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War der große Shakespeare ein Antisemit?

Die entscheidende Gerichtszene. Antonio (rechts Andreas Klaue) in Todesangst.
Die entscheidende Gerichtszene. Antonio (rechts Andreas Klaue) in Todesangst. ©Applaus-Abo
„Applaus“-Gastspiel auf der Kulturbühne mit Shakespeares „Kaufmann von Venedig“.

 

Götzis. (sch) Seit dem Holocaut, dem millionenfachen Mord an Juden durch das Nazi-Regime, hat der Begriff „Antisemitismus“ ein schreckliches, blutiges Gewicht. William Shakespeare, der wohl bedeutendste Dramatiker der Weltliteratur, schrieb im 16. Jahrhundert (Uraufführung 1595) die Komödie (?) „Der Kaufmann von Venedig“, in der er die Hauptfigur, den Geld verleihenden Juden Shylock, nicht gerade als Sympathieträger, ja vielmehr als unmenschlich-fanatischen Prototyp eines Juden, beladen mit allen schon damals negativen Klischees, darstellt. Das jüngste „Applaus“-Gastspiel mit dem „Kaufmann von Venedig“ (Schauspielbühnen in Stuttgart/Altes Schauspielhaus) hinterließ auch in Götzis einen zwiespältigen Eindruck, und auch im Programmheft wird die Frage gestellt: Darf das Stück noch gespielt werden? Rolf Hochhuth meint: „Spielt es nicht mehr!“ Nun, neben komödiantischen Turbulenzen mehrerer Liebespaare geht es dem Dichter, auch ein Kind seiner Zeit, um den bühnenwirksamen Gegensatz bzw. Konflikt zwischen dem Juden Shylock und dem Kaufmann und Christen Antonio, der den Geldverleiher (und Wucherer ?) Shylock um ein Darlehen von 3000 Dukaten für seinen Ex-Geliebten bittet. Shylock ist einverstanden, jedoch auf dem Schuldschein mit der tückischen Auflage, bei versäumter Rückzahlung Antonios ein Pfund Menschenfleisch aus der Nähe von dessen Herz fordern zu können. Gewiss, ein perfider Akt des Christenhassers.

 

Jude und Christ

Shakespeare macht aus den schon im 16. Jahrhundert existierenden Klischees geldgieriger, herzloser Jude und Jesus-Mörder und hochmütiger, den Juden als Abschaum verachtender Christ vor allem im zweiten Teil des Stücks einen packenden Krimi bis hin zum gezückten Skalpell Shylocks über Antonios Herz. Klar, der geniale Engländer wusste nichts vom Holocaust und war gewiss kein überzeugter Judenhasser, die beiden Kontrahenten waren aber für den Meisterdramatiker und Theaterpraktiker vornehmlich herrliche Bühnenfiguren. Und deshalb soll man, wenn gut inszeniert und gespielt, den „Kaufmann von Venedig“ auch heute noch präsentieren. Das Gastspiel in Götzis, in ein buntes Lichtdesign mit eigenartigen, runden Türen des Szenarios getaucht (Konrad Kulke), besaß die von Regisseur Volkmar Kamm geschaffene Faszination in der hasserfüllten Gegnerschaft Antonio/Shylock, die in der Gerichtsszene eskaliert, jedoch durch einen „christlichen“ Trick den starr auf sein „Recht“ pochenden Juden zu Fall bringt und ihn am Boden demütigt … Der prominente deutsche Schauspieler Carsten Klemm spielte Shylock, den von der Gesellschaft verachteten und verletzten Juden mit eiskalt rächender Brillanz; Andreas Klaue war sein Gegenspieler, der Christ Antonio, in seinem Hochmut auch kein Sympathieträger, doch beklemmend in seiner Todesangst und rührend in seiner Freundesliebe. Die Damen Alice von Lindenau (Porzia) und Kim Zarah Langner (Jessica) etc. waren der quirlige komödiantische Aufputz neben den ernsten Aspekten der Handlung. Und der vielseitige Raphael Grosch bewies in mehreren Rollen sein komisches Talent.

Shakespeare war kein bewusster Antisemit, doch der „Kaufmann von Venedig“ ist vielleicht, zwar Jahrhunderte später, auch ein früher Pflasterstein auf dem Weg in die Hölle des Holocaust.

  

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