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Van der Bellen mit Warnung bei Bregenzer Festspielen

Van der Bellen, Nehammer und Stelzer bei den Bregenzer Festspielen.
Van der Bellen, Nehammer und Stelzer bei den Bregenzer Festspielen. ©APA/DIETMAR STIPLOVSEK
Bei der Eröffnung der Bregenzer Festspielen hat Bundespräsident Van der Bellen vor ausgrenzender Sprache gewarnt. Festspielpräsident Hans-Peter Metzler plädierte für Aufgeschlossenheit. Bundeskanzler Nehammer will weiter Normalität benennen dürfen.
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Am Mittwoch hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat bei der Eröffnung der 77. Bregenzer Festspiele vor "zerbrochenen Fenstern" durch ausgrenzende Sprache gewarnt. An die Parteien appellierte das Staatsoberhaupt, stattdessen um die besten Lösungen zu kämpfen.

Van der Bellen mit Parteienschelte bei Eröffnung der Bregenzer Festspiele

Wie in den vergangenen Jahren sprach Van der Bellen in seiner Eröffnungsrede in Bregenz nur am Rande über Kunst. "Es ist wieder einmal Zeit, Dinge anzusprechen, die angesprochen werden sollen oder müssen", stellte er am Anfang seiner Ausführungen fest. "Daran dürfen wir uns nicht gewöhnen, dass Sprache wieder zum Ausgrenzen verwendet wird. Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass wieder von einem 'wir' und 'den anderen' gesprochen wird", unterstrich der Bundespräsident.

Damit spielte er - ohne Nennung der Parteien - nicht nur auf die innenpolitische Auseinandersetzungen zwischen den Regierungsparteien ÖVP und Grüne an (Stichwort: "normal denkende Menschen" vs. "präfaschistoid"), er nannte auch "das Volk", von der FPÖ für sich reklamiert, und "unsere Leute", zuletzt im Fokus auch der SPÖ.

Populismus ist nicht an Lösungen interessiert

"Wer sind 'unsere Leut'? Bin ich dabei? Sind uns 'die anderen' dann egal? Wer sagt, wer dazu gehört und wer nicht? Wer bestimmt, wer 'normal' ist und wer nicht?", fragte Van der Bellen. Es sei gefährlich, solche Begriffe so absolut zu verwenden, "denn sie werden sehr schnell gedankenlos wiedergegeben und tragen dann mehr und mehr zum Zerbrechen einer Gemeinschaft bei", so der Bundespräsident. Solche Zitate würden mittlerweile von verschiedenen Parteien verwendet, wähnte sich Van der Bellen in Österreich "manchmal wie im Hochwahlkampf".

Manche Politiker glaubten an den Populismus. "Aber Populismus ist nicht daran interessiert, Lösungen zu finden. Populismus will trennen, will ausgrenzen", sagte Van der Bellen. Populismus wolle, dass Probleme bleiben, weil das helfe, Emotionen und die Hoffnung zu schüren, Wahlen zu gewinnen. "Hören Sie auf mit dem Ablenkungskampf um Begrifflichkeiten und Deutungshoheiten. Kämpfen Sie lieber um die besten Lösungen", forderte der Bundespräsident alle in der Politik auf. Es gebe so viele Themen, die diskutiert und gelöst und vermittelt werden müssten, nannte er Bereiche wie Wohlstand, Klima, Umwelt, sozialen Zusammenhalt oder Bildung.

Lieberale Demokratie muss gepflegt werden

Ebenso betonte Van der Bellen den Wert der liberalen Demokratie. "Wir müssen auf die liberale Demokratie achten und in ihr die konstruktive Kritik und den konstruktiven Streit pflegen, sonst steuern wir auf eine Autokratie zu, in der es nur denen gut geht, die zum 'wir' gehören, und es denen schlecht geht, die zu 'den anderen' gehören", sagte das Staatsoberhaupt. Liberale Demokratie gehöre allen. Auch die positiven Aspekte der Migration und Integration für Österreich hob Van der Bellen hervor. "Lassen Sie uns ruhig streiten, aber mit Sachargumenten. Konstruktiv streiten. Bringen wir das Beste in uns und an Österreich zum Vorschein und nicht das Niedrigste", so der Bundespräsident.

Weltoffenheit, Zuversicht, Mut und Freude bildeten zentrale Begriffe in der Rede von Kulturminister Werner Kogler (Grüne). Altes Denken werde bei vielen Fragen nicht weiterbringen, Populisten wollten gar keine Lösungen und hätten keine Antworten. Umso wichtiger sei es, "dass alle gesellschaftlichen Kräfte, die auf tatsächliche Lösungen und Verbesserungen aus sind, zusammenfinden", beschwor Kogler "Stärke durch Zusammenhalt statt Schwäche durch Spaltung". Das gelte besonders für die Verteidigung der Errungenschaften Europas und der liberalen Demokratien auf dem Kontinent, nannte er die europäische Einigung "eine zivilisatorische Höchstleistung". Und doch sei alles, was Europa und Österreich groß gemacht habe, nicht mehr selbstverständlich, da oder dort sogar gefährdet, wählte er ähnliche Worte wie Van der Bellen. "Wir sollten hingegen die riesigen Chancen für Europa nutzen, die es gerade wieder gibt", so Kogler an die Zuhörer: "Wir haben keine Zeit zu verlieren, aber eben Chancen zu gewinnen."

Bregenzer Festspiele für Kogler Herzstück der Region

Die Festspiele seien ein Herzstück der Region rund um den Bodensee. "Alle, die herkommen, sind davon beeindruckt, dass hier so viele Menschen über Grenzen hinweg miteinander verbunden sind und nachgeradezu im europäischen Geist zusammenarbeiten ", sagte der Vizekanzler. Angesichts etwa des Kriegs in der Ukraine, der höchsten Inflation seit Jahrzehnten oder der Erderhitzung wisse man nicht, was die Zukunft bringe. Allerdings könne man sie "leidenschaftlich gestalten", betonte Kogler. Hilfreich dabei sei es, Irritationen und Ängste anzusprechen, mutig zu entscheiden, Vielfalt zuzulassen oder auch Freude zu haben. "Die Freude dürfen wir uns gerade in schwierigen Zeiten nicht nehmen lassen", unterstrich Kogler. "Nicht zuletzt deswegen lieben wir die Kunst", sagte der Vizekanzler.

Festspielpräsident Hans-Peter Metzler griff einen Gedanken des Philosophen Hanno Sauer auf, wonach biologische und kulturelle Evolution "jeweils Sonderfälle eines allgemeinen Prinzips" seien. Evolution im Verständnis der Bregenzer Festspiele heiße, "dass wir sowohl neue Wege beschreiten, Vielversprechendes ausprobieren als auch auf Bewährtes zurückgreifen, auf Erfolgreiches setzen", sagte Metzler. Das Festival sei stolz auf seinen internationalen Ruf und insbesondere "auf die Neugier und Aufgeschlossenheit unserer Besucher". In Bezug auf die Stoffe in den heuer programmierten Inszenierungen stellte der Festspielpräsident fest, dass Kunst sehr wohl aufrütteln und herausfordern dürfe. "Lassen Sie sich inspirieren!", sagte er an das Publikum gerichtet.

Auftakt der Bregenzer Festspiele mit "Ernani"

Bis 20. August stehen am und auf dem Bodensee insgesamt über 70 Veranstaltungen auf dem Programm, für die rund 215.000 Karten aufgelegt wurden. Mindestens 90 Prozent der Tickets waren zu Festspielbeginn bereits gebucht. Den künstlerischen Auftakt des Festivals bildete am Mittwochabend die Premiere von Giuseppe Verdis "Ernani" als Oper im Festspielhaus. Die Wiederaufnahme von Giacomo Puccinis "Madame Butterfly" als Spiel auf dem See war für Donnerstagabend programmiert. Für die 26 Aufführungen von "Madame Butterfly" gelangten 185.000 Karten in den Verkauf. Mit den Opernwerken "The Faggots and Their Friends Between Revolutions" sowie "Die Judith von Shimoda" stehen auch eine Österreichische Erstaufführung bzw. eine Uraufführung auf dem Programm.

Abseits der Reden bestach die live im TV übertragene Eröffnung durch die Darbietungen der Festspiel-Künstler, die auf höchstem Niveau in vielfältigen Auszügen das Festspielprogramm vermittelten. Moderator Nikolaus Habjan sorgte mit seinem Handpuppen-Ehepaar Robert und Grete wie in den vergangenen Jahren für beste Unterhaltung. "Seien's ruhig streng, das kommt gut an", sagte etwa Grete zum Bundespräsidenten vor dessen Rede. Nach dem Abschluss der Eröffnungszeremonie mit der Europahymne traf man sich - auch das ist Tradition in Bregenz - zum nun "Festspielempfang" genannten Volksempfang auf dem Vorplatz des Festspielhauses.

Bundeskanzler Nehammer findet Debatte über Normalität nicht normal

Bundeskanzler Nehammer stellte am Rande der Bregenzer Festspiele fest, dass er sich mit Bundespräsident Van der Bellen sehr gut verstehe und sie einen regelmäßigen Austausch pflegten. Er bleibe aber dabei: "Es ist wichtig, dass man Normalität in Österreich benennen darf. Ich habe schon einmal gesagt, dass ich hier schon nicht normal finde, dass man über Normalität überhaupt eine große Debatte führt."

Die Menschen müssten sich in ihrer Vielfalt in der Politik wiederfinden, seine Aufgabe und jene der Bundesregierung sei es, "Politik für die vielen zu machen und die wenigen nicht zu vergessen", meinte Nehammer. Das Problem seien die Extremen, rechts wie links. "Wenn die Ausnahme plötzlich die Regel wird, dann fühlt sich die Mehrheit nicht mehr repräsentiert", sagte der Kanzler. "Es ist in Ordnung, wenn jemand sich dazu entschließt, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren, aber einer, der mit dem Auto fahren muss, soll kein schlechtes Gewissen haben müssen. Und genauso ist es okay, wenn jemand sich dazu entschließt, vegan zu leben. Aber es muss auch okay sein, wenn andere gerne Schnitzel essen."

SPÖ-Chef Babler: "Spaltung der Gesellschaft nicht in Sprache, sondern real"

Auch SPÖ-Chef Andreas Babler reagierte Mittwochabend auf Facebook auf die tadelnden Worte des Bundespräsidenten, will sich aber offensichtlich auch nicht dreinreden lassen. "Die Spaltung der Gesellschaft passiert nicht in der Sprache, sondern ist real", verwies er etwa auf die hohen Wohnpreise. "Nur ein Prozent besitzt fast die Hälfte des Vermögens, und 350.000 Kinder sind von Armut bedroht", führte Babler aus. "Politik wurde für Superreiche gemacht, die per SMS-Chat Steuergeschenke und Gesetzesänderungen erhielten. Die Regierung hört auf Immobilienbesitzer, Energie- und Lebensmittelkonzerne und weigert sich, Preise zu senken", kritisierte der SPÖ-Chef. "Die Ungerechtigkeiten müssen benannt werden, sonst fühlen sich viele politisch übersehen." Spalten würden lediglich "jene, die Politik für die Reichen machen und zur Ablenkung mit dem Finger auf 'die anderen' zeigen", findet Babler.

Auch FPÖ und ÖVP NÖ reagieren auf Van der Bellen Rede bei Bregenzer Festspielen mit Kritik

Weitere Reaktionen rief die Rede bei der FPÖ und der ÖVP Niederösterreich hervor. Van der Bellen warne vor jener Autokratie, die seine Grünen Stück für Stück selbst etablierten, meinte FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker in einer Aussendung: "Die Spaltung der Bevölkerung und der Gesellschaft wurde von der aktuellen Bundesregierung in der Corona-Zeit längst vollzogen - unter Mitwirkung seiner Grünen im Speziellen, das dürfte dem Herrn Bundespräsidenten entgangen sein." Bernhard Ebner, Landesgeschäftsführer der ÖVP-Niederösterreich, kritisierte, dass Van der Bellen mit keinem Wort die "Faschismus-Entgleisung" Koglers erwähnt habe. Er meinte damit Koglers Prädikat "präfaschistoid" für den Vertretungsanspruch von Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) für die "normal denkende Mitte der Gesellschaft".

(APA/Red)

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