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Verwaltungsgerichte: Zustimmung im Prinzip, viel Kritik im Detail

Die geplante neue Verwaltungsgerichtsbarkeit stieß in der Begutachtung zwar prinzipiell auf Zustimmung. Aber im Detail gab es viel Kritik am Entwurf des Bundeskanzleramtes.
Die aufzulösenden Behörden
Der Kanzleramts- Entwurf für die Reform

Sie richtet sich vor allem gegen die Auflösung von rund 120 Sonderbehörden und Senate. Stark bezweifelt wird u.a. vom Rechnungshof, dass die Reform Einsparungen bringt. Länder und Gemeinden befürchten Mehrkosten, sie verlangen Verhandlungen. Gemeinden und die Freien Berufe wenden sich scharf gegen die Einschränkung der Selbstverwaltung.

Dass der Asylgerichtshof nicht in das neue dreistufige System mit Instanzenzug bis zum Verwaltungsgerichtshof (VwGH) einbezogen werden soll – womit weiter nur Beschwerden beim Verfassungsgerichtshof möglich sind – wurde vom VfGH selbst, aber auch von Amnesty International, vom Roten Kreuz oder vom ÖGB angeprangert.

Der VfGH warnte einmal mehr, dass er – angesichts des “dramatisch” gestiegenen Arbeitsanfalles – “seine Rechtsschutzaufgabe mittelfristig möglicherweise nicht mehr in der Weise wahrnehmen kann, wie es das Rechtsstaatsprinzip gebietet”. Der VwGH will die Asylagenden derzeit aber noch nicht zurück: Angesichts seiner “andauernden Überlastung” und “drohender Kürzungen” wäre dies “unrealistisch”. Der VwGH stellte aber fest, dass seine Unzuständigkeit wohl “nur transitorisch” – also vorübergehend – sein könne. Denn ein “konsistentes Modell einer Garantie der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung kann nur in einer ausnahmslosen Zuständigkeit des VwGH bestehen”.

Prinzipiell begrüßt der VwGH “ausdrücklich und uneingeschränkt”, dass endlich ein Schritt für die Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit gesetzt werde. Große Sorgen macht dem Gerichtshof aber, dass bei Säumnis von Verwaltungsgerichten die Beschwerde beim VwGH möglich sein soll. Damit könnte auch die Sachentscheidung auf ihn übergehen – und das könnte ihn vor ein “Riesenproblem” stellen, fordert der VwGH eine andere Lösung.

Alles andere als begeistert äußerte sich der Rechnungshof: Die Reform werde “jedenfalls zu Mehrkosten führen”. Die im Entwurf versprochene Kostenneutralität oder gar Einsparungen – die eigentlich Ziel einer Verwaltungsreform sein sollten – seien keinesfalls zu erwarten. Wie viele andere Begutachter auch vermisste der Rechnungshof die einfachgesetzlichen Bestimmungen zur Umsetzung. Ohne diese könnten die zu erwartenden Kostenfolgen nicht abgeschätzt werden.

Außerdem bezweifelt der RH, dass das Ziel einer kürzen Dauer der Verwaltungsverfahren erreicht werden kann. Es scheine vielmehr “nicht ausgeschlossen”, dass es – etwa wenn die Möglichkeit der Säumnisbeschwerde genützt wird – “zu einer längeren Verfahrensdauer als bisher kommen könnte”.

Ähnlich äußerte sich der ÖGB. Es sei zweifelhaft, ob das Ziel – das Rechtsschutzsystem im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung und eines verstärkten Bürgerservices auszubauen – erreicht werden könne. Eine Kostenabschätzung fehle, auch ein Umsetzungsplan – und ohne durchdachten Fahrplan sollte man eine derart weitreichende Maßnahme nicht angehen, tadelt der ÖGB.

Länder, Gemeinden gegen Mehrkosten

Die Bundesländer sind mit dem jetzt vorliegenden Entwurf zur Verwaltungsgerichtsbarkeit “in inhaltlicher Hinsicht” zufrieden, zumal gegenüber dem Erstentwurf 2007 wesentliche Forderungen von ihnen berücksichtigt wurden. Sorgen machen ihnen die zu erwartenden Mehrkosten. Deshalb fordern sie nach Vorliegen einer Kostendarstellung – aber “jedenfalls vor der Einbringung in den Nationalrat” – Verhandlungen über die Kostenaufteilung mit dem Bund.

Kärnten versuchte eine Kostenschätzung: Mindestens 491.000 Euro jährlich seien allein auf Personalebene für Kärnten zu erwarten – für alle Länder gemeinsam werde der Schwellenwert von 2.031.440 Euro “bei weitem überschritten”. Ab dieser Bagatellegrenze sieht der Konsultationsmechanismus Gespräche vor – und solche forderte Kärnten in seiner Begutachtungsstellungnahme.

Dies tut “vorsorglich” auch der Österreichische Gemeindebund, da die finanziellen Auswirkungen auf die Kommunen nicht abschätzbar seien. Der Gemeindebund kritisierte auch den Inhalt scharf: Die Reform bringe einen einzigartigen “schweren Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden”. Denn mit der Abschaffung der Vorstellungsentscheidung könnten künftig die Verwaltungsgerichte auch in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinden in der Sache entscheiden.

Einen Eingriff der Selbstverwaltung prangern auch die Freien Berufe an. Grund ist die geplante Abschaffung aller rund 120 Kollegialbehörden “richterlichen Einschlags” und sonstiger weisungsfreier Organe – zu denen die kammerinterne Disziplinargerichtsbarkeit zählt. ÖRAK-Präsident Gerhard Benn-Ibler spricht von einem “inakzeptablen Kahlschlag”. Die verfassungsgesetzlich garantierte Autonomie der Kammern würde zu einem großen Teil zurückgenommen, kritisierte Notariatskammer-Präsident Klaus Woschnak. Das Bundeskomitee der Freien Berufe Österreichs warnt vor “drohenden Qualitätseinbußen” und Mehrkosten für die Steuerzahler.

Das Verteidigungsministerium bestand darauf, das Kommandantenverfahren nach dem Heeresdisziplinargesetz beizubehalten. Denn der militärische Dienstbetrieb erfordere – vor allem für den Präsenzdienst und Einsätze – ein eigenes, effektives Disziplinarrecht mit raschen Entscheidungen. “Inakzeptabel” und “mit aller Vehemenz abzulehnen” ist auch für die AHS-Gewerkschaft die Abschaffung der Disziplinarkommissionen in ihrem Bereich.

Mit der Notwendigkeit rascher Entscheidungen argumentiert auch die Berufungskommission beim Bundeskanzleramt, die für Rechtsmittel bei Versetzungen oder Verwendungsänderungen Beamter zuständig ist. Denn die inkriminierten Posten müssten in angemessener Zeit ja neu besetzt oder im Zuge von Reformen gestrichen werden.

Als große Vorteile der Sonderbehörden wurden auch die besonderen Fachkenntnisse und eine bundeseinheitliche Rechtsprechung angeführt. Mit der Übertragung aller Agenden an die Landes-Verwaltungsgerichte ginge beides verloren, kritisierten viele Betroffene. Der Umweltsenat – derzeit bundesweite Berufungsbehörde – lehnte die künftige Landes-Zuständigkeit bei Berufungen im UVP-Verfahren ab. Verwertungsgesellschaften wie AKM u.a. wandten sich gegen die Auflösung des Urheberrechtssenates.

Das Patentamt hat “massive Bedenken” gegen die Auflösung des Obersten Patent- und Markensenates und seiner Rechtsmittelabteilung, weil der gewerbliche Rechtsschutz “besondere Sachkunde” erfordere. Der Unabhängige Finanzsenat verlangt die Einrichtung eines für seine Agenden zuständigen Sondergerichtes erster Instanz. Auf Bundesebene ist ein “Verwaltungsgericht für Finanzen” geplant.

Die Personalvertretungs-Aufsichtskommission im Kanzleramt – zuständig für Beschwerden gegen die Personalvertretung im öffentlichen Bereich – argumentierte, dass die Auflösung der Sonderbehörden nicht die gewünschte Entlastung, sondern eine zusätzliche Belastung für den VwGH bringen werde.

Ausschließlich positive Reaktionen kamen in der Begutachtung von den Unabhängigen Verwaltungssenaten. Denn im jetzigen Entwurf wurde klargestellt, dass die UVS in den Verwaltungsgerichten der Länder aufgehen und ihre Mitglieder (bei Eignung) einen Rechtsanspruch auf Übernahme haben.

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