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Volkstheater eröffnete die Saison mit Ibsen

Chefarzt Knopfgießer im weißen Mantel schüttelt beim Studium der Krankenakte stumm den Kopf und schenkt dem jungen Mann ein aufmunterndes, wenngleich wenig glaubhaftes Lächeln: Wird' schon wieder! Doch mit Patient Peer geht's nicht aufwärts.

Vielmehr geht es in der Folge ganz schön rund. Und sowohl Mutter Aase, die am Krankenbett wacht, von dem aus man bisweilen eine wunderschön beleuchtete Fjordlandschaft sehen kann, als auch die vielen hübschen Krankenschwestern gehen Peer Gynt auf seinem nun folgenden rasenden Ritt durch Welt und Zeit nie aus dem Kopf.

Regisseur Michael Sturminger hat für seine “Peer Gynt”-Inszenierung, mit der das Wiener Volkstheater gestern, Freitag, Abend die Spielzeit eröffnete, ein eigenwilliges Konzept entwickelt: Peer liegt im Spital, bricht von hier zu seiner an “Faust II” erinnernden Hochschaubahnfahrt auf, die ihn zu Trollen und Kaisern, Sagengestalten und Sklavenhändlern führt. Die Mutter (Beatrice Frey), Dorfbewohner und das Spitalspersonal übernehmen in dieser Bilderfolge immer wieder wechselnde Rollen, doch Sturminger versucht, keine eindeutigen Erklärungen zu geben: Fieberschübe oder Flucht in Fantasie, Rückblick auf ein bewegtes Leben oder nichts als Aufschneiderei? Das wird in Schwebe gehalten, so wie auch Ralph Zegers Drehbühne neben dem winzigen Spitalszimmer als abstrakte Gebirgslandschaft eine Spielfläche ist, die nicht stört, aber auch nicht viel erzählt.

Alles ist zugeschnitten auf Hauptdarsteller Raphael von Bargen, den Sturminger in seiner Inszenierung offenbar als Erwin Schrott des Sprechtheaters positionieren will, so häufig rückt er den durchtrainierten, nackten Oberkörper seines Hauptdarstellers ins rechte Scheinwerferlicht. Dieser Peer macht keineswegs einen kranken Eindruck, sondern strotzt vor Kraft, Selbstbewusstsein und Abenteuerlust. Er raubt und entehrt eine Braut in seinem Heimatdorf, macht der jungen Solveig (Annette Isabella Holzmann als schüchternes Schulmädchen) zunächst Hoffnungen, ehe er sie danach quasi das ganze Leben wartenlässt, verführt oder vergewaltigt reihum die Krankenschwestern und ist überhaupt bereit, sich mit jedem anzulegen.

Man sei doch geboren, um zu leben, stachelt Peer die müde herumliegenden Mitpatienten an, als er sich nach der Pause, während die dreieinhalbstündige Inszenierung deutlich an Fahrt verliert und zäh zu werden beginnt, offenbar auf Rehab befindet und sein “Gynt’sches Ich” in immer mehr Schwadroniererei zu verlieren droht (“Je verrückter, desto besser”). Da denkt man unvermittelt an Hansi Langs eindrucksvollen Song “Ich spiele Leben” oder an einen weiteren Hit: “Keine Angst!” Das könnte durchaus das Motto dieser Inszenierung sein, doch musikalisch setzt Sturminger lieber auf zwischen “nordisch” und “modern” oszillierende Live-Musik, und auch die Bilder bleiben, obgleich immer mehr Drogen ins Spiel kommen (hier verwaltet der Teufel die Hausapotheke), seltsam bieder. Peer mit Brettern und Bohrmaschine als Heimwerker? Das macht die mächtigen Fantasien, die Henrik Ibsen seinem Helden auf den Lebensweg mitgab, doch etwas klein.

Gegen Ende, als der Knopfgießer immer ungeduldiger auf den finalen Einschmelz-Termin für derartig halbe Portionen wie den kranken Peer verweist, schält die Inszenierung mit großer Ernsthaftigkeit an der Zwiebel des Lebens und versucht das menschliche “Sei du selbst” gegen das Troll-Prinzip des “Sei dir selbst genug” zu stellen. So wie Peer hat auch die ganze Inszenierung zwar am Ende ihre Position zwischen diesen beiden Polen nicht wirklich gefunden, hat sich auf der Suche aber achtbar geschlagen. Freundlicher Applaus, zu Recht mit einigen Bravos für den Hauptdarsteller durchsetzt.

“Peer Gynt” von Henrik Ibsen, Deutsche Fassung von Peter Stein und Botho Strauß unter Verwendung der Übersetzungen von Christian Morgenstern und Georg Schulte-Frohlinde.

Regie: Michael Sturminger, Bühne: Ralph Zeger, Kostüme: Alfred Mayerhofer, Musik: Gerald F. Preinfalk

Mit: Raphael von Bargen, Luisa Katharina Davids, Beatrice Frey, Till Firit, Thomas Kamper, Christoph F. Krutzler, Michael Schottenberg u.v.a., Volkstheater Wien, Nächste Vorstellungen: 6., 7., 9., 12., 14.9.; Karten: 01 / 52111-400, http://www.volkstheater.at

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