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"West Side Story", die zweite

Gerade an einem Premierenabend richtet sich der Blick gerne zum Himmel. Und nach einigen verregneten Proben schien die untergehende Sonne mit dem Light Design konkurrieren zu wollen.

Letztlich geht es bei der Wiederaufnahme einer so erfolgreichen Produktion wie jene mit dem berühmten Bernstein-Werk darum, abzuklären, wo was verändert wurde. Und da ist einmal das Light-Design (James F. Ingalls), durch das die Bühnen-skulptur, jener Wolkenkratzer von George Tsypin, der die Defizite in einer Wohlstandsgesellschaft symbolisiert, deutlicher akzentuiert wurde. Einzelne Spielebenen wurden stärker hervorgehoben, um den Blick der Zuschauer intensiver auf das Geschehen zu lenken. (Dass Tsypin keineswegs vom Anschlag des 11. Septembers inspiriert war, wurde schon im Vorjahr geklärt. Der Bühnenentwurf entstand viel früher.) Dem Choreographen kommt das ebenso entgegen wie den Akteuren. Richard Wherlock ist ein Künstler, der jede Faser seiner Tänzer zu aktivieren versteht. Auch dann, wenn sie zu eher großen Bewegungen gezwungen sind. Der Freiheitsdrang der Shark-Mädchen kommt ebenso kraftvoll daher wie die Verteidigungshaltung der Jets und bei den Liebesszenen setzt man auf Romantik pur. Sogar in doppelter Auflage, denn wenn sich Tony, der Amerikaner, und Maria, die Puertoricanerin, eine schönere Welt ohne Rassenhass erträumen, tanzt ein zweites Pärchen mit.

Nicht härter
Regisseurin Francesca Zambello hat die berühmte Liebesgeschichte schon im Vorjahr nur dahingehend aktualisiert, dass sich jene Gesellschaft, die dafür sorgt, dass sich zwischen den beiden Jugendgangs derart tiefe Gräben auftun, als die Generation der teilnahmslosen Geschäftemacher entlarvt. Den Zynismus haben schon die Urheber vorgegeben. Die “West Side Story” kommt etwa 40 Jahre nach ihrer Uraufführung und nachdem sich auf der Welt absolut nichts zum Besseren gewendet hat, nicht härter daher.

Sie erhält in Bregenz nur den größten Rahmen seit ihrem Bestehen, wird wohl auch vom herkömmlichen Backsteinkitsch befreit und im zweiten Jahr schärfer ans Publikum herangezoomt. Entertainment darf sie freilich trotz des brisanten Themas bleiben. Am Schluss geht die Regie ohnehin keinen Kompromiss ein, Versöhnung ist nicht absehbar, seien die Melodien auch noch so schön. Prägnante Symphoniker Und so fetzig, impulsiv und prägnant wie sie aus dem Orchestergraben leuchten, wo die Wiener Symphoniker unter Wayne Marshall agieren. Per Videoscreen werden die Musiker heuer fürs Publikum sogar sichtbar gemacht. Doch wer sieht hin, wenn es Stimmen wie jene von Katja Reichert zu hören gibt, die Höhe wie Distanzen mühelos bewältigt. Christian Baumgärtel war ihr bei der Generalprobe ebenbürtig, aber auch der für den Erkrankten gestern eingesetzte Jesper Tydén hat jene Schwierigkeiten, die sich im Vorjahr noch zeigten, überwunden und konnte sich im Laufe des Abends schön frei singen. Kinga Dobey wächst einem als Anita ebenso ans Herz, wie die ganze großartige Bande, die eine im Grunde doch eher konventionelle Umsetzung durch das wirklich nur wenig gestörte Zusammenspiel aufzumöbeln versteht und vom Publikum gefeiert wurde.

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