"Wien darf nicht Budapest werden": Europas Liberale warnen vor "Orbanisierung"

Sie hoffen auf die Fortsetzung einer pro-europäischen Mehrheit im EU-Parlament mit Konservativen und Sozialdemokraten nach den Europawahlen im kommenden Jahr, wie der Vorsitzende der liberalen Fraktion "Renew Europe", Stéphane Séjourné, am Dienstag bei einem Treffen der liberalen Europaabgeordneten in Wien sagte. "Wien darf nicht Budapest werden", warnte NEOS-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger.
"Renew Europe" gegen Zusammenarbeit mit Rechtsaußenparteien
Eine Zusammenarbeit mit den Rechtsaußenparteien wäre mit "Renew Europe" unvereinbar, betonte Séjourné in Hinblick auf entsprechende Überlegungen in der Europäischen Volkspartei (EVP). Die Linke wiederum fühle sich von Wirtschaftspopulismus angezogen. "Die politische Mitte Europas muss standhalten, denn sie steht unter Druck", heißt es in einer "Wiener Erklärung" der liberalen Fraktion. "Wir lehnen eine Annäherung an die extreme Rechte und die extreme Linke ab. Wir lehnen die Zusammenarbeit mit antieuropäischen Parteien jetzt und nach den Wahlen 2024 ab."
"Wir haben ein wenig die Sorge, dass auch in Österreich die Verführung der Orbanisierung gegeben ist, nicht nur wie wir im Ibiza-Video gesehen haben, sondern auch was die nationale Politik der letzten Monate angeht", sagte Meinl-Reisinger. Sie nannte Treffen von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) mit dem ungarischen Premier Viktor Orbán und Serbiens Staatschef Aleksandar Vučić und das "bedauerliche Veto" Österreich gegen den Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens.
Meinl-Reisinger: Österreich braucht Mehrheiten in der Mitte
In Österreich zeige sich das Wettern gegen die Eliten als Einsatz für "Normaldenker", so die NEOS-Chefin. Gleichzeitig halte sie auch für problematisch, dass auch auf linker Seite der Populismus gegen "die Reichen" stärker werde. Europa müsse aber eine ökologische Energiewende schaffen und sich in kurzer Zeit geopolitisch neu aufstellen. Dabei wäre es für Österreich entscheidend, Mehrheiten in der Mitte zu suchen. Die Volkspartei müsse nicht mit einer anti-europäischen Partei der extremen Rechten wie der FPÖ zusammenarbeiten.
Wien als Ort des liberalen Treffens sei ein gutes Signal, betonte auch der Vorsitzende der mit 101 Abgeordneten drittgrößten Fraktion im Europaparlament. "Österreich ist fundamental in Europa verankert, und wir brauchen es."
Auch Beziehungen zu Russland Themen bei liberalem Treffen
Sie habe auch große Sorge, dass in Österreich die Unterstützung der Ukraine nachlasse, was dem Kalkül des russischen Präsidenten Wladimir Putin entspreche, so Meinl-Reisinger. Themen des liberalen Treffens seien auch die starken Beziehungen Österreichs zum Kreml gewesen. Auch Séjourné forderte eine klare weitere finanzielle und militärische Unterstützung der Ukraine durch die Europäer. Über Friedensverhandlungen müsse die Ukraine selbst entscheiden, der Moment dafür sei aber nicht jetzt.
Für den Kreml seien die bevorstehenden Europawahlen "ein Schlüssel", sagte der liberale Fraktionsvorsitzende. Die USA hätten eine kohärente Haltung zur Ukraine gezeigt, Putin setze daher auf eine Beeinflussung Europas. Die EU müsse ihre Bemühungen verstärken, um eine Einmischung durch Russland zu verhindern. "Es kann uns nicht egal sein in Österreich, wenn wir von der internationalen Presse als Putins nützliche Idioten angesehen werden", sagte Meinl-Reisinger. Es sei unerträglich, dass in Österreich nicht stärker über den Einfluss Russlands debattiert werde.
Frage zu Spitzenkandidatensystem bei Liberalen noch nicht geklärt
In der Frage des Spitzenkandidatensystem, welches eine demokratische Mitbestimmung des nächsten EU-Kommissionspräsidenten über die Europawahl vorsieht, legt sich "Renew Europe" noch nicht fest. Séjourné zufolge läuft die Diskussion unter den Liberalen noch. Der Fraktionschef nannte zwei mögliche Optionen für Spitzenkandidaten: So könnten Kandidaten für alle EU-Institutionen benannt werden oder nur für die EU-Kommission. Eine Entscheidung der Liberalen soll bei einem Treffen im Jänner fallen.
Séjourné ist ein Vertrauter und früherer enger Mitarbeiter des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, dessen Bewegung mit Abstand die größte nationale Delegation innerhalb der "Renew Europe"-Fraktion im Europaparlament stellt. Macron hatte nach der Europawahl 2019 das Spitzenkandidatensystem nicht anerkennen wollen und so Ursula von der Leyen anstelle des EVP-Kandidaten Manfred Weber an der Spitze der EU-Kommission durchgesetzt. Die EU-Liberalen erhielten damals den Posten des EU-Ratspräsidenten, der 2024 ebenfalls neu vergeben wird, weil Amtsinhaber Charles Michel nach zwei Amtszeiten nicht noch einmal kandidieren darf.
(APA/Red)