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"Von Seiten der Exekutive ist jetzt viel Augenmaß gefragt"

Jurist Patrick Beichl.
Jurist Patrick Beichl. ©Beichl
Patrick Beichl zog wegen der Schussabgabe in Nenzing im Zuge des ersten Lockdowns vor das Landesverwaltungsgericht. Mit W&W spricht der Jurist über die neuen Maßnahmen, Eingriffe ins Privatleben und Verhältnismäßigkeit.

Von Joachim Mangard/Wann & Wo

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WANN & WO: Lockdown Nummer zwei in Österreich. Wie fällt Ihr erstes Resümee aus juristischer Sicht aus?

Patrick Beichl: Beim ersten Lockdown haben sich viele juristische Mängel offenbart, was letztlich ja auch in der Aufhebung von Teilen der ersten Verordnung durch den Verfassungsgerichtshof gemündet hat. Man erkennt jetzt ein sichtliches Bemühen, verfassungskonform zu arbeiten. Angesichts des Zeitdrucks hat es die Regierung sicher nicht einfach. Trotzdem sehe ich viele Fragezeichen, was die Auslegung betrifft.

WANN & WO: Stichwort Auslegung: Wie stehen Sie zu den Ausnahmen, was die Ausgangsbeschränkung betrifft?

Patrick Beichl: Das ist genau so ein Punkt. Als vierte Ausnahme wird die „Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens“ angeführt, was etwa für einen Besuch bei einem Lebenspartner über Nacht herangezogen wird. Wie steht es hier aber beispielsweise um Single-Haushalte? Sollen die jetzt nur noch rausgehen, um zu arbeiten? Ich könnte mir vorstellen, dass man hier Nachsicht walten lässt, wenn man beispielsweise mal jemanden zum Reden braucht, weil ihm die Decke auf den Kopf fällt. Obwohl das Ministerium eine FAQ-Broschüre aufgelegt hat, bleiben Formulierungen schwammig und interpretierbar. Von Seiten der Exekutive ist jetzt viel Augenmaß gefragt, damit es nicht zu so einem unnötigen Straf-Fiasko wie beim ersten Lockdown kommt. Ich glaube, dass alle Seiten aus dem ersten Shutdown ihre Lehren ziehen müssen. Was natürlich nicht geht, sind Garagenpartys mit einer großen Anzahl an Menschen. Die Politik müsste sicherlich nicht so scharf agieren, wenn sich die Menschen entsprechend des hohen Infektionsrisikos zurückhalten würden. Gleichzeitig haben die Volksvertreter kein Recht auf zuviel Einschnitt in die Privatsphäre der Bürger.

WANN & WO: Kontrollen im Privatbereich: Wo fängt der Wohnbereich an, wo hört der Hobbykeller auf?

Patrick Beichl: Mittlerweile ist der besagte Ort als einer beschrieben, welcher der „unmittelbaren Stillung des Wohnbedürfnisses“ dient. Auch hier sind die Grenzen fließend, wenn man an Hobbyräume oder Bastlergaragen denkt. Die Regierung pocht immer wieder auf die Eigenverantwortung der Bevölkerung. Im Umkehrschluss sollten die Kontrollorgane auch nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen.

WANN & WO: Wenn wir schon beim Schießen sind: Im Falle der „Schussabgabe“ eines Polizisten, die im März in Nenzing von Ihnen vertretene Mandaten zutiefst verstörte, gab das Landesverwaltungsgericht dem Beamten Recht. Die Feuerstöße hätten zur Positionsbestimmung und dem Ruf nach Verstärkung gedient. Gerechtfertigt oder für Sie unverständlich?

Patrick Beichl: Das Landesverwaltungsgericht interpretierte die Schüsse wie angesprochen, und nicht, dass sie meinen Mandaten galten. Damit war die Sache vom Tisch, die Frage einer Verhältnismäßigkeit wurde gar nicht weiter behandelt. Außerdem gingen die Aussagen beider Seiten auseinander. Während die Polizisten behaupteten, mehrere hundert Meter entfernt im dichten Wald in die Luft gefeuert zu haben, beteuerten meine Mandanten, dass der Beamte wenige Meter neben ihnen gestanden sei. Der Polizist benötigte aufgrund seiner Position schlichtweg keine Schüsse, um auf sich aufmerksam zu machen. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass man hier überreagiert hat.

WANN & WO: „Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant“ – besteht angesichts der neuen Verordnung nicht die Gefahr, dass man Misstrauen in der Bevölkerung sät und zum „Ausspionieren“ seiner Nachbarschaft aufruft?

Patrick Beichl: Da muss ich ebenfalls gleich an die Schüsse in Nenzing denken: Die Polizei wurde damals von einer Anrainerin gerufen, die eine Corona-Party gemeldet hat, was völlig an den Haaren herbeigezogen war. Wäre dieser Anruf nicht gewesen, hätte es keine Polizei und keine Schüsse gegeben. Meine Mandanten wären gemütlich auf der Bank gesessen und anschließend ohne das ganze Theater wieder nach Hause gegangen. Wir kommen aus dieser Corona-Sache nur gemeinsam raus. Wir alle sollten uns darauf besinnen und aufpassen, dass es nicht zu einer Spaltung der Gesellschaft kommt. Es geht nur miteinander.

WANN & WO: Wie stehen Sie zu der von der Opposition geforderten, durchgängigen Evaluierung der neuen Maßnahmen? 

Patrick Beichl: Absolut notwendig, aber auch schon von Seiten des Gesundheitsministeriums angekündigt. Ich glaube, viele Menschen vergessen einfach, dass wir zum ersten Mal in einer solchen Situation sind und natürlich auch Fehler gemacht werden. Wichtiger wäre, dass man nicht bei jeder Gelegenheit versucht, parteipolitisches Kleingeld daraus zu schlagen. Das gilt für Regierung und Opposition.

WANN & WO: Die Bevölkerung ist der Pandemie müde, die freiwillige Bereitschaft zur Disziplin stößt an ihre Grenzen. Wie schwierig wird das Wechselspiel von „Zwangsmaßnahmen“ und selbständigem Engagement der Menschen?

Patrick Beichl: Angesichts der aktuellen Zahlen schlägt das Pendel meiner Meinung nach eher wieder in Richtung Verständnis für die Maßnahmen aus. Viele Regelungen bleiben aber zu hinterfragen, wie beispielsweise der komplett heruntergefahrene Restaurantbetrieb, wo auch laut AGES kaum Clusterbildungen registriert wurden. Außerdem bin ich der Meinung, dass gerade im Sportbereich, zumindest für den Nachwuchs, Trainingsmöglichkeiten für Kleingruppen im Freien durchführbar wären.

WANN & WO: Welche Konsequenzen wird der zweite Lockdown aus juristischer Sicht nach sich ziehen?

Patrick Beichl: Abseits der vielen Arbeit für den Verfassungsgerichtshof könnte es zu einer Häufung von Beschwerden von Patienten kommen, weil eine geplante Operation (wieder) verschoben wird. Diese Fälle muss man sicher genau prüfen und sich im Einzelfall fragen, ob die Behandlungsverzögerung medizinisch wirklich gerechtfertigt ist.

WANN & WO: #schleichdiduoaschloch – Wien beherrscht aktuell die Schlagzeilen. Der Attentäter wurde 2019 bereits strafrechtlich verurteilt, kam aber frühzeitig wieder frei. Ein Fakt, der in Bezug auf Soner Ö. Erinnerungen weckt. Wie schwierig hat es die Justiz im Wechselspiel mit der öffentlichen Wahrnehmung? Ist die Rechtslage, gerade in solchen Fällen, zu lasch?

Patrick Beichl: Ein äußerst schwieriges Thema. Der Wiener Attentäter hatte zwei Drittel seines Strafmaßes verbüßt. Ich bezweifle, dass sich der Grad der Radikalisierung geändert hätte, wäre dieser Verbrecher nicht vorzeitig entlassen worden.  Niemand kann in die Menschen hineinsehen. Und in so einem komplizierten Fall verurteile ich Ferndiagnosen, da einfach eine objektive Bemessungsgrundlage fehlt. Angesichts der aktuellen Situation fällt man gerne vorschnelle Urteile, was auch aufgrund der Emotionalität nachvollziehbar ist. Grundsätzlich bin ich von unserem Rechtssystem überzeugt, auch das Strafmaß ist angemessen. Im Falle von Wien gibt es aber noch viel zu wenige Informationen, was viel Spekulationsraum eröffnet. Wenn hier, wie vom Innenminister angesprochen, Fehler beim Verfassungsschutz passiert sind, bedarf es einer lückenlosen Aufarbeitung. Ich glaube, dass es in Österreich nicht am System hakt, sondern viel mehr an den Ressourcen. Was sich auch in der Dauer verschiedener Verfahren widerspiegelt. Vielleicht sollten die Mühlen der Justiz generell durch Aufstockung von Personal beschleunigt werden, da geht es natürlich auch um Qualitätserhalt.

Zur Person

Beichl
  • Mag. Patrick Beichl, LL.M. (Medizinrecht)
  • Wohnort, Alter: Göfis, 40
  • Familienstand: Vergeben, 1 Sohn (9)
  • Beruf, Laufbahn: Rechtsanwalt; seit 2018 selbstständiger
  • Rechtsanwalt in Feldkirch mit Spezialisierung auf ärztliche Behandlungsfehler. Infos: www.ärztlicher-behandlungsfehler.at

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