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Von der Euphorie zur Verzweiflung

Kulturreferent Daniel Steinhofer und Historikerin Mag. Vanessa Waibel
Kulturreferent Daniel Steinhofer und Historikerin Mag. Vanessa Waibel ©Bernhard Tost
Zu den Personen: Historikerin Mag. Vanessa Waibel und Kulturreferent Daniel Steinhofer

    Detaillierte Ausstellung in der Galerie Hollenstein zum Ersten Weltkrieg. 

 

VN-Heimat-Interview: mit Mag.Vanessa Waibel(26) und Kulturreferent Daniel Steinhofer (36)

 Lustenau. (bet) Sowohl mit einer breit gefächerten Ausstellung als auch in interessanten Vorträgen wird veranschaulicht wie der Krieg “sich auch in zahllosen menschlichen Katastrophen manifestierte”, wie er die Gesellschaft auch jenseits der Schlachtfelder veränderte und wie die Zivilbevölkerung in der Gemeinde unter ihm litt. Dies erläutern – die vor Kurzem erst verheiratete – Historikerin Mag. Vanessa Waibel (vormals Hämmerle) und Kulturreferent Daniel Steinhofer im Gespräch mit der VN-Heimat.       

 

Herr Steinhofer, Sie kandidieren für ein Mandat im Vorarlberger Landtag. Gestatten Sie mir vorab deshalb die Frage, welche Beweggründe dahinter stehen?

Daniel Steinhofer: Das Amt des Kulturreferenten macht mir viel Freude und ich genieße es, die Politik in Lustenau mitgestalten zu dürfen. Dennoch stoße ich vielfach an Grenzen, die nur in übergeordneter Ebene an maßgeblicher Stelle  beeinflusst werden können. Ich sehe darin deshalb eine ungemeine Bereicherung meiner bisherigen Tätigkeit und glaube, hier einen wertvollen Beitrag für meine Heimatgemeinde leisten zu können.

 

Der Beginn des Ersten Weltkriegs ist 100 Jahre her – und dennoch ist das Interesse an der Geschichte dieses Krieges groß. Woran liegt das?

Daniel Steinhofer: Der Erste Weltkrieg forderte fast zehn Millionen Todesopfer und weitere 20 Millionen Verwundete unter den Soldaten. Die zivilen Opfer werden auf sieben Millionen geschätzt. Er brachte den Untergang dreier Kaiserreiche, trieb an den Fronten ganze Provinzen in den Ruin. Er wurde mit allen erdenklichen Mitteln geführt. Diese europäische Ur-Katastrophe hat viele Entwicklungen der nachfolgenden Jahrzehnte ausgelöst und die Geschichte Europas wesentlich beeinflusst.  

 

Wie ist es überhaupt zu dieser Ausstellung gekommen?

Vanessa Waibel: In einem dreijährigen Zyklus konzipiert das Historische Archiv der Marktgemeinde Lustenau Ausstellungen zu Aspekten der Lustenauer Geschichte, das 100-Jahr-Jubiläum nahm man zum Anlass, den Ersten Weltkrieg und seine Auswirkungen auf Lustenau in einer Ausstellung zu thematisieren.

 

Daniel Steinhofer: Nachdem der Erste Weltkrieg 1914 ausgebrochen ist, war dieses „Jubiläum“ ausschlaggebend für die Konzipierung dieser Ausstellung. Es ist aber das Ziel des Historischen Archivs der Marktgemeinde Lustenau, nicht die einschlägigen Forschungsfelder des Ersten Weltkriegs mit seinen Kriegsschauplätzen zu zeigen, sondern speziell die Auswirkungen auf Lustenau und seine Bürger aufzuarbeiten und in entsprechendem Rahmen auszustellen. Wir haben dazu auch das Team um Gemeindearchivar Dr. Wolfgang Scheffknecht und Oliver Heinzle mit Mag. Vanessa Hämmerle und Mag. Nadja Naier ergänzt.

 

Was war Ihre Intention an diesem Projekt mitzuarbeiten?

Vanessa Waibel: Als mich Wolfgang Scheffknecht im Sommer 2013 erstmals kontaktierte und mir vom Ausstellungsprojekt erzählte, freute ich mich sehr über das darauffolgende Angebot, bei dem Projekt mitzuarbeiten, gerade auch weil es einen Aspekt der Geschichte meiner Heimatgemeinde zum Inhalt hat. Die Erfahrung, bei der Konzipierung einer historischen Ausstellung von Anfang an bis zur Eröffnung dabei sein zu können, war für mich sehr schön und auch lehrreich.

 

Wie sind Sie an das ganze Material gekommen und wie haben Sie es dann sortiert?

Vanessa Waibel: Ein großer Teil meiner Arbeit war es anfangs, vor allem im Vorarlberger Landesarchiv die Bestände zu sichten, in denen wir uns Material zu Lustenau im Ersten Weltkrieg erhofften. Dies war zum überwiegenden Teil der Bestand „Bezirkshauptmannschaft Feldkirch“ der Jahre 1914-1918, insgesamt fast 100 Archivschachteln. Die Sichtung dieser Quellen nahm dementsprechend viel Zeit in Anspruch, lohnte sich aber sehr. Es wurden alle Dokumente mit Lustenau-Bezug fotografiert und nach inhaltlichen Gesichtspunkten erfasst. Außerdem forschte ich im Wirtschaftsarchiv Vorarlberg in Feldkirch. Die eigenen Bestände im Historischen Archiv Lustenau wurden von uns selbstverständlich ebenfalls für die Recherchen herangezogen. Aus der Fülle an Quellen und Material wurden von uns dann Konzepte für die Ausstellungsthemen erstellt und Schwerpunkte festgesetzt. Bei der Materialsammlung halfen uns auch zahlreiche Leihgeber.

 

Haben Sie auch in Ihren eigenen Familien nachgeforscht, wo sie 1914 waren, was sie da gemacht haben, ob sie im Krieg waren?

Vanessa Waibel:  Ich hatte das große Glück, dass in meiner Familie ein Buch mit Aufzeichnungen meines Urgroßvaters Albin Schmid (*1878, +1959) zum Ersten Weltkrieg und hier auch speziell zur Situation in der Gemeinde, erhalten ist. Neben anderen Aufzeichnungen und Kriegstagebüchern von Lustenauern, war dieses Buch von Albin Schmid eine tolle Quelle, die eine Vielzahl von Themen beinhaltete, die wir auch in dieser Ausstellung thematisieren.

 

Daniel Steinhofer: Ich habe im Zuge der Ausstellung das Buch von Benno Vetter, „Menschen am Strom“ zur Hand genommen, in dem er auch die Zeit des Ersten Weltkrieges skizzierte. Im Zuge der Erstellung des Jubiläumsbuches des Musikverein Lustenau waren die Beschreibungen des damaligen Chronisten zu jener Zeit äußerst fesselnd. Eine Enkelin des damaligen Vorstandes erzählt mir in diesem Zusammenhang, dass ihr Großvater als „Leichensammler“ in den ersten Wochen des Krieges umkam. Diese Geschehnisse sind also noch deutlich in der Erinnerung der Nachkommen präsent.

 

Wie hoch waren die Opferzahlen in der Gemeinde Lustenau?

Vanessa Waibel: Etwa 230 Gefallene. Infolge von Mangelernährung starben auch viele Zivilisten an Hunger, Typhus und nicht zu vergessen die spanischen Grippe forderte zusätzlich ihren Tribut.    

 

Der Historiker Christopher Clark hat mit seinem Buch zum Kriegsbeginn 1914 unter dem Titel “Die Schlafwandler” einen großen Erfolg. Was halten Sie vom Begriff “Schlafwandler”?

Daniel Steinhofer: Die Protagonisten von 1914 waren „Schlafwandler, wachsam und blind“, schreibt der australische Historiker Christopher Clark in seinem Buch „The Sleepwalkers“ und meint damit das kollektive Politikversagen, das schlussendlich zu unendlichem Elend führte. Und hier lassen sich zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht einige Parallelen zur Euro-Krise bzw. Staatsschuldenkrise ziehen. Dabei droht heute eher keine kriegerische Auseinandersetzung, aber durchaus etwa lang anhaltende Instabilität, soziale Spannungen und politische Radikalisierungen, wie sie auch damals verstärkt um sich griffen.

 

Ist es nicht erstaunlich, in wie kurzer Zeit diese Gesellschaften die Umstellung auf die Kriegswirtschaft hinbekommen?

Vanessa Waibel: Gerade die Umstellung auf die Kriegswirtschaft in Bezug auf die Lebensmittelversorgung wurde aus der Not heraus gemeistert. Erste Maßnahmen in Vorarlberg lagen in einer Bestandsaufnahme von Lebensmittelreserven, dabei lag das Hauptaugenmerk auf Getreide und Mehl. Schnell einsetzende Versorgungsprobleme waren ein Nährboden für Preistreibereien, erste Sparmaßnahmen wurden gesetzt, beispielsweise durch das Backen von so genanntem Kriegsbrot. Die immer größer werdenden Probleme bei der Lebensmittelbeschaffung erforderten also schnell einen funktionierenden und immer weiter wachsenden Organisationsapparat. Die Aufrechterhaltung desselben wurde durch das Einziehen von Beamten zum Militärdienst vor immer neue Herausforderungen gestellt. Die Folge der Nahrungsknappheit war dann ab 1915 die sukzessive Rationalisierung von Lebensmitteln, die dann nur noch über Bezugskarten bezogen werden konnten. Sparmaßnahmen äußerten sich beispielsweise auch im Festsetzen von fleischlosen Tagen.

 

Daniel Steinhofer: Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges machte sich noch Euphorie – auch in Lustenau durch feierliche Umzüge bezeugt – breit. Die dann schnell eintretende Ernüchterung durch hohe Gefallenenzahlen und allgemeine Nahrungsmittelknappheit waren unabänderliche Realitäten, mit denen sich die Menschen abfinden mussten. Die kriegswirtschaftlichen Maßnahmen des Staates taten das ihre dazu.

 

Was hat Ihnen die Mitarbeit an der Ausstellung persönlich gebracht?

Vanessa Waibel: Für mich war es eine tolle und wertvolle Erfahrung, bei dieser Ausstellung von Anfang an mitarbeiten zu dürfen und zu sehen, wie aus einer Idee/einem Konzept eine so gelungene fertige Ausstellung wird. Das Vertrauen, das die Gemeinde und vor allem auch die Gemeindearchivare Wolfgang Scheffknecht und Oliver Heinzle, sowie Helmut Gassner und Daniel Steinhofer in mich gesetzt haben, als sie mir neben den Recherchetätigkeiten und der Mitarbeit eigene Themen zur Ausarbeitung für die Ausstellungstafeln übertragen haben, hat mich sehr gefreut.

 

Daniel Steinhofer: Es ist für mich immer wieder erstaunlich und es macht mich stolz, welche Projekte in welcher Qualität unser Gemeindearchiv realisiert und dafür möchte ich mich bei Wolfgang Scheffknecht, Oliver Heinzle, Vanessa Hämmerle und Nadja Naier von Herzen bedanken.

 

Zu den Personen:

Vanessa Waibel:

Alter: 26

Wohnort: Lustenau

Beruf: Historikerin

Hobbys: Reisen, kochen, lesen

 

Daniel Steinhofer:

Alter: 36

Wohnort: Lustenau

Beruf: Kulturreferent

Zu letzt gelesenes Buch: „Kulturinfakt“

 

Kontakt zu Mag. Vanessa Waibel und  Kulturreferent Daniel Steinhofer: Kulturreferat der Marktgemeinde Lustenau; Tel.: 05577 / 8181-305

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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