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Verflixte Impfpflicht

©APA/ERWIN SCHERIAU
Gastkommentar von Johannes Huber. Auf freiwilliger Basis würden sich an die 90 Prozent impfen lassen. Oder: Ein Argument, sich weniger mit radikalen Gegnern zu befassen.

"Wir sind das Volk" ist grundsätzlich ein problematischer Slogan. Vor allem, wenn er von einzelnen Leuten verwendet wird, die sich größer machen wollen als sie sind. Zum Beispiel auf Demos gegen die Impfpflicht: Laut einer aktuellen Erhebung der Uni Wien wird diese Pflicht von gerade einmal 35 Prozent der Menschen in Österreich abgelehnt. Ein paar Prozent sind unentschlossen oder deklarieren sich nicht. 52 Prozent sind für die Pflicht. Das ist eine Mehrheit. Und zwar eine schweigende, die viel eher behaupten könnte, "das Volk" zu sein.

Wie erwähnt wäre das aber auch in ihrem Fall daneben. "Das Volk" meint die Gesamtheit aller Bürgerinnen und Bürger. Niemand kann für sie alle sprechen. Es gibt, damit es nicht zu chaotisch wird, lediglich auf Zeit gewählte Volksvertreter.

Der Slogan "Wir sind das Volk" hatte in der Geschichte einmal eine gewisse Berechtigung: Im Rahmen des Aufstandes gegen die ebenso autoritäre wie korrupte Führung in der kommunistischen DDR Ende der 1980er Jahre. Damit wurde der Übergang zu demokratischen Verhältnissen eingeleitet.

Doch das führt jetzt zu weit: Spannend ist, mit welcher Selbstverständlichkeit radikale Impfgegner glauben, für alle kämpfen zu müssen. Das ist anmaßend. Umgekehrt ist es bedauerlich, wie sie durch die politische Entscheidung, eine Impfpflicht einzuführen, angestachelt werden. In Summe führt das zu einer unnötigen Eskalation.

Irgendwann werden viele Bücher über die Pandemie erscheinen, die beleuchten, was war. Zum Beispiel ein Kanzler namens Sebastian Kurz, der Geimpften erklärte, dass die Sache für sie vorbei sei und Ungeimpften mitteilte, dass sie sich noch anstecken würden. Beides war unsäglich: Anstecken können sich alle, es unterscheidet sich nur die Wahrscheinlichkeit schwerer Krankheitsverläufe. Und der Impfschutz ist befristet. Früher oder später ist eine Auffrischung nötig.

Gerade solche Sprüche haben die Glaubwürdigkeit der staatlichen Impfkampagne beschädigt. Sofern es bisher überhaupt eine gegeben hat, die über kostspielige Inserate hinausging. Am Ende wunderte man sich, dass im Herbst noch immer keine 70 Prozent der Menschen geimpft waren – und sah sich daher zur Impfpflicht genötigt.

Was zum nächsten Unglück überleitet: Als würde es sich um eine Trotzreaktion handeln, lassen sich viele erst recht nicht impfen. Die Zahl der Erststiche ist jedenfalls furchtbar klein. Ergebnis: Bis zur Einführung der Impfpflicht im Februar wird die Omikron-Welle durchs Land gezogen sein und die Durchimpfungsrate zu niedrig bleiben. Außerdem fühlen sich Impfgegner herausgefordert.

Dabei muss man jedoch vorsichtig sein: Bei weitem nicht alle, die noch nicht geimpft sind, sind Impfgegner. Die Uni Wien hat Anfang Dezember herausgefunden, dass 41 Prozent auf die Zulassung anderer Impfstoffe warten und 22 Prozent erklären, dies „teils-teils“ zu tun. Das sind zusammen mehr als 60 Prozent, die unter Umständen zu gewinnen wären. Das hätte zu einer ernsthaften Auseinandersetzung ermuntern können. Grund: Eine Durchimpfungsrate von bis zu 90 Prozent wäre ohne größere Konflikte erreichbar gewesen.

Johannes Huber betreibt den Bog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik

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