsorglich getan werden könnte.
Längerfristig: Eine unmissverständliche Willkommenspolitik. Keine böswillige, wie sie von Raab vertreten wird, bei der es ausschließlich darum geht, zu zeigen, dass man mittellosen Migranten, die man hier leben lässt, möglichst nichts gibt, sodass ein Abrutschen ins Verbrecherische fast schon logisch ist. Stattdessen gefragt wäre ein Fördern und Fordern mit der Botschaft an Zuwanderer, die es brauchen, dass sie Hilfe und eine Chance bekommen, aber auch Pflichten haben. Punkt.
Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik