Mit dem Architekten Gunter Wratzfeld auf die großzügige Dachterrasse der von ihm jüngst geplanten Wohnanlage in der Vorderen Achmühlerstraße zu treten, bedeutet in vielfacher Hinsicht einen Blick in die Zeiten, auf die Geschichte zu werfen.
Da ist zum einen die Geschichte Dornbirns, die Geschichte der Achmühle, eines Quartiers dessen Wurzeln bis 1369, zur ersten urkundlichen Erwähnung einer 200 Jahre später abgebrannten Mühle reichen und die namensgebend war. Nach den Mühlen waren es Ende des 18. Jahrhunderts die ersten Textilfabriken, die die Wasserkraft der nahe gelegenen Dornbirner Ach nutzten. Diese sind heute verschwunden oder haben sich in eine Fachhochschule und vielfältig andere Umnutzungen verwandelt. Eine Gleichzeitigkeit von Alt und Neu, die Gestaltungssicherheit und eine Ablesbarkeit der Zeiten erfordern. Dem entsprechend positioniert sich auch die neue Wohnanlage als solider Neubau mit Tiefgarage und zeitgemäßer Ausstattung.
Gegenüber fällt der Blick auf das in sanften Grün und Grautönen verwitterte Steildach einer Kapelle. “Zu den sieben Schmerzen Mariens” lautet die dramatische Widmung des kleinen und filigran dekorierten Nazarenerkirchleins, das 1907 geweiht wurde. Dessen 7- Uhr-Läuten zählt die junge Rechtsanwältin auf der Dachterrasse zu den lokalen Besonderheiten ihrer Wohnung. Menschen wie sie ergänzen das alteingesessene Dornbirn mit stilbewusster und weltoffener Lebensführung und schätzen diese Gleichzeitigkeit.
Ein weiterer Nachbar ist ein altes Rheintalhaus, das zwischen den typischen Streuobstwiesen eingewachsen scheint. Sanft vor sich hin witternde Holzschalungen, blühende Rosensträucher und ein breites Vordach demonstrieren Baugeschichte von einer überaus romantischen Seite. Gegenüberliegend breitet sich die abstrakte Schönheit einer Minigolfbahn aus. Gut gepflegt und rege genutzt von einem durchaus erfolgreichen Sportverein kann sie als erfolgreiche Nachnutzung einer historischen Bierhalle gelten, die von der Stadt Dornbirn erworben und an den Sportverein vermietet wurde. Der liebevoll gestaltete Holzbau erzählt von der reichen Geschichte Dornbirner Gasthäuser, zu der auch der “Grüne Baum” gehörte. Der Neubau ersetzt den eigentlichen Gasthof, der entstellt nach verschiedenen groben baulichen Eingriffen, sein Schicksal im Abbruch fand.
An diesem Punkt trifft sich die Geschichte des „Grünen Baums“ mit dem aktuellen Bauwerk und hier beweist Architekt Gunter Wratzfeld Gespür für den Ort und seine Geschichten. In durchaus redlichem Bemühen um das historische Ensemble hatte das Bauamt ursprünglich ein Satteldach vorgeschrieben, doch ein terrassierter Entwurf hatte größeres Potenzial und einen feinfühligeren Umgang mit der Umgebung bewiesen und alle Seiten überzeugt.
In drei Gliederungen stuft sich das längliche Gebäude ab. Zur Straße hin gerundet erheben sich drei Wohngeschoße über dem Keller, ein halbes Geschoß über das Niveau. An der Nordseite zeichnet sich der halbgeschoßige Versatz zum zweiten Abschnitt an einem langgestreckten Stiegenhaus hinter großzügigen Fensterformationen ab. Schließlich endet das Gebäude zweigeschoßig und passt sich in der Traufhöhe der angrenzenden Kapelle an. Auch im Grundriss verjüngt sich das Gebäude und bewahrt so den Blick von der Straße zum Gotteshaus. Der Hauptbaukörper ist cremeweiß verputzt und wird ergänzt durch frei gestellte Balkone aus Sichtbeton und Brüstungsflächen aus Mattglas, die den Wohnungen in den zwei ersten Baukörperabschnitten großzügigen Freiraum verleihen. Abgerundet wird das Außenbild durch den lebendigen Warmton der Lärchenholzfenster. Materialqualitäten verbinden sich mit einem differenzierten Baukörper zu solider Eleganz.
Zuletzt sind es auch Geschichte und Werk von Architekt Wratzfeld selbst, die von 50 Arbeitsjahren erzählen: Vom radikal modernen Holzbau anno 1963 in Watzenegg reicht eine vielfältige Entwicklung über avancierte Siedlungsvisionen bei der Bregenzer Achsiedlung, über soliden Wohnungsbau hin zu städtebaulich und formal markanten Bildungs- und Sonderbauten. Formale Klassizität, das architektonische Zitat und eine für Vorarlberger Verhältnisse manchmal überraschende Vielgestaltigkeit finden hier in der Vorderen Achmühlerstraße zu einer Beweglichkeit in Form und Material, die eine angenehme Verbindung zum historischen Altbestand schafft. Das Gespräch auf der Dachterrasse endet schließlich bei der Gartengestaltung, deren Eleganz sich auch auf einer – zugegebenermaßen sehr großen – Dachterrasse entfalten kann. Ein langes Architektenleben hat schließlich auch noch einen Rat bereit zur Pflege von Himbeerstauden, Lavendel und anderen Pflanzen, die auf Dachterrassen wachsen.
Daten & Fakten
Objekt: Wohnanlage “Grüner Baum”, Dornbirn
Wohnnutzfläche: 883 m², 13 Eigentumswohnungen
Grundstücksfläche: 1285 m²
Planungsbeginn: 2009
Fertigstellung: 2011
Bauträger und Generalunternehmer: Jäger Bau, Bregenz
Statik: Mader & Flatz, Götzis
Baumeisterarbeiten: Jäger Bau, Schruns
Fassade: Pfeiffer GmbH, Lauterach
Portalkonstruktion: GMS Glas Metall Salzgeber, Dornbirn
Fenster und Türen: Jäger Bau Tischlerei, Schruns
Elektroinstallationen: Broger GmbH, Dornbirn
Haustechnik: Kienreich GmbH, Lauterach
Trockenbau: Hoch-Tief Bau, Dornbirn
Maler: Palaoro GmbH, Höchst
Gartengestaltung (Dachterrasse): Hansjörg Häußle, Rankweil
Konstruktion: Massivbau, unterkellert mit Tiefgarage, Außenwände in Ziegelmassivbauweise mit Wärmedämmverbundsystem, Wohnungstrennwände und Decken in Stahlbeton, Innenwände in Trockenbauweise. Zentralheizung mit Pellets, Fußbodenheizung, Warmwasseraufbereitung durch Solaranlage am Dach.
Quelle: Leben & Wohnen – die Immobilienbeilage der Vorarlberger Nachrichten
Für den Inhalt verantwortlich:
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